Eine Arte-Doku untersucht die Entstehung von Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, zieht aber umstrittene Parallelen zum heutigen Online-Hass.
Kölner Schriftsteller-LegendeArte-Doku auf der Spur von Heinrich Bölls Katharina Blum
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Vor 50 Jahren schrieb Heinrich Böll die Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1974). Es ist die Geschichte einer Frau, die ins Kreuzfeuer der Presse gerät, von der Öffentlichkeit diffamiert wird und am Ende den verantwortlichen Journalisten erschießt. Bis heute ist die Erzählung ein Symbol für die Hetze der Boulevardmedien, die eine Frau zur Mörderin gemacht haben.
Der kontrovers diskutierte Text entstand in den Gründungsjahren der RAF, als die Debatte um Terror und Sympathisanten die Medien beherrschte. Böll wurde sogar vorgeworfen, damit Gewalt zu rechtfertigen. Andere lobten seine scharfe Abrechnung mit der Sensationspresse.
Arte-Doku blickt zurück auf die Entstehung von Heinrich Bölls Schlüsselroman
Die Doku „Heinrich Böll: Katharina Blum lebt!“ geht der Frage nach, was die Erzählung damals so brisant machte und warum sie heute noch aktuell ist. Im Zentrum steht eine Frau, die Hassattacken ausgesetzt ist. Was damals die Zeitung war, passiert heute im Internet.
Die Filmemacherinnen Cordula Echterhoff und Birgit Schulz diskutieren diese Fragen mit Menschen, die einen persönlichen Bezug zu dem Buch oder dem Thema haben, beispielsweise mit Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta, die den Stoff ein Jahr nach Erscheinen des Buches verfilmt hatten. Sie sprechen mit Günter Wallraff über die Praktiken der „Bild“-Zeitung und den Schriftstellerinnen und Autoren über den Hass im Netz, dem sie aufgrund ihrer aktivistischen und publizistischen Tätigkeit ausgesetzt sind.
Leider vergibt die Doku aber an manchen Stellen die Chance, mit dem Abstand von einigen Jahrzehnten differenzierter auf den ein oder anderen Aspekt der damaligen Debatten zu schauen.
50 Jahre Heinrich Bölls Katharina Blum
1974 erschien Heinrich Bölls wohl bekanntestes Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Der Roman ist eine Abrechnung mit jener Springer-Presse, die den späteren Nobelpreisträger scharf angriff, weil dieser Empathie für die RAF und deren Sympathisanten aufbrachte. Angesichts des 50-jährigen Jubiläums rekonstruiert Cordula Echterhoff die Entstehungsgeschichte dieses Schlüsselromans der Nachkriegsära: „Heinrich Böll: Katarina Blum lebt!“ heißt die TV-Premiere am Mittwoch bei Arte.
Als Geburtsstunde des Terrors der Roten Armee Fraktion gilt die gewaltsame Befreiung Andreas Baaders am 14. Mai 1970 aus einem Berliner Institut. Eine wesentliche Rolle spielte dabei Ulrike Meinhof, eine Journalistin, die kurz darauf in einem „Spiegel“-Interview erklärte: „Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch ... Und natürlich kann geschossen werden“. Als Heinrich Böll sich in einem „Spiegel“-Essay von 1972 gegen eine Vorverurteilung der untergetauchten Terroristin wandte - und „freies Geleit“ für Ulrike Meinhof vorschlug -, geriet der Schriftsteller in den Fokus der Springer-Presse, die fortan wütend gegen ihn polemisierte.
Böll versuchte sich zu erklären, zwecklos. Mit seinem Bestseller „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, geschrieben in nur vier Monaten, setzte er sich gegen die „Bild“-Zeitung auf seine Weise zur Wehr. Cordula Echterhoff blickt zurück auf die turbulente Entstehungsgeschichte dieses Buches. Den Fokus richtet ihr Film vor allem auf Aspekte des Romans, der die Praktiken der Boulevardpresse seziert, die oft mit Überspitzungen, Halbwahrheiten und sexistischen Verleumdungen arbeitete. Als einer der Kronzeugen kommt Günter Wallraff, Verfasser des 1977 erschienenen Sachbuchs „Der Aufmacher“, zu Wort, dessen Under-Cover-Recherche die Methoden der „Bild“- Zeitung erstmals transparent machte. Aus seiner Erfahrung erklärt er anerkennend, „was für ein realistisches Buch Böll geschrieben hat“.
Verdichtete Kunstfigur
Auch Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff berichten ausführlich von ihrer Zusammenarbeit mit Böll, der für ihre - nur ein Jahr später im Kino gestartete - Leinwandadaption auch am Drehbuch mitschrieb. Echterhoffs Zusammenfassung der Kernhandlung von Buch und Spielfilm wirft allerdings auch Fragen auf: „Die Erzählung einer jungen Frau, die eine Nacht mit einem gesuchten Kriminellen verbringt, ihm zur Flucht verhilft, verhaftet wird, ins Kreuzfeuer der ‚Zeitung‘ gerät, Opfer von sexueller Hetze und Diffamierung wird und den federführenden Journalisten erschießt“ - so fasst die Off-Stimme den Plot zusammen.
Dass Katharina Blum nicht einfach nur die Nacht „mit einem gesuchten Kriminellen“ verbrachte - diese Wiedergabe entspricht zwar dem Roman, ist aber unpräzise: „Jedem“, so Schlöndorff, „war doch klar, das musste jemand aus dem terroristischen Umfeld sein“. Diese Parallele zum RAF-Terror wird allerdings nicht vertieft. Auch jene Filmbilder, in denen das Gesicht von Angela Winkler alias Katharina Blum brutal den Kameras der Presse zugewandt wird - ein ikonisches Zitat der Verhaftung Ulrike Meinhofs -, werden nicht kommentiert. Bölls Katharina Blum ist zwar keine direkte Allegorie auf die RAF-Mitbegründerin. Doch das Narrativ, diese Frau sei das unschuldige Opfer einer patriarchalischen, sexualisierten Mediengewalt, berücksichtigt nicht, dass Böll ja eine verdichtete Kunstfigur ersonnen hatte.
Die Eskalation im „deutschen Herbst“
So war diese Katharina Blum, wie Schlöndorff erklärt, einerseits unschuldig „wie eine Madonna“, verkörperte andererseits aber auch einen „Racheengel“. In der Dokumentation kann man den Eindruck gewinnen, als sei sie eine Märtyrerin aus Fleisch und Blut gewesen. Mit ihrer Fokussierung auf die - gewiss verabscheuungswürdigen - Praktiken der Springer-Presse klingen Schlöndorff, von Trotta und auch der Off-Kommentar dieser Dokumentation unterdessen so, als hätte es die Eskalation des „deutschen Herbst“ von 1977 samt jenen 34 Opfern, die die RAF insgesamt ermordete, gar nicht gegeben.
„Die Mechanismen, die Böll beschrieb“, so eine Grundthese des Films, sind heute „die gleichen geblieben, potenziert durch das Internet“. Als Beleg kommen Gegenwartsautorinnen wie die Anti-PKW-Aktivistin Katja Diehl zu Wort. In sozialen Medien brach über sie ein Shitstorm ein. „50 Klagen“ reichte sie deshalb ein. Ist Katja Diehl deshalb, wie die Doku insinuiert, eine Katharina Blum von heute? Diese These ist gewöhnungsbedürftig
Cordula Echterhoff greift fraglos ein wichtiges Thema der deutschen Nachkriegsgeschichte auf. Leider vermögen nicht all ihre Ausführungen zu überzeugen. Im Abstand eines halben Jahrhunderts hätte man die komplexe Gemengelage aus Roman, Film, Medien und einer polarisierten Gesellschaft der frühen 1970er Jahre tiefenschärfer ausleuchten können. (kna)