Der Rundgang der Kölner Kunsthochschule für Medien führt in Gegenwelten und in gespenstische Nachbauten der Wirklichkeit
„Man kann ein einfacheres Leben haben mit anderen Berufen“, so Christian Sievers, Prorektor der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM). Denn: „Niemand sagt einem als Künstler, was man machen soll.“ Aber war nicht gerade das einmal der große, mit der Kunst verbundene Freiheitstraum? Ein Traum freilich, dem eben auch die Möglichkeit des Scheiterns wie ein Schatten folgt. Und davor schützen weder Hochschulstudium noch Abschlussdiplom. Dieses schöne Schriftstück, glaubt KHM-Rektor Hans Ulrich Reck, wird ohnehin nur in seltenen Fällen abgeholt – nämlich wenn der Student die Seiten wechselt und selbst einen Lehrauftrag erhält.
Freiheit in Gedanken Akademische Titel, das ist keine überraschende Erkenntnis, helfen einem bei der akademischen Karriere – aber in der freien Kunstwelt eher nicht. Dort werden andere, im Grunde nicht messbare Kriterien wie Talent, Originalität und Einfallsreichtum angelegt, die dann selbstredend am freien Kunstmarkt wiederum gänzlich unromantisch in Preis- und Ranglisten umgerechnet werden. Schon deswegen ist die als „Rundgang“ verbrämte alljährliche Leistungsschau der Kölner Hochschule eine Einübung in Realitätssinn: Auch an der KHM lernen die Studenten, dass künstlerische Freiheit vor allem in Gedanken existiert.
Selbstverteidigung als Snack Vielleicht lässt sich künstlerisches Talent ja auch gerade daran erkennen, dass es sich jemand mit der Kunst und der Welt nicht einfach macht – und dabei auf Dinge kommt, die auf gespenstische Weise selbstverständlich wirken. So wie Anne Arndts Nachbau eines Wartezimmers mit grauen Sitzschalen, Lesezirkel-Heften, Fernsehschirm und Snackautomat, aus dem allerdings nicht Salzgebäck und Süßigkeiten gezogen werden können, sondern Verteidigungswaffen für Frauen. Auf Knopfdruck und nach Geldeinwurf fallen Reizgaspistolen, Elektroschocker oder Alarm-Lippenstifte in den Automatenschacht, und zwar jeweils als handelsübliche Originalware in Mädchenrosa. Für Arndt ein realistisches Geschäftsmodell: Auf dem Fernsehschirm an der Wand ziehen Bilder aus Google Street View vorüber, die Kölner „Ablageorte“ von mit K.o.-Tropfen betäubten und missbrauchten Frauen zeigen. Auf der Tonspur sind bürokratisch und durchaus hilflos klingende Tipps der Polizei zu hören, wie sich Frauen gegen dergleichen Übergriffe schützen sollen. Der Selbsthilfeautomat erscheint in dieser Konstellation als bessere Alternative; jedenfalls ist er schon beinahe leer „gesnackt“. (Studiofoyer/ Studio B, Filzengraben 2a) Stadt als Synthesizer Auch Ali Chakav führt uns in die dunklen Tiefen der Gesellschaft – allerdings auf ganz andere und geradezu buchstäbliche Weise. Er ist mit verschiedenen Aufnahmegeräte in die Tunnel der Kölner U-Bahn hinabgestiegen, um die Geräusche der Unterwelt mit verschiedenen Spezialmikrofonen – etwa für Unterwasseraufnahmen oder „Vibrationen“ – aufzunehmen und diese dann nachträglich elektronisch zu bearbeiten. In völliger Dunkelheit abgespielt, wird der unterirdische Soundtrack zur Echokammer einer sehr speziellen großstädtischen Geräuschkulisse. Für Chakav ist die Stadt ein großes Musikinstrument, ein Synthesizer, der durch die ständige Überlagerung unzähliger Klänge seinen eigenen Ton erzeugt. (Studiofoyer/ Studio B, Filzengraben 2a) lupe fürs märchenreich Auch sonst ist der KHM-Rundgang über weite Strecken ein Erfahrungsraum mit Mitmachangeboten und barrierefreien Performancebühnen – das klassische Werk an der Wand oder auf dem Podest ist deswegen aber nicht verschwunden. Stefani Glauber hat etwa einen Altar des technischen Fortschritts aufgestellt, einen Superadapter mit 220 Verbindungssteckern, der uns daran erinnert, dass aus Schnittstellen eines Tages Bruchstellen werden. Hermes Villena macht aus den unwirklichen Naturansichten unserer Computerbildschirme einen luftigen Stelenwald, der von hinten betrachtet seine Kulissenhaftigkeit vorführt. Und Priska Johanna Kubelka hat das Miniaturmodell eines Märchenbaums gebaut, dessen Stamm als Handbibliothek winzig kleiner Bücher dient. Man soll sich Zeit nehmen in diesem Däumlingsreich; für die Lektüre liegt eine Lupe bei. (Glasmoog, Atelier 3, Animationsstudio, alle Filzengraben) Särgemachen leicht gemacht Das Kino liegt beim Ausstellungsparcours des Rundgangs naturgemäß eher am Wegesrand – dabei verdankt sich der gute Ruf der Kunsthochschule für Medien vor allem den Filmemachern. Auch dieses Jahr laufen im Programm diverse Festival-Preisträger, darunter mit Anna Kindermanns „Das letzte Haus“ eine launige Dokumentation über drei Männer, die sich ihre Särge auf Vorrat und nach persönlichem Geschmack selbst zimmern, dann teilweise als Sitzbank zwischennutzen und sich am Ende vor allem darum zu sorgen scheinen, dass die deutsche Industrienorm für Särge nicht vor der Zeit verändert wird. So verbinden sich beim schwersten Thema auf denkbar leichte Weise Kunst und Lebenskunst. (Aula der KHM, Filzengraben 2)
Der alljährliche Rundgang der Kölner Kunsthochschule für Medien ist eine Mischung aus Sommerfest und studentischer Leistungsschau. Er findet auf dem Campus rund um den Filzengraben statt, der Eintritt für sämtliche Ausstellungen und Kinoprogramme ist frei.
„Rundgang 2018“, Kunsthochschule für Medien Köln, Campus am Filzengraben, Do.-So. 14-20 Uhr, 19. bis 22. Juli.