Bonn – Ein schwarzes Cover mit einem grünen Virus darauf. Vor einem guten Jahr hätte das vermutlich bei den wenigsten Assoziationen ausgelöst. Doch nach einem Jahr Corona weiß jeder sofort, worum es im Song der Punkband ZSK geht – und wem es gewidmet ist. „Ich habe Besseres zu tun“, spielt auf den Streit zwischen dem Virologen Christian Drosten und der „Bild“-Zeitung an. Nur zwei Exemplare der Single, die aus einer Laune heraus entstand, gibt es. Eines hat der Wissenschaftler, eines ist im Haus der Geschichte in Bonn zusehen.
Das Museum wird mit der Ausstellung „Hits & Hymnen – Klang der Zeitgeschichte“ nach Monaten der coronabedingten Schließung wieder eröffnet. Es ist der dritte Anlauf, die Wechselausstellung zu zeigen, ursprünglich sollte sie im Frühjahr 2020 zu sehen sein. Dass Musik immer ein Spiegel ihrer Zeit ist, ihr manchmal auch voraus ist, ist keine neue Erkenntnis. Ein paar Takte eines Songs reichen manchmal schon aus, um das Lebensgefühl einer bestimmten Epoche heraufzubeschwören.
Wind der Wende
Wer „Wind of Change“ von den Scorpions hört, denkt an Wende und Wiedervereinigung, der Erfolg von Nicoles im Doppelsinne bescheidenen Schlager „Ein bisschen Frieden“ und Nenas internationalen Pop-Hit „99 Luftballons“ war so wohl nur Anfang der 80er möglich, als die Friedensbewegung den Ängsten vor einem Atomkrieg Raum gab. Die weiße Gitarre, auf der Nicole beim Grand Prix spielte ist ebenso in Bonn zu sehen wie Klaus Meines Originalnotizen von „Wind of Change“.
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg brachte Karl Berbuers Karnevalslied „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ das Lebensgefühl der Menschen zum Ausdruck, die „Capri-Fischer“ bedienten die Sehnsucht nach fernen Ländern und Juliane Werding gab 1972 der Angst vor Drogen mit „Am Tag, als Connie Kramer starb“ eine Stimme. Manchmal diente Musik allerdings auch eher der Realitätsflucht. So war 1968, als die Studentenunruhen ihren Höhepunkt erreichten, ausgerechnet Heintjes Heile-Welt-Geträller „Mama“ die meistverkaufte Single.
Neben diesem „Soundtrack der Zeitgeschichte“ teilt sich die Ausstellung in die Kapitel „Musik und Protest“, „Musik macht Staat“ und „Musik überwindet Grenzen“. Im letztgenannten wird die deutsch-deutsche Musikgeschichte beleuchtet. Das Harmonium, auf dem der Liedermacher Wolf Biermann 1976 kurz vor seiner Ausbürgerung aus der DDR in Köln spielte, ist ebenso zu sehen, wie eine Gitarre mit der Aufschrift „Gitarren statt Knarren“, die Udo Lindenberg 1987 Erich Honecker in Wuppertal schenkte.
Auf großen Leinwänden sind Ausschnitte von Auftritten von Lindenberg in der DDR zu sehen. Und als Bruce Springsteen am 19. Juli 1988 in Ost-Berlin auftrat, kamen um die 250 000 Zuschauer, obwohl nur 160 000 Karten gedruckt und viele an linientreue SED-Junggenossen vergeben worden waren. Der Geist war aus der Flasche, die Sehnsucht nach Veränderung ließ sich nicht mehr einsperren.
„Wer Springsteen hörte, fand sich nicht länger ab. Wir erfuhren, wie viele wir waren und wie wenig müde. Auch so begann die friedliche Revolution“, beschrieb der Journalist und Autor Christoph Dieckmann 2008 die Stimmung. Zu sehen ist in Bonn auch eine selbstgebastelte USA-Flagge mit dem Aufdruck „Welcome Bruce – You are the Best“, die ein Fan für das Konzert gebastelt hatte.
Plötzlich Beethoven
Ältestes und vermutlich wertvollstes Exponat der Ausstellung ist eine Originalschrift Ludwig van Beethovens. Das Skizzenblatt, das sonst im Beethoven Haus in Bonn zu sehen ist, zeigt Entwürfe zur nie vollendeten 10. Sinfonie und zum Yorckschen Marsch. Überhaupt taucht der prominenteste Sohn der Stadt an einigen Stellen in der Ausstellung auf. Das ist bei einer Schau, die eigentlich im Beethoven-Jahr 2020 zu sehen gewesen wäre, verständlich, wirkt allerdings im Kontext der Ausstellung etwas beliebig.
Gelungen ist hingegen die Idee, den hörgeschädigten Komponisten zum Anlass zu nehmen, die Ausstellung so zu konzipieren, dass sie auch andere Sinne als nur das Hören anspricht. Induktionsschleifen am Eingang und an den Musikstationen sorgen dafür, dass Hörgeschädigte die Musik ohne Nebengeräusche hören können. An einer Multimedia-Station übersetzen Gebärdendolmetscher Musik in Gesten, Hymnen werden au f einem Monitor grafisch dargestellt, eine Rüttelbank macht durch Vibrationen Musik fühlbar und an einer Station wird simuliert, wie Beethoven-Kompositionen mit einer Hörschädigung – etwa einem Tinnitus – klingen.
„Hits & Hymen. Klang der Zeitgeschichte“ liefert Besuchern, die der Zeitgeschichte einigermaßen aufmerksam folgen, keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse, aber die Ausstellung weckt Emotionen und lädt durch viele „Ach ja, so war das damals“-Momente zum Austausch ein.
Besuch nur nach Anmeldung
Das Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, in Bonn ist ab Mittwoch, 17. März, wieder für Besucher geöffnet. Sowohl die Dauerausstellung als auch die Wechselausstellung „Hits & Hymnen. Klang der Zeitgeschichte“ sind dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Es gelten die üblichen Hygienemaßnahmen, im Gebäude ist eine Maske zu tragen. Ein Besuch ist nur nach vorherige telefonischer Anmeldung unter der Nummer 0228/9165 353 für ein bestimmtes Zeitfenster möglich.www.hdg.de
In der aktuellen Ausgabe des Museumsmagazins, das die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland herausgibt, wird die Ausstellung vorgestellt. Es kann kostenlos heruntergeladen werden.www.museumsmagazin.com