Köln – Noch bevor die Backstreet Boys am Montagabend die Bühne der Lanxess-Arena betreten, sind sie einer nach dem anderen auf der riesigen Videowand zu sehen. Larger Than Life. Umweht werden die fünf Amerikaner von goldenem Glitzer. Es könnte auch der Beginn einer Zaubershow in Las Vegas sein. Das passt ziemlich gut, denn zum einen hat die Boyband dort tatsächlich vor ein paar Jahren mit rund 80 Shows gastiert, zum anderen können sie vielleicht tatsächlich zaubern. Die Gesetze von Raum und Zeit setzen sie auf jeden Fall außer Kraft. Wer die knapp zweistündige Show auf sich wirken lässt, fragt sich irgendwann, ob die 1990er vielleicht gar nicht wirklich vorbei sind.
Die Zeitreise beginnt schon mit dem DJ, der vor der Show für Stimmung sorgt. Der steht an seinem Klapptisch und gibt alles, wirklich jeden Charterfolg, der rund um die Jahrtausendwende entstand, zu spielen. Von „Baby One More Time“ bis „Wannabe“, von „No Scrubs“ bis „Cotton Eye Joe“. Der Mann hätte jede Abi-Party Anfang der 2000er zum Kochen gebracht. Irgendwann packt er dann sogar noch „Atemlos“ aus – und den diesjährigen Mallorca-Schlager-Aufreger „Layla“. Die Halle grölt mit, der Mann ist zufrieden. Er gibt ihnen, was sie hören wollen.
Die Suche nach der verlorenen Jugend
Das ist weder subtil noch musikalisch ausgefeilt. Aber darum geht es auch gar nicht. Weder beim DJ, noch bei den Stars des Abends. Wer neue Musik kennenlernen will, die am Puls der Zeit ist, ist hier fehl am Platz. „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“, sangen Tocotronic ebenfalls in den 1990ern und die Suche nach der verlorenen Jugend steht hier über allem. Die Backstreet Boys bedienen diese Sehnsucht auf fast schon erschreckend perfekte Art und Weise.
Wie schon in den Jahren ihres großen Durchbruchs sitzt bei Nick, Howie, AJ, Brian und Kevin – Boyband-Mitglieder haben keine Nachnamen – jeder Tanzschritt, jede große Geste, jedes Zwinkern, jedes Winken ins Publikum, jedes Händeschütteln. Weil das hier die DNA-World Tour ist, werden pflichtschuldig auch Songs vom dazugehörigen Album gespielt, doch hier macht sich niemand etwas vor. Wegen dieser Stücke ist niemand an diesem Abend in die Lanxess-Arena gekommen.
Es geht um die alten Songs, um die Lieder, die in der Blütezeit der Boybands die Charts beherrschten, die die Fans kreischen ließen und Eltern zur Verzweiflung brachten, weil ihre Töchter komplett durchdrehten. Es ist schwer Teenager zu sein, aber Boybands gaben das Versprechen, dass am Ende jedes gebrochene Herz doch noch die ganz große Liebe findet und es für jede den Richtigen gibt.
Die perfekte Projektionsfläche
So wurden sie damals zusammen gecastet, und Lou Pearlman leistete bei den Backstreet Boys ganze Arbeit. Vom süßen Blonden (Nick) bis zum tätowierten Rebellen (AJ) war alles dabei. Die Mitglieder der Bands waren selbst im Teenie-Alter oder höchstens unwesentlich älter und somit die perfekte Projektionsfläche.
Die fünf Herren, die da in Köln auf der Bühne stehen, haben sich zweifellos alle gut gehalten, aber sie sind eben keine 20 mehr. Der Jüngste (Nick) ist mittlerweile 42, Kevin hat die 50 schon überschritten. An den Fingern blitzen Eheringe, alle haben Kinder. Heutige Teenies könnten ihre Töchter sein.
Das Leben macht keine Pause
Aber um heutige Teenies geht es hier ja gar nicht. Es geht um die Teenies von damals, die sich noch einmal in jene Jahre zurückbeamen wollen. Klar mit nüchternem Blick, wenn sie die ins Haar gesteckte Lesebrille aufsetzen und sich die Fünf genauer anschauen würden, müssten sie sich eingestehen, dass die gemeinsame Jugend vorbei ist. Das Leben macht keine Pause.
Aber vielleicht ist genau das der Erfolgsgeheimnis der Backstreet Boys: Sie inszenieren diese längst vergangene Zeit mit Perfektionismus und ohne jeden Funken Ironie. Die Tanzschritte, die Outfits, die ewig gleichen Liebesschwüre und Versprechungen - das alles ist völlig aus der Zeit gefallen. Aber das ist egal. Hier muss niemand nach einer Metaebene suchen. Es geht einzig und allein um Nostalgie. Und die ist nicht rational.
Sie werfen signierte Unterhosen ins Publikum
Man braucht Chuzpe, dieses Konzept so konsequent durchzuziehen wie die Backstreet Boys. Alles an ihnen, alles an ihrer Show ist ungeheuer amerikanisch. Ohne rot zu werden Sätze zu sagen wie „Es ist gut, wieder zuhause zu sein“, weil Köln angeblich so wichtig war für die Karriere, oder mit Blick ins Publikum „Ich sehe einige vertraute Gesichter“ und natürlich immer wieder „We love you“ ist auch eine Kunst.
Nur ganz selten gibt es Momente, in denen die Band-Mitglieder durchblicken lassen, dass ihnen durchaus bewusst ist, dass sich die Uhr bei aller Perfektion nicht zurückdrehen lässt. „Wisst ihr noch, wie ihr früher Höschen und BHs auf die Bühne geworfen habt?“, will AJ irgendwann wissen. Die fliegen heute nicht mehr. Aber nun wollen sie sich revanchieren und werfen signierte Unterhosen ins Publikum. Es ist der Dank für jahrzehntelange Treue.
Die letzte Boyband
Die Backstreet Boys sind die einzige Boyband aus der goldenen Ära, die sich nie aufgelöst haben, die immer noch da sind. Sie hatten keinen Robbie Williams oder Justin Timberlake in ihren Reihen, die die anderen so überstrahlten, dass klar war, dass das Konstrukt nicht auf ewig bestehen konnte. Sie wissen, dass sie nur als Kollektiv funktionieren. Sie sind einander vertraut wie ein altes Ehepaar, und sie erwecken glaubwürdig den Eindruck, noch nie über eine Scheidung nachgedacht zu haben.
Es ist leicht, während dieser Show zynisch zu werden, den ganzen Zauber als reine Geldmacherei abzutun, den Bandmitglieder abzusprechen, sich weiterentwickelt zu haben. Aber ist es nicht auch legitim, Menschen ein paar Stunden von der komplizierten Gegenwart abzulenken? Und wer nach fast 30 Jahren die großen Stadien füllt und unterhält, befriedigt ganz offensichtlich ein großes Bedürfnis.
Kurz vor Schluss der Show werfen sich die Fünf in weiße Outfits, die aussehen, als hätten sie diese noch aus ihren Anfangsjahren aufgehoben. Nun kommen noch einmal die Klassiker und alle singen „I Want It That Way“, den vielleicht größten Hit der Band, von dem niemand so genau weiß, was der Text eigentlich bedeuten soll. Alles egal. Am Ende stehen sie im Glitzerregen, die Menge tobt. Sie mögen vielleicht nur einen Trick, das Zeitreisen, beherrschen, aber den macht ihnen so schnell niemand nach.