Köln – Die Arme weit zur Seite ausgestreckt, das Gesicht gen Himmel gerichtet, stehen sie auf der Bühne im Kölner Palladium, baden im Applaus. Sandy Mölling und Jessica Wahls lächeln, Nadja Benaissa schließt genussvoll ihre Augen, Lucy Diakovska verzieht ihr Gesicht in einem Freudenschrei – diese Euphorie kann nicht gespielt, nicht choreografiert sein.
Das war das letzte Konzert der wahrscheinlich letzten Tour der No Angels. Eine Ära geht zu Ende – schon wieder. Die Geschichte der in der ersten Staffel der deutschen Castingshow „Popstars“ im Jahr 2000 gegründeten Girlgroup ist geprägt von Abschieden und Wiedervereinigungen. Schon 2003 haben sich die damals noch fünf jungen Frauen getrennt. 2007 kam dann das Comeback – zu viert, ohne Vanessa Petruo. 2010 verließ Nadja Benaissa die Band, das verbliebene Trio absolvierte nur noch wenige Auftritte zusammen, es war das zweite Ende der No Angels.
Kartenverkauf der „Celebration-Tour“ verlief schleppend
Zum Bandjubiläum haben sich die Engel wieder zusammengerauft, 2021 erschien das Jubiläumsalbum „20“ mit 16 neu interpretierten Klassikern aus den Jahren 2001 bis 2003 und vier neuen Songs. Und auch die deutschen Bühnen wollten sie wieder gemeinsam bestreiten, nach einzelnen Auftritten auf Festivals und in TV-Shows startete im September die „Celebration-Tour“.
Dabei mussten die Engel spüren, was gerade viele Künstlerinnen und Künstler durchmachen: Der Kartenverkauf verlief schleppend, während die Showkosten in die Höhe stiegen. Als Konsequenz wurden drei Termine abgesagt, in Hamburg spielten die No Angels vor einer halbleeren Arena, an anderen Orten wurde kurzfristig die Location gewechselt. Davon war im ausverkauften Palladium aber nichts zu spüren. Die intime Veranstaltungshalle war genau der richtige Ort für das letzte „No Angels“-Konzert, hier spielten sie auch schon 2001 bei ihrer allerersten Tour.
No Angels steigen mit „Daylight in your Eyes“ ein
Das Publikum wartet in Köln auf ihre heiß ersehnten Engel. „No Angels, No Angels, No Angels!“, ruft die Menge, aber die Band lässt auf sich warten – die Ungeduld wächst. Fast eine halbe Stunde nach offiziellem Konzertbeginn ertönt endlich „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones, das Licht geht aus, das Publikum kreischt, sie singen „Daylight In Your Eyes“. Und die Wünsche der Fans sollen erfüllt werden: Schon stimmt die Band die erste Single der No Angels an, der Nummer-eins-Hit, der zu einer der am schnellsten verkauften Singles in der deutschen Musikgeschichte wurde.
In neonfarbenen Outfits tanzen die No Angels über die schlichte Bühne, kein Trara, die Choreografie simpel. Aber alles sitzt, die Schritte und die Harmonien, denn eines beweisen die Engel mal wieder: Sie können singen – genauso wie das Publikum. Zum Ende des ersten Songs halten die Engel ihren Fans die Mikrofone hin, das Konzert wird zur Karaokeparty. Und das Publikum ist textsicher, das beweist es an diesem Abend immer wieder, erkennt jeden Song schon mit den ersten Tönen und wird des Singens und Feierns nicht müde. Auf das „Einmal No Angel“ von der Bühne antworten die Fans inbrünstig und unisono „Immer No Angel!“
Dabei war ungefähr die Hälfte des Publikums noch nie auf einem Konzert der No Angels. „Wart ihr damals noch zu klein?“, fragt Sandy in die Menge. Und damit wird sie wohl recht haben. Da sind die Fans, die die No Angels vom ersten Moment an begleitet haben, und die, die wahrscheinlich erst beim Comeback 2007 alt genug waren, um die Hits aus einem Mini-Radio aus dem McDonalds Kindermenü zu hören. Feiern tun sie alle mit der gleichen Euphorie.
Sandy zeigt Verbundenheit mit Köln
Zum verträumten „Someday“ schwenkt die Menge die Arme von rechts nach links, mit „Goodbye to Yesterday“ präsentieren die Engel ihre rockige Seite, Sandy Mölling schwingt ihre Haare, fängt an zu Headbangen. Sandy, die aus Wuppertal stammt und zeitweise in Düsseldorf gelebt hat, kam vor mehr als 20 Jahren zum „Popstars“-Casting nach Köln. Beim Konzert im Palladium zeigt sie ihre Verbundenheit mit der Stadt: „Mein Köln. Es ist immer ein Fest!“
Die No Angels haben zum Abschlusskonzert auch Überraschungen parat: Zwischen zwei Songs klingen ihre Stimmen plötzlich hoch und Mickey-Maus-mäßig: „Jetzt stellt das mal aus“, rufen sie und erklären dem Publikum: „Die machen Spaß mit uns, weil das die letzte Show ist.“ Zum balladesken „When the Angels sing“ kommen Teammitglieder mit auf den Rücken geschnallten, weißen Engelsflügeln auf die Bühne. Tourmanager, Stagemanager, Videograf, Arrangeur und Co. tanzen und klatschen mit den Engeln, die sich herzlich bei ihnen bedanken. Und es sollen nicht die einzigen Dankesreden sein. Im Laufe des Konzertes stimmen Lucy, Sandy, Jessica und Nadja immer wieder Dankesreden an – für ihre Mädels und ganz besonders auch für die Fans, die sie auch nach so langer Zeit noch treu unterstützen.
Passend zu ihrer Erklärung „No Angel (It’s all in your Mind)“ treten die Engel dann komplett in Schwarz auf. Beim melancholischen „Disappear“ erleuchtet das Palladium, vor der Bühne tauchen Neon-Leuchtstäbe auf, hinten werden die Handy-Taschenlampen geschwenkt. Nach „There must be an Angel“ und weiteren Dankesbeteuerungen verlassen die Engel die Bühne.
Zur Zugaberunde spielen sie „We keep the Spirit alive“, das Motto des Abends. Bei „Rivers of Joy“ eskaliert das Publikum ein letztes Mal. Dann ist es tatsächlich zu Ende, das letzte Tourkonzert. Die Engel mögen nochmal zusammen auftreten, zu vereinzelten Veranstaltungen. Aber ein richtiges Comeback war das hier nicht, sollte es nicht sein.