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Big Thief in der Kölner Live Music HallDas wirklich letzte Pandemie-Konzert

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Big Thief in der Live Music Hall 

Köln – Als Big Thief zuletzt in Köln auftraten, das war Anfang März 2020, betrat man die Kantine an der Neusser Landstraße bereits mit einem mulmigen Gefühl.

In Deutschland, konnte man an jenem Morgen in der Zeitung lesen, hätten sich schon mehr als 500 Menschen mit dem Corona-Virus angesteckt. In Leipzig wird die Buchmesse abgesagt, doch die Mehrheit der Deutschen gibt sich gelassen. Man wird sich schon nicht anstecken. Einfach nicht allzu tief einatmen und sich nach dem Konzert die Hände waschen.

Es sollte die letzte Liveshow auf lange Zeit werden, für die meisten der Besucher, auch für mich. Big Thief brechen ihre Europatour wenige Tage später ab. Adrianne Lenker, Sängerin, Gitarristin und einzige Songschreiberin der Band, flüchtet in eine Blockhütte im Westen von Massachusetts, wie eine moderne Nachfahrin von Henry David Thoreau, nimmt in der Waldeinsamkeit gleich zwei Alben im Alleingang auf.

Aufgeheizte Live Music Hall

Mit zwei Stücken aus diesen (und einem dritten Song aus einem früheren Soloalbum) beginnt denn auch das Set des amerikanischen Quartetts in der aufgeheizten Live Music Hall, ganz zart und zurückhaltend.

Und bald sehr viel lauter und zupackender, wenn die Band zu den Songs ihres aktuellen Doppelalbums kommt, dessen Bandwurm-Titel „Dragon New Warm Mountain I Believe in You“ bereits seinen ausufernden Charakter andeutet. Aufgenommen haben es Big Thief in vier, quer über den Kontinent verteilten Studios, von Upstate New York bis zum kalifornischen Topanga Canyon, von der Sonora-Wüste in Arizona bis zu den blauen Bergen Colorados.

Verletzlich und durchdringend

Dieses Land ist definitiv ihr Land und Lenkers Stimme, verletzlich und durchdringend zugleich, erinnert ja immer ein wenig an die Sänger und Sängerinnen auf den appalachischen Folk-Aufnahmen, die Harry Smith in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kompiliert hat.

Lenkers Gitarrenspiel dagegen weist folklorehafte Lieblichkeiten zurück, verbindet Schroffheit mit vertrackter Virtuosität, am eindrücklichsten wohl im langen Outro zu „Not“, einem Solo wie ein Schmerzensschrei. Das markierte beim 2020er Konzert den Höhepunkt des Abends und hallte noch lange in der Stille der darauffolgenden Monate nach. Am Donnerstagabend ist es nur noch der Endpunkt des elektrischsten und dezibelstärksten Teil des 80-minütigen Sets, dann wechseln Lenker und der zweite Gitarrist Buck Meek – der wunderbar fließende Gegenmelodien zum kantigeren Spiel seiner, so viel Klatsch muss sein, Ex-Frau zuliefert – zu akustischen Gitarren, und Max Oleartchik zum Standbass.

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Denn auf „Dragon New Warm Mountain I Believe in You“ wagen sich Big Thief zum ersten Mal auch weit in Country-Gefilde hinaus, kulminierend in der einzigen Zugabe „Spud Infinity“, einem fast kinderliederhaften Song, er könnte ebenso gut von Shel Silverstein oder John Prine stammen, in dem Lenker kosmische Universalwahrheiten in einer von der Sonne ausgedörrten Kartoffelknolle entdeckt.

Es geht um himmlische Körper und den Alien in uns allen, es geht um Freiheit und Akzeptanz, darum die Grenzen der menschlichen Erfahrung auszumessen und das Erlebnis des großen Jetzt anzunehmen. Herrje, was haben wir das vermisst in den vergangenen zweieinhalb Jahren. Adrianne Lenkers jüngerer Bruder spielt dazu übrigens ein Gaga-Solo auf der Maultrommel.