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Boris Becker über „Querdenken“„Eine merkwürdige Melange“

Lesezeit 4 Minuten

Die Querdenker, 2020

KölnHerr Becker, Ihr Bild des Jahres 2020 haben Sie schlicht „Querdenker“ genannt? Wo haben Sie denn diese Figuren aufgespürt?Ich habe das Motiv schon häufiger gesehen, wenn ich Sperrmüll nach Ossendorf gebracht habe. Aus den Sperrmüllresten stellen die Arbeiter die schrulligsten Sachen zusammen. Das sind immer wechselnde Installationen – so würde ich das nennen. Mich hat fasziniert, dass die eine Land-Art, ein Objekt installiert haben. Zu Beginn des ersten Lockdowns habe ich gefragt, ob ich diese Gruppe fotografieren kann.

Da war von Querdenkern aber noch nicht die Rede, oder?

Ja, das war noch lange davor. Jetzt bin ich beim Stöbern in meinem Archiv auf dieses Motiv gestoßen und dachte, das passt. Diese Kostüme, die Deutschlandfahne, die noch ein bisschen AfD reinbringt, etwas Lokales mit der Köln-Fahne. Da zeigt sich, was bei denen zusammenkommt. Alles, was man so genau gar nicht definieren kann. Es gibt in dieser Bewegung besorgte Bürger, Rechtsradikale, ehemalige Grüne, die da fast etwas Schamanenhaftes reinspielen lassen. Dann einfach nur Krawallsuchende, andere mit Reichskriegsflagge. Das ist ja eine sehr merkwürdige Melange, die da zusammensuppt, die sonst nie miteinander zu tun hat.

Sie haben die Querdenker erst in dem Bild entdeckt, nachdem Sie es gemacht hatten?

Genau. Ich habe nicht die Querdenker beobachtet und ein passendes Motiv gesucht, sondern jetzt gesehen: Es passt wie die Faust aufs Auge. Das ist für dieses Jahr 2020 bezeichnend.

Ist das ein Weg für Sie, mit dieser Bewegung, die ja schwer zu greifen ist, umzugehen?

Das eine ist ja, wie ich als Mensch denke, das andere, wie ich als Künstler damit umgehe. Als Otto-Normal-Bürger finde ich damit keinen Umgang. Als Fotokünstler finde ich es immer unbefriedigend, wenn man eine einfache Antwort darauf hat. Das Bild hat ja eine Ironie. Es sind Puppen, die sind so dekoriert.

Boris Becker

Hilft der Humor?

Ob das hilft, weiß ich nicht. Es hat etwas Humoristisches, aber ich will es nicht nur verulken, weil es sehr ernste Hintergründe hat, wenn es etwa darin gipfelt, dass Menschen den Reichstag stürmen oder Abgeordnete belästigt werden. Aber als Künstler nehme ich mir die Freiheit, darauf ironisch zu reagieren.

Gestürmt wurde ja auch das Kapitol in dieser Woche.

Das war eine echte Offenbarung, diese Ansammlung von Trump-Fans, die man da im Kongress sah, die dann auch alle kostümiert waren. Das passt ja fast eins zu eins zu meinem Bild. Die Gasmaske, die Fellmütze, alle mögliche Sachen, von denen man denkt, man könne sie gar nicht zusammentragen.

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Welche Bilder werden aus Washington bleiben?

Ich hoffe, es bleibt nichts, dass man es einfach schnell vergisst. Aber diese Figur mit der Biberfellmütze, die hat sich mir eingeprägt. Was ist das für eine Vorstellung von Demokratie? Schwer bewaffnet da einzudringen und so zu tun, als wäre die Demokratie ein Selbstbedienungsladen, wo man ganze Prozesse außer Kraft setzt. Das ist die reine Anarchie und brandgefährlich. Und angezettelt wurde es vom Präsidenten der Vereinigten Staaten.

Die Corona-Pandemie beherrscht unser Leben. Wie hat sich 2020 auf Sie und Ihre Arbeit ausgewirkt?

Einmal gibt es die wirtschaftlichen Folgen, die mich auch betreffen. Meine Galerie hat geschlossen, die Kunstmessen sind abgesagt worden, viele Ausstellungen ebenfalls. Daraus resultiert, dass man unsicher ist, neue Projekte anzuleiern, weil da immer die Frage ist: Wofür? Es stapelt sich ja auch, man denkt schon: Oh Gott, wenn alles wieder öffnet, was kommt dann an Kunst auf uns zu? Ich will dann auch keine Corona-Kunst zeigen, ich will meine Arbeit weitermachen. Es lähmt zum Teil schon sehr, auch wenn man im städtischen Raum unterwegs und alles leer ist. Das bietet sich vielleicht als Motiv an, aber ich finde es auch langweilig, ausschließlich darauf zu reagieren. Man wird aber erst mit Abstand beurteilen können, was das mit einem gemacht hat.

Hatte das Jahr denn auch Gutes aus künstlerischer Sicht?

Ja, ich habe bestimmte Sachen gemacht, die ich sonst nie in Angriff genommen hätte. Ich war im Sommer zwei Monate auf einem Boot. Wir sind von Holland aus bis an die Oder, bis Stettin gefahren. Ich habe alle Brücken fotografiert. Das ist ein gigantisches Projekt geworden, an dessen Umsetzung ich noch arbeite. Es ist aus der Not der Situation entstanden, dass man keine weiten Reisen mehr machen kann. Und ich war auf dem Boot und mit mir und meiner Familie allein, es war also corona-konform. Das war eine direkte Reaktion auf die Pandemie, es schwebte mir immer schon vor, aber jetzt war der Zeitpunkt zu sagen: Ich mach es. Darüber war ich auch froh.

Dann hat das Jahr auch positive Auswirkungen?

Ja, das glaube ich schon. Man kann dem künstlerischen Alltag entfliehen. Man hat nicht dauernd Hände-Schüttel-Termine und fragt sich stattdessen: Was bleibt? Worauf kann man sich zurückziehen? Was kann man neu entdecken? Aber auf Dauer ist das natürlich keine Option. Man will auch irgendwann wieder unter Leute kommen.