Sturm des KapitolsDas sagen uns die dramatischen Pressebilder der Belagerung
Köln – In der Nacht auf Donnerstag ging ein Foto um die Welt, das mehrere Sicherheitskräfte im gestürmten Kapitol mit gezückten Waffen zeigt. Sie stehen hinter einer verbarrikadierten Tür und zielen auf einen Belagerer, der durch den Ausschnitt einer geborstenen Scheibe blickt. An der Dramatik der Ereignisse ließ diese Aufnahme kaum einen Zweifel, auch weil sie eine Urszene der amerikanischen Historie nachzustellen scheint.
Zahlreiche Western erzählen von amerikanischen Helden, die sich vor einer gesichtslosen Übermacht in die scheinbare Sicherheit eines geschlossenen Raums geflüchtet haben – um das eigene Leben zu retten oder das eines unschuldig Verfolgten. Der Gesetzeshüter, der einem Lynchmob entgegen tritt, gehört zu den Gründungsmythen des zivilisierten, der Wildnis abgerungenen Amerika.
Moment der Anteilnahme
Auch das Bild, das der Pressefotograf Tom Williams in derselben Nacht aufnahm, zeigt die Belagerung des Kapitols – genauer des House Chamber, in dem die gewählten Volksrepräsentanten zusammen kommen. Allerdings erzählt es gerade nicht die „klassische“, mit Waffengewalt (oder deren Androhung) unterfütterte Heldensaga. Stattdessen zeigt Williams’ Fotografie die Angst und die Erschöpfung der gefangenen Menschen aus nächster Perspektive – und als kompositorisches wie inhaltliches Herz des Bildes einen Moment der Zuwendung und Anteilnahme.
Wir sehen die demokratische Abgeordnete Susan Wild am Boden liegen, geschützt hinter einer niedrigen Wand, die die Sitzreihen vom inneren Bereich des Raumes trennt. Mit der linken Hand greift sie sich ans Herz, während sich ein anderer Abgeordneter, der Demokrat Jason Crow, zu ihr hinüberbeugt und ihre rechte Hand festhält. Auch Crow blickt ernst und auch er hat hinter der Trennwand Schutz gesucht – aber in diesem Augenblick scheint die Sorge um das eigene Leben weniger stark zu sein als die um das Leben Wilds.
Diese Geste wirkt auch deswegen so berührend, weil sie die einzige Form von menschlicher Zuwendung ist. Die übrigen Personen blicken angestrengt zum Bild hinaus, dorthin, wo sich die Belagerung mutmaßlich mit Lärm und Geschrei eine erste Bahn bricht – oder sie starren vor sich hin ins Leere. Ein Mann sitzt mit geschlossenen Augen auf der Treppe, ein anderen blickt an ihm vorbei, und Wild sucht mit den Augen an der Decke Halt. Insgesamt befinden sich mehr als ein Dutzend Menschen im Raum, aber ihre Blicke kreuzen sich so wenig wie sie einander berühren. Jeder ist mit selbst beschäftigt und mit dem, was draußen, außerhalb des Bildrahmens vor sich geht. Mit einer Ausnahme: James Crow.
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Obwohl die Aufnahme offenkundig spontan entstand, wirkt sie meisterlich komponiert. Ohne es zu wollen hat Williams das eingefangen, was der legendäre Fotograf Henri Cartier-Bresson als „entscheidenden Augenblick“ umschrieb. In diesem fällt die flüchtige Botschaft eines Augenblicks mit einer „richtig“ erscheinenden, die Zeit überdauernden Form zusammen.
Man kann diesen „entscheidenden Augenblick“ etwa daran festmachen, wie Williams die äußere Gefahr in den Bildrahmen übersetzt. Dieser ist so eng gefasst, dass nichts und niemand ganz im Bild zu sehen ist; an den Rändern sind die Menschen nicht nur angeschnitten, sondern buchstäblich kopflos. Man fühlt ihre Bedrängnis, man ahnt, wie sich der schützende Raum immer stärker um sie herum zusammenzieht – gerade weil man die Quelle ihrer Not nicht sehen kann.
Unmittelbar dabei
In einem Gespräch mit dem US-Nachrichtensender CNN berichtete James Crow, der vor seiner politischen Karriere ein hochdekorierte Soldat gewesen war, von der Belagerung. Er habe selbst bei seinen Einsätzen im Irakkrieg nichts vergleichbares erlebt, so Crow, nie habe er sich einer Situation derart ausgeliefert gefühlt. Diese Unsicherheit vermittelt sich auf der Fotografie nicht zuletzt durch die zahlreich stürzenden Linien: Williams hält die Kamera schräg, was einerseits zum Eindruck der Unmittelbarkeit beiträgt und zugleich suggeriert, dass die Situation jederzeit kippen kann – wenn die Belagerer in den Raum eindringen.
In sprechendem Kontrast zu Williams’ Innensicht der Belagerung stehen Aufnahmen aus dem Kapitol, auf dem Trump-Anhänger wie Touristen durch die Rotunde flanieren. Mit gezückter Handykamera filmen und fotografieren sie den berühmten, mit historischen Gemälden geschmückten Raum und staunen vielleicht am meisten über sich selbst (und dass sie soweit kamen). Sie schießen fotografische Souvenirs eines Tages, von dem sich wissen, dass er selbst historisch ist. Nichts deutet jedoch darauf hin, ob sie auch wissen, welche Rolle sie darin spielen. Die des Helden ist es nicht.