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Boris Zabarko in KölnEr überlebte den Holocaust, nun flieht er vor Putin

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Boris Zabarko  

Köln – Eigentlich wollte Boris Zabarko Kiew nicht verlassen. Erst die Aufforderung seiner Tochter bewegte ihn dazu, doch zu fliehen: „Du bist ein Opa, du musst deine Enkelin retten.“ Und so fuhr er gemeinsam mit seiner Enkelin zum hoffnungslos überfüllten Bahnhof in Kiew, um Richtung Westen aufzubrechen. Ihre Reise führte sie über Lwiw und Budapest nach Nürnberg, wie er am Donnerstag im Kölner NS-Dokumentationszentrum berichtete.

„Wir fuhren vom Tod in das Leben.“

Es war eine schwierige Reise, nicht zuletzt, weil sie schlimme Assoziationen hervorrief. Volle Züge, kein Platz, um sich zu setzen, kaum Platz, um sich zu bewegen. Zabarko und seine Enkelin standen die ganze Nacht in einem engen Korridor des Zuges. „Im Holocaust fuhren so die Juden in den Tod", sagte Zabarko. „Aber wir fuhren vom Tod in das Leben.“

Der 86-Jährige hat den Holocaust im ukrainischen Ghetto Scharhorod überlebt. Jetzt musste er erneut um sein Leben in der Heimat fürchten. Bis vor wenigen Monaten hätte er es nicht für möglich gehalten, dass er noch einen Krieg erleben müsse. „Wir haben das Gefühl, dass die Vergangenheit zurückkommt.“

Es war verboten, über den Holocaust zu sprechen

Wie schrecklich die Vergangenheit besonders für Juden in der Ukraine war, weiß Zabarko allzu gut. Er hat sein Leben der Aufklärung über den Holocaust in der Ukraine gewidmet. Das Thema wurde über Jahrzehnte in der Ukraine totgeschwiegen. Zum einen, weil es schmerzhaft ist, dieses Thema aufzuarbeiten, zum anderen, weil es in der Sowjetunion schlicht verboten war, über den Holocaust zu sprechen.

Heute will Boris Zabarko die Aufarbeitung nachholen. Er hat bereits mehr als 200 Werke über die Judenverfolgung in der Ukraine veröffentlicht. Davon sind einzelne Werke, etwa das Buch „Leben und Tod in der Epoche des Holocaust in der Ukraine“, auch ins Deutsche übersetzt worden. Auf 1100 Seiten klärt er über das Leben im Holocaust anhand verschiedener Berichte von 215 Überlebenden auf.

„Ich habe mehrmals bei Treffen mit Überlebenden den Notarzt rufen müssen.“

Viele der Befragten hatten für Zabarkos Recherche zum ersten Mal über den Holocaust geredet. „Ich habe mehrmals bei Treffen mit Überlebenden den Notarzt rufen müssen“, erinnerte sich Zabarko, „weil ihr Herz die Erinnerungen an das Leben im Holocaust nicht ausgehalten hat.“ Andere schrieben ihm Briefe über ihre Erfahrungen. Es kam nicht selten vor, sagte Zabarko, dass man noch Tränenspuren auf dem Papier erkennen konnte.

Wieso hat er sich freiwillig für seine Recherche den schrecklichen Erinnerungen hunderter Menschen ausgesetzt? Diese Frage stellten ihm Margret und Werner Müller. Das Kölner Ehepaar arbeitete mit Zabarko am Buch „Leben und Tod in der Epoche des Holocaust in der Ukraine“ und hat, wie auch Zabarko, das Bundesverdienstkreuz für ihre Engagement in der Aufarbeitung der Judenverfolgung in der Ukraine erhalten.

Antisemitismus in der Sowjetunion

Am Donnerstag saßen sie mit Boris Zabarko auf dem Podium. „Ich hatte keine Wahl“, antwortete Zabarko, „mein Gefühl sagte mir: Ich muss das machen.“ Seine Mission sei es, für die zu sprechen, die nicht überlebt haben. Und er schäme sich, dass in der Ukraine nicht schon früher mit der Aufarbeitung begonnen wurde.

Vor dem zweiten Weltkrieg lebten in der Ukraine etwa 2,7 Millionen Juden. Heute seien es laut Zabarko nur noch circa 103 000. Dies liege nicht nur an den Verbrechen des Holocausts, sondern auch an dem ausgeprägten Antisemitismus in der Sowjetunion. Im Westen seien viele Holocaustüberlebende berühmte Menschen geworden, betonte Zabarko, während in der Sowjetunion die Juden weiterhin unterdrückt wurden. Er nannte jüdische Dichter, Wissenschaftler, und Nobelpreisträger, die nach dem Holocaust großen Erfolg erlangten. „In der Ukraine war das wegen des Antisemitismus damals gar nicht möglich.“

„Der Krieg darf den Holocaust nicht verdrängen.“

Zurzeit sei es jedoch schwierig, in der Ukraine über Antisemitismus zu sprechen. Weil Putin seinen Angriffskrieg mit der Begründung legitimiert, er wolle die Ukraine von den Nationalisten und Antisemiten befreien, wird der Diskurs um Antisemitismus wieder zum Tabu. Zabarko machte jedoch deutlich, dass in der Ukraine der Antisemitismus heute tatsächlich weniger verbreitet ist als in Westeuropa. Leider gäbe es aber auch immer weniger Juden in der Ukraine, und die jüdische Kultur drohe in vielen Teilen der Ukraine zu verfallen.

Natürlich ist der Diskurs über den russischen Angriffskrieg aktuell von größter Relevanz. Verständlich ist auch, dass man mit Diskussionen über den Antisemitismus in der Ukraine nicht der Russischen Propaganda in die Karten spielen will. Boris Zabarko betrachtet diese Entwicklung jedoch mit großer Sorge. „Der Krieg darf den Holocaust nicht verdrängen. Es darf nicht sein, dass wir das Thema ruhen lassen.“ Während es wichtig sei, über die „neuen“ Verbrechen auf ukrainischem Boden zu sprechen, dürfe man die Vergangenheit nicht vergessen.

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Seit 2004 ist Zabarko Präsident der ukrainischen Vereinigung jüdischer ehemaliger Häftlinge der Ghettos und nationalsozialistischen Konzentrationslager. Mit seiner Arbeit trägt er maßgeblich dazu bei, dass das Schicksal der Juden in der Ukraine nicht in Vergessenheit gerät. Die Gesprächsrunde im Kölner NS-Dokumentationszentrum, dem ehemaligen Hausgefängnis der Gestapo, beendete er mit folgenden Worten: „Mögen Sie und Ihre Kinder niemals das erleben, was wir erlebt haben.“