Mit einer literarischen Punk-Zeitreise und kleinen Musikperformances präsentiert Campino die Niederschrift seiner Gastvorlesungen an der Düsseldorfer Uni. Das Gefühl dabei: Mehr Konzerthalle als Hörsaal.
Campino liest im TanzbrunnenVon Ringelnatz zum Bommerlunder
Den altbewährten Gag über die rheinische Lokalrivalität kann sich Campino auch bei seinem Auftritt am Dienstagabend in Köln nicht verkneifen. „Wolfgang Niedecken tritt ja gerade in Düsseldorf auf, und ich bin hier. Kultureller Austausch also“, witzelt der Tote Hosen-Sänger auf der Bühne des Theaters am Tanzbrunnen. Es ist die lockere Einleitung zu einer musikalischen Lesung aus Campinos Buch „Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik“ im Rahmen der lit.Cologne Spezial.
Dass der 62-Jährige eigentlich durch sein musikalisches Werk bekannt wurde, ist im Publikum kaum zu übersehen. Auf Hoodies, Shirts und Schals prangt das Logo der Toten Hosen, die es vom Deutschpunk der Achtzigerjahre zur Radiotauglichkeit gebracht haben. Dass der Durchbruch der Band schon etwas her ist, offenbart ebenfalls der Blick in die komplett bestuhlte Halle. Der ein oder andere filmt das Geschehen noch mit der Digicam statt mit dem Smartphone.
Ein „Leitfaden fürs Leben“
Campinos neuester Ausflug in die Literatur hat allerdings einen aktuellen Anlass: Im Frühjahr wurde er als Gastprofessor an die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf berufen. Den Inhalt seiner beiden Vorlesungen hat er in „Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer“ als Buch veröffentlicht. Im Licht einer kleinen Schreibtischleuchte liest er daraus einige Passagen, zwischendurch immer wieder eingerahmt von live gesungenen Hosen-Songs und Coverstücken. Campinos Bandkollege Kuddel begleitet ihn auf der Akustikgitarre - eine überzeugende Performance und ein guter Fanservice.
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Gebrauchslyrik ist die Gattung, in deren Tradition Campino seine eigenen Texte stellt. Er schwärmt von Kästner, Brecht, Hannes Wader und Ringelnatz. Simplizität, Lebensnähe aber auch Provokation sind seine künstlerischen Ideale. Seine Musik soll ein „Leitfaden fürs Leben“ sein. So setzt der Sänger seine Vorbilder und seine eigenen Texte in der Lesung ins Verhältnis. Den größten Raum nehmen aber Erzählungen aus Campinos Jugend und der Entstehungszeit der Toten Hosen ein. Nostalgische Anekdoten sorgen immer wieder für kräftige Lacher. Irgendwann fällt der Satz: „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“
Punk - eine Frage des Kontexts
Interessante Erzählausflüge unternimmt der 62-Jährige unter anderem in die Keimzelle des kreativen Düsseldorf der 70er und 80er, in den Dunstkreis von Joseph Beuys und in die Künstlerkneipe Ratinger Hof. Dabei inszeniert der Star seine Kindheit auch als Außenseitergeschichte. Er schildert die Erfüllung und Befreiung, die er in der UK-Punkrock-Szene bei Bands wie Cock Sparrer fand, und karikiert auf der Gegenseite das Spießertum der Sechzigerjahre, indem er höhnisch Freddie Quinns Kleinbürgerhymne „Wir“ vorträgt (später von den Hosen ironisierend gecovert).
Der Streit darüber, ob die Toten Hosen nun „echte“ Punks waren geschweige denn sind, ist schon überstrapaziert. In den selbstreferentiellen Passagen der Campino-Vorlesung schwingt das alte Thema dennoch mit. Ein Beigeschmack wird wohl immer bleiben, wenn ein mit dem NRW-Staatspreis prämierter Punk im Sakko und mit einer Weißweinschorle in der Hand vor zweieinhalbtausend Fans die Tugend der Provokation preist.
Nachdenklich und authentisch spricht der Düsseldorfer dann über die Themen seines Schaffens. Es geht ums Älterwerden, Schwierigkeiten beim selbstbewussten Texten und die Beziehung zu seiner verstorbenen Mutter. Campino rührt die Zuschauer mit der Vertonung des Titels „Nur zu Besuch“, einem inneren Dialog am Grab der Mutter. „Und es kommt immer noch Post, ganz fett adressiert an dich, obwohl doch jeder weiß, dass du weggezogen bist.“
Das leidige Internet
Neben der Rückschau versucht sich Campino in seinem neuen Buch und auf der Bühne zudem in Kommentaren zur Gegenwart. Diese treffen dann allerdings nicht ganz den Puls der Zeit, wie man es in den Hörsälen der Heinrich-Heine-Universität erwarten könnte. So liest Campino in einem langen Segment schmunzelnd explizite Hasskommentare aus den sozialen Netzwerken vor, die sich auf seine erste Gastvorlesung beziehen. Die Meinungsmaschine sei so schnelllebig geworden, sagt er, selbst die Öffentlich-Rechtlichen hätten seine Aussagen aus dem Kontext gerissen.
Zeitlich etwas entrückt scheinen außerdem Campinos Einschätzungen zum Thema künstliche Intelligenz, mit denen er im Schlussteil der Lesung für Gelächter sorgt. Im Studio hätten die Toten Hosen zuletzt mal eine Musik-KI ausprobiert. Das sei ja schon beängstigend. Wo man wohl in fünf Jahren stehe und wie es jetzt mit dem kreativen Schaffen weiterginge, wo Musik doch zum großen Teil Mathematik sei, heißt es. Anschließend konfrontiert der Sänger sich und das Publikum dann noch leicht spöttisch mit dem technischen Stand der Sprach-KI ChatGPT, indem er minutenlang deren synthetische Texte vorliest, gepromptet auf den lyrischen Campino-Stil. Diese KI-Texte sind teils plump, teils durchaus entlarvend gut. Das gibt auch der Musiker zu.
Den Abschluss der Veranstaltung markiert nach zwei Stunden etwas überraschend das Trinklied „Eisgekühlter Bommerlunder“, bei dem sich viele Besucher zum wuchtigen Mitgrölen und -klatschen verleiten lassen. Von Campino war die Partyhymne zuvor mit einem Augenzwinkern als „lyrischer Höhepunkt“ der Toten Hosen angekündigt worden. Damit bestätigt sich dann noch einmal, dass Campino und Kuddel mit ihrer Performance vor allem eins bieten: Einen wohlig nostalgischen und geselligen Abend mit ihren Fans - auch in Köln. Deswegen gibt es auch noch eine Zugabe, eingeleitet von ein paar mahnenden Worten Campinos vor dem Erstarken der AfD. „You’ll never walk alone“ hallt es dann im Chor bis vor die Türen des Theaters am Tanzbrunnen (Leon Iselt).
„Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer: Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik“ (155 Seiten, 16 Euro) von Campino ist im Piper Verlag erschienen.
155 Seiten kosten 16 Euro.