Interview mit Conchita Wurst„Ich gebe niemandem die Chance, mich nicht zu mögen"
- Tom Neuwirth ist ein österreichischer Sänger und bekannt für seine Kunstfigur Conchita Wurst. Er gewann 2014 den Eurovision Song Contest.
- Jetzt moderiert er die neue ZDF-Show „Music Impossible", in der Musiker über ihren Schatten springen müssen.
- Im Interview erzählt er über den Weg vom Künstler zum Moderator, wie er mit Gegenwind umgeht und worin er die Wurzel von Queerfeindlichkeit sieht.
Sie moderieren im ZDF die neue Show „Music Impossible“, in der Musiker ihre Komfortzone verlassen und sich in einem völlig anderen Genre versuchen. Wie sähe denn Ihr musikalischer Angstgegner aus?
Tom Neuwirth: Ich würde es mir intuitiv sehr leicht machen und Klassik wählen. Ich liebe das, weil es so herrlich dramatisch ist. Wenn ich dem Projekt entsprechend aber die größtmögliche Distanz zurücklegen würde, wäre es vermutlich Rock - oder Kehlkopfgesang?
Ein Künstler will im Mittelpunkt stehen. Ein Moderator muss andere scheinen lassen. Wie haben Sie Ihre Rolle als Gastgeber interpretiert?
Meine Rolle zu finden ist ein Entwicklungsprozess. Ich glaube, dass meine Neugier an Menschen total unterhaltsam ist. Darum geht es mir. Es geht um die Liebe zur Musik. Und ich quatsch halt einfach gern. Ich habe so eine Gaudi mit den Leuten, ich will sie kennenlernen, ich will wissen, was Marianne Rosenberg denkt. Dass Musik im Fernsehen stattfindet, ist super wichtig, denn Musik ist eine universelle Sprache. Daran glaube ich, und das spüre ich. Der eigene Output kann Menschen berühren und sie glücklich machen. Ich will Leute unterhalten und ihnen eine gute Zeit bereiten. Es füllt meinen Tank auf. Wenn jemand über meinen Witz lacht, bin ich der glücklichste Mensch.
In der Show geht es darum, etwas Neues zu wagen. Sie haben sich auch schon oft neu erfunden. Passt das Format deshalb besonders gut zu Ihnen?
Ja, und es ist auch absurd, wie das Universum die Sachen schiebt und lenkt, auch wenn das esoterisch klingt. Ich darf dieses Format machen, das so genreübergreifend ist und ich selbst veröffentliche alle sechs Wochen Songs, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dieser Glaube, man müsse immer nur in einer Suppe schwimmen, ist für mich nichts. Ich mag es nicht, wenn man zu mir sagt: Das kannst du nicht machen. Oder wenn es heißt: Das verstehen die Leute nicht. Warum traut man Menschen nicht mehr zu?
Conchita Wurst passt in keine Schublade
Erfolgreiche Musikerinnen und Musiker erfinden sich ständig neu. Bei Ihnen hat man aber das Gefühl, die Leute wollen Sie einsortieren: Ist er nun Conchita Wurst, nur Wurst oder Tom Neuwirth? Warum brauchen Menschen solche Schubladen?
Weil Schubladen dazu dienen, dass man etwas gleich versteht, ohne sich damit auseinanderzusetzen. Je komplexer ein Thema, desto mehr Zeit muss man aufbringen, wenn man es verstehen will. Und diesen Willen, diese Geduld haben nicht alle Menschen. Das ist auch ok. Für mich ist eine Fußballmannschaft wie jede andere. Das ist meine Ignoranz. Da sind mir dann also auch Schubladen recht. Und so ist es bei der Musik eben nicht anders. Ich glaube, dass meine Schublade die ultimative Verwirrung ist, so oft, wie ich Fragen beantworten muss, wer ich bin und was ich tue. Aber ich liebe das. Ich rede gerne. Ich rede vor allem wahnsinnig gerne über mich. Insofern kommt mir das alles zugute.
Können Sie immer so selbstbewusst sein? Oder haben Sie auch mit sich und den Schönheitsidealen unserer Gesellschaft zu kämpfen?
Es gelingt mir immer besser, hundertprozentig zu mir zu stehen. Es geht mir um Authentizität. Natürlich stehe ich jetzt mit fast 34 vor dem Spiegel und merke, mein Körper macht nicht mehr das, was er früher gemacht hat. Wenn ich um drei Uhr morgens Pizza esse, merk ich das. Aber dann denke ich: Was ist eigentlich genau dein Problem? Ich bin gesund, es ist alles in Ordnung. Aber wir alle sind in unseren Systemen gefangen, und das triggert mich immer noch.
Sie stammen aus der österreichischen Provinz. Da sind die großen Bühnen weit weg. Dennoch stand für Sie schon früh fest, dass sie ein Star werden wollen. Warum war dieser Wunsch so groß?
Viele queere Persönlichkeiten gehen ja ins Entertainment. Das ist natürlich Kompensation: Liebt mich! Das war mein Motor. Ich werde zu laut sein, dass ihr mich überhören könnt. Und zu gut, um mich nicht gut zu finden. Ich gebe niemandem die Chance, mich nicht zu mögen. Nicht zuletzt aus einem egoistischen Grund: Ich will, dass es mir gut geht. Und mir geht es nur dann gut, wenn es den Menschen in meiner näheren Umgebung gut geht und wenn wir eine gute Zeit haben.
Tom Neuwirth sieht in der Kirche das Problem
Aber Sie wussten, wenn Sie als Conchita Wurst auftreten, wird es auch Gegenwind geben. Wie gehen Sie damit um, dass Menschen Sie – oder Ihre Künstler-Persönlichkeit - ablehnen?
Natürlich ist in unserer Gesellschaft diese Haltung ein Riesenproblem, weil sie seit Jahrtausenden besteht. Leider hält sich das Patriarchat und das Gefühl, dass es Unterschiede gibt in der Wertigkeit von Menschen, schon so lange, auch wenn das furchtbar ist. Ich hoffe sehr, dass wir uns als Menschheit emotional updaten - so wie auch die Technologie upgedatet wird. Für mich persönlich gilt: Es könnte mich nicht weniger interessieren, was Menschen über mich sagen. Ich bin so in meiner Mitte, ich weiß so genau, was mir Spaß macht, dass ich alle anderen Meinungen nicht brauche. Natürlich ist das auch ignorant. Aber ich höre eben einfach nicht zu, wenn ich etwas nicht hören will. Das hat in meinem Gehirn keinen Platz. Bussi, bye bye!
Sie sagen, Hass triggere Sie nicht, aber treibt Sie die Frage nicht um, woher er kommt und wie wir ihn bekämpfen können?
Wir wissen ja, woher es kommt. Das ist systematisch. Es ist die Kirche – wobei für mich nicht der Glaube das Problem ist, sondern die Institution Kirche. Niemand zieht sie zur Rechenschaft, was einfach eine Shit-Show ist. Da muss man sich eingestehen, dass alles, was man tut, nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Für vermutlich die nächsten Jahrhunderte ist dieses Gedankengut in den tiefsten genetischen Verknüpfungen verankert. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert, aber solange Patriarchat und Kapitalismus funktionieren, wird das System funktionieren. Denn wenn man Minderheiten denunziert, haben die Menschen, die sich dem System anschließen, scheinbar eine Machtposition. Und die will jeder Mensch haben. Gerade, wenn man unzufrieden ist mit seinem eigenen Leben, wenn man zerfressen ist von Negativität. Dann braucht man die Bestätigung von irgendjemand, dass die eigene Meinung etwas zählt.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wir wollen alle nur gesehen werden?
Ja, und das Problem ist, dass wir nicht verstehen, dass wir uns zuerst selbst sehen müssen und ehrlich zu uns sein müssen. Nur dann kann man sehen, wie man mit anderen umgehen sollte. Aber dieser Schritt, sich selbst zu hinterfragen, ist ja auch schon wieder für viele unmöglich. Ich glaube nicht, dass wir das in meiner Generation schaffen, aber es wachsen Persönlichkeiten heran, die sich schon viel früher damit auseinandersetzen. Deshalb muss ich positiv bleiben und daran glauben, dass wir in die richtige Richtung gehen.