Neues David-Bowie-AlbumSo bescheiden fing der größte aller Rockstars an
New York – Lange bevor seine wechselnden Bühnen-Gestalten allgemeines Aufsehen erregten, war David Bowie ein Suchender. Ein Junge, wie Reinhard Kleist in seiner neu erschienenen Comic-Biografie des Sängers schreibt, „der sehnsüchtig darauf wartete, dass ihn jemand zu den Sternen mitnimmt“. Einer der nur allzu bereitwillig auf „sehr seltsame Weise“ durchs unbekannte All schwebt, so lange er auf diese Weise der Enge seines Vorstadt-Elternhauses entkommen kann. Man lausche nur Bowies frühem Song „The London Boys“.
Er hat ihn schon mit 18 Jahren für seine Band Davy Jones & The Lower Third komponiert und dann noch ein Jahr daran gefeilt, ahnend, dass er hier auf der Fährte von etwas Großem war. Das Lied erzählt die Geschichte eines jungen Ausreißers, der in der Mod-Szene der britischen Hauptstadt Anschluss sucht und findet. Bowie selbst lebte damals bei seinen Eltern.
Wie in jeder Ausreißer-Geschichte so kommt auch hier früher oder später die Reue ins Spiel: die Aufputschpillen nehmen Überhand und die London Boys sind nicht die Art von Gesellschaft, die einen Abstürzenden auffängt. Und doch endet der Song in einem mitreißenden Musical-Refrain in A-Dur: Es gibt schlimmere Schicksale, als verloren zu gehen.
Album, Comic, Ballett und Briefmarke
Das neue David-Bowie-Album „Toy“ erscheint am 7. Januar bei Warner
Reinhard Kleists Comic-Biografie „Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“ ist im Carlsen Verlag erschienen, 176 Seiten, 25 Euro
Die deutsche Post bringt zum 75. Geburtstag eine David-Bowie-Sonderbriefmarke heraus.
In Köln wird vom 19. bis 24. Juli das New Yorker Complexions Contemporary Ballet in der Philharmonie seine Bowie-Hommage „Star Dust“ tanzen.
35 Jahre später hat David Bowie, im Herbst seiner Karriere, dieses Stück erneut aufgenommen, zusammen mit einem guten Dutzend anderer Jugendwerke. Diesmal singt er den letzten Refrain noch strahlender, ohne eine Spur von Unsicherheit, als Überlebender (und außerdem war Bowie mit 53 auch ein viel versierterer Interpret als mit 19). Das resultierende Album nannte er nach einer Zeile aus „The London Boys“ „Toy“. Er wollte es im März 2001 als Überraschung für seine Fans veröffentlichen, doch seine damalige Plattenfirma Virgin war von der Idee überfordert – überraschende Veröffentlichungen kamen erst 15 Jahre später in Mode, Bowie war seiner Zeit wieder einmal weit voraus.
„Toy“ sollte kein wichtiges künstlerisches Statement werden, aber Bowie hing an dem Projekt, wie wir alle an unseren Jugenderinnerungen hängen. Vielleicht spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass er während der Aufnahmen zum zweiten Mal Vater wurde.
Tief verletzt
Jedenfalls zeigte sich Bowie von der Ablehnung durch Virgin tief verletzt und wechselte zu Columbia Records. Einige der „Toy“-Aufnahmen wurden später auf B-Seiten neuer Singles verteilt und zehn Jahre später geisterte ein Bootleg des Albums durchs Internet. Aber erst an diesem Freitag erscheint „Toy“ zum ersten Mal offiziell, zur Feier von David Bowies 75. Geburtstag am Tag darauf, gewissermaßen als doppelter Nostalgie-Booster. 2016 war der Musiker im Alter von 69 Jahren an den Folgen von Krebs gestorben.
Er hasse es, die Energie einer gut eingespielten Band zu vergeuden, so lautete damals Bowies Begründung für die Neuaufnahmen, die zum größten Teil in den New Yorker Sear Sound Studios entstanden, unter Live-Bedingungen. Und ja, man kann die ungebremste Spielfreude hören, das Album klingt wie frisch von der Bühne heruntergespielt.
Ein junger Proteus
Ganz offensichtlich ging es Bowie nicht um einen glättenden Eingriff in seine Biografie. Allerdings spielt hier ein Megastar mit professionellen Rockmusikern, der rumpelige Charme der Originale geht so zwangsläufig verloren und auch die Deluxe-Version von „Toy“ bietet zwar alternative Mixe, aber nicht die Aufnahmen aus den 60ern, die man wirklich gehört haben sollte: Ein Porträt des Künstlers als junger Proteus, der damit hadert, nirgendwo wirklich dazuzugehören – und noch nicht herausgefunden hat, das im Unsteten und Exzentrischen seine Stärke liegt.
Der deutsche Zeichner Reinhard Kleist hat in seiner Comic-Biografie „Starman“ das Problem des fehlenden Grundes denkbar elegant gelöst: Bei ihm ist es Bowies spätere Inkarnation als außerirdischer Rockstar Ziggy Stardust, die den jungen David Jones aus der geistigen Einöde des Kleinbürgertums, aus dem Grau der englischen Nachkriegszeit, erlöst: eine Radioübertragung von einem fernen Stern.
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Ironischerweise gehören die ersten Gehversuche des späteren Genies zu den wenigen Songs, die nicht im Gesamtwerk enthalten sind, für das sich der US-Musikverlag Warner Chappell Music jetzt für mehr als 250 Millionen Dollar die Rechte gesichert hat. Sechs Jahre nach seinem Tod ist aus dem einstigen London Boy, der seine liebe Mühe hatte mitzuhalten, die wohl größte Ikone der Rock-Ära geworden. Nicht zuletzt, weil er seine Zeit zugleich unterwandert und überschritten hat.