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Kinofilm „Queer“Ex-Bond Daniel Craig als unglücklich Liebender

Lesezeit 4 Minuten
Die Distanz zwischen ihnen bleibt: Daniel Craig (l.) als William und Drew Starkey als Eugene in „Queer“.

Die Distanz zwischen ihnen bleibt: Daniel Craig (l.) als William und Drew Starkey als Eugene in „Queer“.

Im Liebesdrama „Queer“ meldet sich Daniel Craig für Hollywoodpreise an. In diesem Film verschmelzen Körper wortwörtlich.

Ist das da an der Straßenecke etwa James Bond? Ein Mann schlendert im legeren Leinenanzug durch Mexiko-Stadt. Er ähnelt verblüffend dem britischen Spion. Allerdings überzieht ein Schweißfilm sein Gesicht. Noch dazu ist er Kettenraucher, und der blonde Scheitel ist in der Hitze verrutscht.

Natürlich ist es nicht James Bond, wohl aber dessen Darsteller Daniel Craig. Dem Erinnerungsschub an den Spion dürfte kaum jemand entkommen. 15 Jahre lang erfüllte Craig den Job beim Mi-6 mit Hingabe. Die Rolle wurde ihm zum Fluch.

In Venedig waren die Meinungen eindeutig: Besser war Craig nie

Schon während seiner aktiven Zeit als Geheimagent begann Craig, an seinem filmischen Nachleben zu basteln. Mit der Krimireihe „Knives Out“ und seinem Part als blasierter Detective Benoit Blanc gewann er eine neue Fangemeinde. Nun spielt er in der Verfilmung des halb autobiografischen Romans „Queer“ von William S. Burroughs das Alter Ego des Autors.

Bei der Premiere in Venedig war das Erstaunen groß: Besser war Craig nie. Eine Last scheint von ihm abgefallen zu sein. Mit der Rolle der schwulen Hauptfigur im Film des italienischen Regisseurs Luca Guadagnino ist Craig auf dem besten Weg, den verhassten Agenten abzuschütteln. Die Geschichte handelt von unerfülltem Begehren. Es ist der von Craig gespielte William Lee, der begehrt. Eine ironische Distanzierung vom Hypermacho Bond?

US-Amerikaner flüchtet nach Mexico City

Der gut situierte US-Amerikaner William ist Mitte des vorigen Jahrhunderts nach Mexiko geflüchtet. New Orleans wurde ihm wegen seines Drogenkonsums zu gefährlich. Diese lästigen Razzien! Das seltsam kulissenhaft wirkende Mexico City ist eine Art Paradies voller Tequila, Heroin und Sex, mal gegen und mal ohne Bezahlung.

Dann beobachtet William einen Hahnenkampf – und entdeckt hinter dem Testosteron-geladenen Getümmel auf der anderen Straßenseite einen knackig-jungen Mann, den ehemaligen US-Soldaten Eugene Allerton (Drew Starkey). Er ist ihm sofort mindestens ebenso verfallen wie dem Opium.

Unsicher wie ein Teenager

Unsicher wie ein Teenager nähert sich William dem so viel Jüngeren. William scheint sich über sich selbst zu wundern. Dann wieder ist er bereit, sich zu erniedrigen, um seinem Ziel näherzukommen. Jeder seiner Sätze ist von körperlichem Verlangen überlagert.

Das manifestiert sich gelegentlich in kunstvollen Doppelbelichtungen: Die beiden sitzen brav nebeneinander, zugleich nähert sich Williams Arm in schemenhaft darüber gelagerten Bildern zärtlich Eugene. Später werden Körper im Wortsinn verschmelzen.

Mit dem Begehren kennt sich Regisseur Guadagnino aus. Er schuf den Kinohit „Call Me By Your Name“ (2017), in dem ein italienischer Teenager (Timothée Chalamet) sich nach einem älteren US-Amerikaner (Armie Hammer) verzehrte. Oder war es umgekehrt? Bei dieser sommerlich-leichten Romanze war das nicht immer so leicht auszumachen.

Hier geht es bald mit körperlichem Einsatz zur Sache, in Williams Mundwinkel hängt Sperma: Eugene hat seinen Avancen nachgegeben. Der Roman „Queer“ galt in seinem freizügigen Umgang mit schwuler Lust als skandalös. Er erschien erst mehr als drei Jahrzehnte nach der Niederschrift 1985.

Der Moment des Glücks währt für William nur kurz: Der Jüngere legt eine unüberwindbare Distanz an den Tag. Eugene lässt William zappeln, und dieser ertränkt seinen Frust in Alkohol und Drogen.

Liebe oder gehobene Prostitution?

Ist das hier eine Liebesbeziehung oder doch eine Form von gehobener Prostitution, bei der sich der eine mühsam zu kontrollieren und der andere wenigstens den Schein von Unabhängigkeit zu behaupten versucht? Würde Eugene sich auf William auch ohne dessen finanzielle Großzügigkeit einlassen?

Der Ältere lädt den Jüngeren zu einem Ecuador-Trip ein: Er sucht nach einer aus Dschungelpflanzen gewonnenen Droge namens Yage, die eine telepathische Wirkung haben soll. Williams Wünsche, so hofft er womöglich, ließen sich mit ihrer Hilfe auf den Geliebten übertragen.

Im Urwald wird es psychedelisch-surreal

Bald schon schlägt sich das ungleiche Paar mit der Machete den Weg im Urwald frei. Ziel ist eine abgedrehte US-Biologin (Lesley Manville) mit Faultier und Giftschlange in trauter Holzhütte. Im Dschungel sind viele wahnsinnig geworden, nicht nur in „Apocalypse Now“.

Von nun an darf in „Queer“ nach Herzenslust halluziniert werden. Der Film dreht ins Psychedelisch-Surreale. Blutig puckernde Herzen werden ausgekotzt, ein Mensch wirbelt durchs Universum. „Naked Lunch“-Autor Burroughs hätte seine helle Freude gehabt. Doch bleibt Williams Sehnsucht gegenwärtig.

Später wird William nach Mexiko-Stadt zurückkehren und die Schauplätze von einst besichtigen. Plötzlich schaut er auf den Miniaturentwurf seiner eigenen Vergangenheit: Er blickt durch das Fenster eines Hotels in Spielzeuggröße und sieht sich selbst im Liebeszimmer von einst. Von hier drin ist draußen wiederum nur sein riesiges Auge zu erkennen. In diesem Film ist vieles kunstvoll ver-rückt (und mit Miniaturbauten gedreht worden).

Daniel Craig wird mit diesem Auftritt für Hollywoods Preissaison gehandelt. Das wäre die perfekte Abnabelung von Bond. Der Brite hat angedeutet, dass er seinen Nachfolger schon kennt. Eher unwahrscheinlich, dass er ihn beneidet. (rnd)

„Queer“, Regie: Luca Guadagnino, mit Daniel Craig, Drew Starkey, Lesley Manville, 137 Minuten, FSK 16