Buch „Es ist untersagt...“Brauchen wir wirklich so viele Verbote?
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Köln – Grimmige Blicke von Menschen in schwarzen Uniformen gehören in Köln zum Stadtbild. Die Leute vom Ordnungsamt verfolgen zuweilen gnadenlos vieles, was verboten ist. Schon eine ausgerauchte Zigarette auf den Boden zu werfen, kann Bußgeld kosten. Trotzdem wird die Stadt nie wirklich sauber. Kölner haben ein angespanntes Verhältnis zu Verboten, empfinden sie eher als unverbindliche Verhaltens-Empfehlungen. In Berlin sind grimmige Ordnungshüter im Stadtbild seltener. Dafür reagieren Einheimische mit typisch „Berliner Schnauze“ auf Alltags-Verfehlungen. Selbst Kindergartengruppen stecken Fähnchen in hinterlassenen Hundekot auf dem Bürgersteig, um ihrem Ärger Luft zu machen. Die Einhaltung von Verboten ist also genauso wie die Sanktion von Sündern nicht nur Sache des Staates, Strenge hilft nur bedingt.
Natürlich braucht und hat der Staat ein Gewaltmonopol, wenn es um dramatische Verbots-Verstöße geht. Das sind aber meist keine Untersagungen, die im Alltag verwirren oder die in Frage gestellt werden. Dass man nicht töten soll, ist gesellschaftlicher Konsens. Darf man dagegen bei „Rot“ über eine Ampel gehen? Darf man Verkehrsschilder wie etwa ein Parkverbot ignorieren? Kann man sich überhaupt an alle Ver- und Gebote halten, die uns alleine mit Hilfe von Schildern immerzu umgeben? Brauchen wir Verbote und wenn ja, wie viele?
So ist es überraschend, dass an der Spree in Berlin an einem aufgehängten Rettungsring die Aufschrift „Rettungsgerät – Missbrauch strafbar“ nötig ist. Dass die Beleidigung von Schiedsrichtern aktiv untersagt werden muss, illustriert ein Schild, das im Fußballmuseum in Dortmund ausgestellt ist. Und die Deutsche Bahn sieht sich bewogen, auf Aufklebern mitzuteilen, dass man keine Flaschen aus dem Zug werfen darf.
Was verboten ist und was nicht, ist immer ein Spiegel von Zeit und Gesellschaft. Es ist noch nicht lange her, da wurde Homosexualität strafrechtlich verfolgt, während Schmiergelder als „nützliche Aufwendungen“ von der Steuer absetzbar waren. Der (mehrheitliche) gesellschaftliche Konsens hat diese Regeln verändert. Aktuell wird über eine Aufhebung des Verbots sogenannter weicher Drogen diskutiert. Rechtsetzung ist – bis auf wenige Grundsätze - ein ständiger Aushandlungsprozess.
Der Autor
Frank Überall (46) ist Medien- und Sozialwissenschaftler. Er hat über den Kölner Klüngel promoviert und lehrt als Professor an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft. Journalistisch berichtet er unter anderem für WDR und ARD aus Köln. Seit 2015 ist er Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Überall ist Autor mehrerer Sachbücher und Mitglied des PEN Zentrums.
Das überfordert zuweilen diejenigen, die über die Einhaltung von Untersagungen wachen müssen. Polizei, Justiz und Ordnungsbehörden brauchen neben klaren Regeln auch Sachverstand und Personal. Denn in einem sind sich die staatlichen Wächter mit Soziologen, Psychologen und Theologen einig: Nur die Verbote, die einleuchten, werden auch befolgt. Viele verletzen Verbote aber schlicht aus Bequemlichkeit, ohne die Konsequenzen zu bedenken: Die verbotene Abkürzung über ein „Spülfeld“ an der Nordsee kann bei Flut tödliche Folgen haben. Oder man versteht eine Vorschrift gar nicht – etwa, wenn „achsweises Wägen“ untersagt wird. Manche versuchen dagegen, mit lustigen Zeichnungen oder Sprüchen Verbote zu erläutern: „Dies ist ein Garagentor, nur ein Trottel parkt davor.“
Aber auch jenseits von Schildern sind „verbotene“ Verhaltensweisen regional unterschiedlich. Während sich in Schwaben schnell ins nachbarschaftliche Abseits manövriert, wer in der „Kehrwoche“ nicht penibel den Hausflur wienert, nimmt man im Rheinland mit dem „Kölschen Wisch“ solche Konventionen nicht zu ernst. Mit Verboten wird aber auch Politik gemacht: Wann immer ein Problem identifiziert wird, dauert es meist nicht lang, bis im öffentlichen Diskurs das erste Verbot gefordert wird. Forderungen nach einem „Veggie-Day“, an dem in Kantinen das Fleisch verboten wird, passen genauso in diesen politischen Aktivismus wie die Idee, Reklame für Süßigkeiten zu verbieten.
Den Verboten nicht einfach „gehorchen“
Und so müssen unsere Volksvertreter regelmäßig über unseren gesellschaftlichen Verbote-Haushalt wachen. Sie müssen zwischen notwendiger Ordnung und überflüssigen Eingriffen in die Freiheit entscheiden. Je größer ein Problem wird, umso lauter werden die Sehnsüchte nach strengen Verboten, Kontrollen und Sanktionen artikuliert. In Köln war das beim Kampf gegen Wildpinkler, gegen Zigaretten- und Kaugummi-Wegwerfer oder jüngst gegen angeblich zu laute Straßenmusiker zu beobachten. Dass Wasserpfeifen auf dem Rheinboulevard oder Bierflaschen im Karneval verboten würden, hätte man sich vor einigen Jahren auch nicht träumen lassen.
Der öffentliche Raum ist letztlich aber das, was seine Bürger aus ihm machen. Wichtig ist deshalb, dem Verbots-Schilderwald nicht einfach zu „gehorchen“, sondern sich gedanklich damit auseinanderzusetzen. Grimmige Gesichter von Ordnungshütern in Köln können genauso dazu beitragen wie Berliner Kinder, die ihre Verärgerung in Kreativität ummünzen. Und einige Verbotstatbestände, kreativ umgesetzt, zaubern am Ende dann noch ein Lächeln hervor – zum Beispiel wenn der auf einem Schild klassisch rot durchgestrichene Hund bei Verrichtung seines „großen Geschäfts“ frech grinsend die Zähne fletscht.
Das Projekt
Das Buch „Es ist untersagt – Wie Verbote verwirren und warum wir sie trotzdem brauchen“ von Frank Überall erscheint im Februar im Hamburger Verlag New Business (ca. 200 Seiten, 24,80 Euro, ISBN 978-3-936182-63-7). Die Idee zu dem Werk entstand zusammen mit dem Kölner Journalisten Wolfgang Jorzik. Jahrelang wurden Fotos und Artefakte zum Thema Verbote gesammelt. Ein Teil der Bilder wird in dem Buch abgedruckt. Bei Twitter, Facebook und Instagram kann man sich an dem Verbote-Projekt mit eigenen Zusendungen beteiligen.
Für das Buch hat Überall unter anderem mit Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum, Kabarettist Jürgen Becker, Psychologe Stephan Grünewald, Theologe Bertold Höcker und Comedy-Arzt Eckart von Hirschhausen gesprochen. Der Erlös kommt der Familie von Wolfgang Jorzik zugute, der am 27. Januar 2015 verstorben ist. Er wurde nur 52 Jahre alt und hinterließ seine Ehefrau und zwei junge Kinder.