Laut der SHG Handicap steht es um die Barrierefreiheit in der Kreisstadt schlecht. Ein Rundgang durch Bergheim offenbart die Probleme.
BarrierefreiheitRollstuhlfahrer brauchen in Bergheim Nerven
„Achtung! Rampe nicht barrierefrei. Benutzung auf eigene Gefahr!“ Gleich zwei Schilder weisen im Bergheimer Bahnhof auf eine Rampe hin, die nirgends zu sehen ist. Kommt man vom Shopping-Center Intro und will auf das gegenüberliegende Gleis, führt der Weg nur über eine notdürftig wirkende Treppe. Und das seit Jahren.
Von hier kommt Hannelore Weiland mit ihrem E-Rollstuhl nicht von Gleis 1 zu Gleis 2. Wenn sie von Bergheim nach Köln fahren will, muss sie einen Umweg in Kauf nehmen, der sie ihrer Einschätzung nach 15 Minuten kostet. Und in den Zug kommt sie dann nur, wenn sie sich vorher bei der Bahn angekündigt hat. An den Bahnhöfen Bergheim, Zieverich, Paffendorf und Glesch ist die Lücke vom Zug hinab zum Gleis zu groß für die fahrzeuggebundene Einstiegshilfe.
Bergheim: Der Bahnhof ist seit Jahren nicht barrierefrei
Der Bahnhof in Bergheim ist nur ein Halt auf einer Tour, durch die uns Hannelore Weiland und ihr Mann Stefanos Dulgerakis mitnehmen. Die beiden setzen sich mit ihrem Verein SHG Handicap Bergheim für Barrierefreiheit ein. Außerdem sind sie im Kreistag für die Linke/BSW/+ als Sachkundige Bürger jeweils in einem Ausschuss tätig. Laut dem Statistischen Landesamt NRW lebten Ende 2021 knapp 50.000 Menschen mit schweren Behinderungen im Rhein-Erft-Kreis.
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Vom Bahnhof begleiten uns Weiland und Dulgerakis über die Kölner Straße nach Westen. Schnell tauchen die Dinge auf, die den Weg für einen Rollstuhlfahrer zur Belastungsprobe machen, etwa Risse, Unebenheiten, die ständige Suche nach einem abgesenkten Bordstein. „Man mutet uns immer zu, Umwege zu machen“, sagt Weiland. Mitten im Satz unterbricht sie ein schwerer Hubbel, der schon beim Zuschauen schmerzt. „Ich werde hier immer durchgeschüttelt. Wir haben alle Probleme mit dem Rücken.“
Die Liste der Mängel bezieht sich aber nicht nur auf die Qualität des Untergrunds. Die banalsten Dinge, wie zur Toilette zu gehen oder ein Paket abzuholen, können sich als Unmöglichkeit erweisen, wenn nicht an alle Menschen gedacht ist. Viel Kritik hat die SHG Handicap auch für die Blindenleitsysteme in der Stadt. „Das größte Problem, dass wir in diesem Land haben, ist, dass wir laufend gegen die Selbstbestimmung von Menschen verstoßen“, sagt Stefanos Dulgerakis. „Und wir kriegen es nicht mal mit.“
Bürgermeister Volker Mießeler sieht eine positive Entwicklung
Doch was hat sich in den letzten Jahren in Bergheim getan? Bürgermeister Volker Mießeler (CDU) verweist nach Anfrage dieser Zeitung auf regelmäßige Ortsbegehungen, ein Stadtentwicklungskonzept, das Wirken der Behindertenbeauftragten und des Arbeitskreises für Inklusion. So habe der Arbeitskreis von 2016 bis 2019 einen Aktionsplan Inklusion erarbeitet, aus dem sich ein Katalog mit über 100 Maßnahmen ergeben habe. Von diesen seien zwei Drittel in der Umsetzung, der Katalog werde weiter ergänzt. Zudem gebe es etablierte Plattformen für den Austausch mit Betroffenen. „Meine Tür steht bekanntermaßen für Anliegen immer offen.“
Gleichzeitig liege eine Vielzahl von Problemen nicht in städtischer Zuständigkeit. Im Falle des Bahnhofs habe der Rat zwar bereits Umbauten beschlossen, warte aber noch auf erforderliche Unterlagen der Deutschen Bahn, die für November zugesagt gewesen seien – und das, nachdem sich die DB als Reaktion auf mehrere Schreiben der Stadt für den schleppenden Fortgang entschuldigt habe. „Da bis zum heutigen Tage (03.12.2024) keine Rückmeldung zu verzeichnen war, hat der Geschäftsführer der Stadtwerke Bergheim GmbH sofort ein Erinnerungsschreiben mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Angelegenheit an die Deutsche Bahn versandt“, so Volker Mießeler.
Alle müssen mitziehen, um Teilhabe zu ermöglichen
Weitere Beispiele seien etwa der barrierefreie Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Arzt- und Anwaltspraxen, Bankfilialen, Geschäften, Krankenhäusern. Die Einwirkungsmöglichkeiten der Stadt seien hier häufig auf Appelle begrenzt. „Die Herstellung von Barrierefreiheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jeder ist gefragt, in seinem Verantwortungsbereich so weit wie möglich vorausschauend Rücksicht auf Menschen mit Behinderungen zu nehmen, deren Anzahl ja statistisch gesehen stetig steigt.“
Wie sehr Barrierefreiheit auch eine Sache der Allgemeinheit ist, zeigt sich auch durch das eine oder andere Manöver, zu dem Weiland auf unserer Tour durch Bergheim gezwungen ist. An einer Stelle muss sie mit ihrem Rollstuhl halb auf die Straße fahren, weil ein langes Auto den Gehweg versperrt. Immer wieder streift sie Tannen oder Büsche, die über den Zaun wachsen.
SHG Handicap Bergheim kritisiert fehlenden Willen
Doch wegen Fragen der Zuständigkeit will Dulgerakis die Stadt nicht vom Haken lassen. „Gelten hier deswegen etwa nicht die Menschenrechte?“, fragt er. Als Mitglieder des Arbeitskreises für Inklusion empfinden er und Weiland die Kommunikation mit der Stadt teilweise als frustrierend. „Ich erwarte nicht, dass wir alle Probleme von heute auf morgen lösen“, ergänzt Weiland. Sie möchte einen klaren Plan. „Ich mache das ja auch nicht für mich, sondern für die zukünftigen Generationen.“
Das Problem am Bahnhof fange nicht bei der Langsamkeit der DB an, sondern beim Rat. Der habe eine Rampe beschlossen, die mit 12,6 Prozent Steigung nicht barrierefrei sein werde, für etwas Besseres fehle angeblich der Platz. Und in die ebenfalls geplanten Aufzüge steckt Weiland wenig Hoffnung, die seien andauernd kaputt, dreckig und eng.
„Uns geht es nicht darum, irgendjemanden an den Pranger zu stellen“, stellt Stefanos Dulgerakis klar. Weiland und er leben gerne in Bergheim, besonders dadurch, dass viel fußläufig erreichbar ist. Aber schon oft seien halbherzige Maßnahmen umgesetzt worden, die an der Realität der Betroffenen vorbeigegangen seien. Inklusion und Menschenrechte scheitern ihrer Meinung nach an fehlendem Willen und Kreativität, nicht an einem begrenzten Budget. „Hätten die Leute in den 60er Jahren bei der ersten Mondlandung die gleiche Haltung gehabt, hätten sie es auch nicht geschafft“, sagt Dulgerakis. Und zum Mond wollen die beiden gar nicht. Sie wollen nur, dass ein Rollstuhlfahrer in Bergheim in den Zug steigen kann.