Köln – Wenn Schleusen geöffnet werden, die lange geschlossen waren, gibt es manchmal Überschwemmungen. In der Kölner Philharmonie kann man derzeit dieses Phänomen gut beobachten – selbstredend im übertragenen Sinn, tatsächlich zeitigt dieser Sommer ja alles andere, nur keine Überschwemmungen. Seit es, nach den dürren Corona-Jahren, wieder möglich ist, geben dort die internationalen Spitzenorchester einander die Klinke in die Hand: Concertgebouw, Pittsburgh und soeben Cleveland im Gänsemarsch – da lachen die Seelen von Künstlern wie Zuhörern.
Trotzdem ist und bleibt dieser verstärkt wieder vitalisierte internationale Tournee-Betrieb problematisch: Zumal der ökologische Fußabdruck der Flugreise einer Riesenformation über den großen Teich ist breit und tief – und die Frage, ob sie angesichts der Klimakrise nicht aus der Zeit gefallen ist, alles andere als eine missgelaunte Spielverderberei. Und Hand aufs Herz: Kann man nicht zur Not auch ohne das Pittsburgh- oder Cleveland-Liveerlebnis glücklich werden?
Franz Welser-Möst holt „Der Rosenkavallier“ nach Köln
Klar, angesichts des grandiosen Auftritts des Cleveland Orchestra unter seinem langjährigen Chefdirigenten Franz Welser-Möst mag man darauf nur zögernd mit „ja“ antworten. Der weich-gerundete und zugleich elegante, irgendwie „europäische“ Grundklang der Formation ist schlicht charismatisch, überwältigend, rundum in der Lage, in eine andere, bessere Welt zu entführen. In diesem Fall trug diese bessere Welt vor allem einen Stadtnamen: Wien.
Nun spielt „Der Rosenkavalier“ zwar in Wien, wurde aber vom Münchner Richard Strauss komponiert und in Dresden uraufgeführt (der Dirigent stammt – hart daneben – aus Linz, verfügt allerdings über eine intensive Wiener Anbindung). Wie stilisiert und imaginär also das Wien der „Rosenkavalier“-Suite sein mag, die nach der Pause als Hauptwerk des Abends erklang (Welser-Möst selbst hatte die mutmaßlich von Artur Rodzinsky vorgenommene Zusammenstellung bearbeitet und erweitert) – in dieses musikalische Über-Wien mit seiner Walzer-Seligkeit, seinem Glanz, seiner morbiden Nervosität und seiner Melancholie wurde man unwiderstehlich hineingezogen. Wohlgemerkt: Das ist immerhin, trotz des österreichischen Leiters, ein Wien aus Ohio.
Cleveland Orchestra meistert auch Bergs „Lyrische Suite“
Großartig und suggestiv etwa gelang die Werbungsszene („Mir ist die Ehre widerfahren“) mit den flirrend-dissonanten Kaskaden der Celesta. Das war keine beliebige Orchestermusik – hier ließ Welser-Möst vielmehr auf dem Konzertpodium die Oper als solche in ihrer ganzen szenischen Präsenz und Eindringlichkeit erstehen.
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Wien pur hatte zuvor Alban Bergs Bearbeitung von drei Sätzen aus seiner „Lyrischen Suite“ für chorische Streicher gezeitigt. Die Homogenität, Beweglichkeit und gestische Eindringlichkeit, die hier unbedingt angezeigt sind, kann man nicht allen Geigen-Kollektiven abverlangen – denen aus Cleveland aber ganz unbesehen und selbstverständlich.
Mit bemerkenswerter Brillanz, Farbenintensität und dramatischer Fokussierung warteten die Gäste bereits zu Beginn in Strauss’ Shakespeare-Tondichtung „Macbeth“ auf. Zu einer Zugabe waren sie indes – trotz begeisterten Beifalls und obwohl noch Zeit gewesen wäre – nicht zu bewegen. Schade!