Wie lebt und arbeitet die freie Kulturszene in Zeiten von Haushaltskürzungen? Wir haben Künstler und Künstlerinnen getroffen, die sich von der Stadt mindestens genauso wie Geld auch Achtung für Ihre Arbeit und ein klares Konzept wünschen.
Kampf um WertschätzungFreie Kulturszene in Köln ist Arm, sexy und „existenziell bedroht“
Ein „enormer Schatz“ ist die freie Kulturszene laut Oberbürgermeisterin Henriette Reker für die Stadt. Doch diese freie Szene fühlt sich gerade alles andere als wertgeschätzt. Weil die Stadt Fördermittel streichen will, bangen Theater, Festivals, kleine Spielstätten und Ensembles um ihre Existenz. Es geht aber um viel mehr als Geld – genauso sehr fehlt ihnen die Anerkennung dafür, wie viel sie für die Stadt leisten. Leidenschaftlich und teils unter prekären Bedingungen.
Wie Meryem Erkus, die in der Unterführung am Ebertplatz den Kunstraum „Gold und Beton“ führt. Von den aktuellen Kürzungen der Stadt ist sie (noch) gar nicht betroffen. Aber die Solidarität in der freien Szene Kölns ist groß - genauso groß, wie das Unverständnis über die Gleichgültigkeit der Verwaltung. Sie kenne tolle, engagierte Mitarbeiter*innen im Kulturamt, sagt Meryem Erkus. Aber jenseits dessen gebe es in entscheidenden Bereichen von Politik und Verwaltung „offensichtlich überhaupt kein Bewusstsein dafür, was das hier ist oder wie viel unsere Arbeit hier bedeutet“. Anders kann sie es sich nicht erklären, dass plötzlich wieder ernsthaft darüber nachgedacht wird, die Unterführung dem Erdboden gleichzumachen. Und damit auch jahrelange kulturelle Arbeit für den Ebertplatz. „Wie sollen wir arbeiten und uns finanziell unabhängig machen, wenn das Existenzrecht dieses Platzes überhaupt nicht gesichert ist?!“
„Manchmal werden wir einfach nicht gesehen“ - so fühlt sich auch Slava Gepner. Er leitet die Tanzfaktur zwischen Deutz und Poll - eine Bildungs-, Produktions- und Veranstaltungsstätte mit jährlich mehr als 130 Veranstaltungen. „Wir bekommen keine Anerkennung. Kultur ist wertlos. Bleiben Sie in Ihrer Ecke“ - diese Haltung erlebt er im Umgang mit der Stadt.
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Eine ignorante Verwaltung, die nie das Gespräch gesucht habe - genauso beschreibt es auch das Kulturnetz Köln: „Dabei stand und steht die Kulturszene für Austausch zur Verfügung.“ Und der Kölner Kulturrat vermisst ebenfalls Antworten darauf „wie gerade in finanziell schwierigen Zeiten die Kulturpolitik gestaltet wird.“ Dass gekürzt wird, ist für die Betroffenen schlimm genug. Aber als mindestens genauso bitter empfinden viele es, wie das gerade in Köln geschieht. Zum Beispiel, dass Kulturdezernent Stefan Charles die Kürzungen ohne jegliche Stellungnahme präsentierte, wie die „Freie Szene Bildende Kunst“ in einem Offenen Brief schreibt.
„Uns wird unterstellt, dass wir nicht professionell arbeiten, nur weil wir frei arbeiten“, sagt Meryem Erkus. Trotz der massiven Haushaltskürzungen bekomme zum Beispiel das Gürzenich-Orchester eine Millionen Euro mehr, mit der Begründung, dass schon Verträge geschlossen wurden. „Als ob ich nicht auch schon längst das Programm für 2025 geplant hätte und Absprachen mit Künstler*innen habe.“
Die freie Szene bestreitet den Großteil der Kulturveranstaltungen der Stadt - und dafür will sie ernst genommen werden. „Es geht da nicht um Häkelkurse oder Hobbyveranstaltungen, die sich mal einen Raum suchen und was aufführen - sondern das sind hoch ausgebildete Künstler*innen in allen Bereichen“, betont Björn Gabriel, Leiter des Theaters Studio Trafique, das gerade für eine Inszenierung mit dem Kölner Theaterpreis ausgezeichnet wurde.
Wer wie Meryem Erkus, Slava Gepner und Björn Gabriel frei arbeitet, muss sich das Geld meist aus verschiedenen Fördertöpfen zusammenstückeln. Das bedeutet nicht nur jede Menge Papierkram – das Prinzip funktioniert wie ein Kartenhaus, das zusammenstürzt, wenn eine Karte wegbricht. „Komplementärförderung nennt sich das“ erklärt Björn Gabriel, der gerade nervös auf eine wichtige Zusage vom Land NRW wartet. Denn auch dort sollen Mittel bei der Kultur gekürzt werden.
Oft nur gibt es nur dann Geld für Förderanträge, wenn noch irgendwoher andere Mittel kommen. Gibt es also eine Zusage der Stadt - oder von wem auch immer - legt das Land eher noch was drauf. Und nach demselben Prinzip steigt dann vielleicht noch der Bund oder sogar die EU mit ein. Aber eben genauso schnell auch wieder aus. Das finanzielle Fundament der freien Szene ist deswegen alles andere als stabil. „Der Druck ist groß“ so Gabriel. „Wir haben sehr viel Zuspruch, wir haben fast immer ein volles Haus, bekommen Preise. Und trotzdem sind wir existenziell bedroht.“
Das Fundament für die freie Szene ist alles andere als stabil
Was für Künstler und Veranstalter stressig und nervenaufreibend ist, ist für die Stadt ein Gewinn: für jeden Fördereuro für die freie Szene kommt – wenn es gut läuft - noch Geld vom Bund und Land rein. Slava Gepner hat für seine Tanzfaktur zum Beispiel eine Zusage vom Bund für 4,5 Millionen Euro. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, um diese Gelder für den Umbau unserer großen Bühne zu bekommen“, erzählt er. Doch die Hängepartie geht weiter - auch er und sein Team warten jetzt auf eine Entscheidung des Landes. „Wir wissen nicht, wie das ausgehen wird. Wenn wir keine institutionelle Förderung beziehungsweise bis dahin eine Überbrückungsfinanzierung bekommen, wird es für uns extrem schwierig.”
Warum sie sich das alle antun? Weil sie Kunst, Tanz, Theater lieben und fest daran glauben, damit etwas zum Guten verändern zu können in der Stadt. Und weil die „großen Tanker“, wie Björn Gabriel die öffentlichen Kulturinstitutionen nennt, gesellschaftliche Trends und Themen oft viel schwerfälliger umsetzen können. „Gerade bei freien Projekten geht es oft um existenzielle, gesellschaftlich relevante Themen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es wichtig ist, diesen künstlerischen Echoraum zu haben in einer Stadt“, sagt er.
In unseren Gesprächen fällt oft der Begriff „niedrigschwellig“. Denn die freie Szene ist direkt in den Vierteln oder eben an Orten wie dem Ebertplatz aktiv. „Wir bieten einen Zugang zu Kultur, wir arbeiten mit Jugendlichen, wir arbeiten generationenübergreifend“, sagt Slava Gepner. Und eine lebendige Kulturszene mache eine Stadt wie Köln doch erst attraktiv für Besucher, Touristen und Fachkräfte: „Da sollte man doch nicht zweimal überlegen, ob es sich lohnt, diese paar Groschen in unser Schweinchen zu werfen.“
Als es um die Schließung der Galeria Kaufhof in Köln ging, habe sich Oberbürgermeisterin Reker noch am selben Tag sehr betroffen geäußert, erinnert sich der Leiter der Tanzfaktur und überschlägt, dass in der freien Szene der Stadt nun deutlich mehr Menschen um ihre berufliche Existenz bangen: „Wo bleibt da die Betroffenheit?“
Nach all dem, was er jetzt erlebt, wünscht sich Slava Gepner für die Zukunft vor allem eines: “Ich möchte nicht so ausschließlich und einflusslos abhängig sein von Fördermitteln!“ Dann könnten sie wieder in Ruhe mit den Künstlern arbeiten, ohne ständig wegen jedem Euro zu zittern. Auch Meryem Erkus will unabhängiger werden von kommunalen Geldern: „Aber Grundvoraussetzung dafür ist ein Bekenntnis zu dem Kunstort - und momentan gibt es das nicht.“ Nicht nur ihr fehlt „eine klare Strategie für die Kölner Kultur, um Planbarkeit und Verlässlichkeit von Entscheidungen sicherzustellen“ - so formuliert es der Kölner Kulturrat.
Trotzige Verzweiflung – das beschreibt vielleicht am ehesten die Stimmungslage der freien Szene in Köln. Alle wissen, dass sie in der jetzigen Situation Werbung für sich machen müssen. Vorrechnen, wie viel sie auf die Beine stellen für wenig Geld. Um die Kürzungspläne vielleicht doch noch zu stoppen. Andererseits ist aber auch eine Fassungslosigkeit zu spüren, dass sie das überhaupt tun müssen. Dass das, was sie schon seit vielen Jahren leisten, offenbar von vielen in Politik und Verwaltung nicht wirklich gesehen wird.
Im Entwurf für den Kölner Haushalt 2025/2026 werden bei den Angeboten der freien Szene Kürzungen von etwa sechs Millionen Euro oder 20 Prozent gegenüber 2024 vorgeschlagen. Nach Angaben des „Kulturnetz Köln“ gehen nur 0,25 Prozent des Kölner Haushalts in die freie Kunst- und Kulturszene, die 80 Prozent der Kulturveranstaltungen in Köln gestaltet und durchführe. Das Kulturnetz fordert „den Einsatz eines substantiellen Teils der laut Haushalt von 7 auf 26 Millionen gestiegenen Einnahmen aus der Kulturförderabgabe (“Bettensteuer”) zugunsten ihres eigentlichen Zwecks, der Förderung von Kunst und Kultur, insbesondere der freien Szene“.