Fatih Akin hat sein Leben zwischen Goldraub und Charterfolg verfilmt. Jetzt wagt sich Rapper Xatar auf das heißeste Pflaster seines Lebens.
„Ich übe jeden Tag Klavier“Warum Gangsta-Rapper Xatar in der Kölner Philharmonie auftritt
Xatar gehört zu den berühmtesten Rappern Deutschlands. Und zu den Berüchtigtsten. Fatih Akin hat das bewegte Leben von Giware Hajabi – so der bürgerliche Name des Bonners mit kurdischen Wurzeln – zwischen Charterfolg und Goldraub unter dem Titel „Rheingold“ verfilmt. Jetzt überrascht Xatar mit einem Auftritt in der Philharmonie am 26. März, gemeinsam mit den Heavytones, der Kölner Instrumentalband, die in Fernsehshows wie „TV Total“ schon etliche Weltstars begleitet hat. Wir sprachen mit Xatar und Wolfgang Dalheimer, dem Keyboarder und Arrangeur der Heavytones.
Xatar, Wolfgang Dalheimer: deutscher Gangsta-Rap und die Heavytones, das ist keine Kombination, auf die man von selbst gekommen wäre. Wie haben Sie zusammengefunden?
Xatar: Mein Management hat mich gefragt, ob ich Konzerte spielen will. Ich hatte keinen Bock, ich bin jetzt 41, da will ich nicht mehr auf der Bühne herumspringen. Ich würde auch nicht mehr selbst auf ein Konzert von mir gehen, das wäre mir viel zu anstrengend. Dann meinten die, du könntest dabei doch auch sitzen. Wir haben uns das Jay-Z-Unplugged-Konzert angeguckt und ich dachte mir, ja, das passt zu meinem Alter. Aber ich hätte nie gedacht, dass die Heavytones daran interessiert sein könnten.
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Wolfgang Dalheimer: Aber wir fanden die Idee interessant. Das ist etwas Besonderes. Wir sind zwar eine Instrumentalband, aber im Fernsehen haben wir schon viele Künstler begleitet. Was man bei Xatar schnell heraushört: Er ist künstlerisch eine Bombe, hat ein Timing, wie es das ganz selten gibt. Wir durften schon mal mit Eminem ein bisschen jammen und auch mit Jay-Z. Der wäre froh, wenn er so einen Flow hätte wie Xatar. Er liegt immer ein bisschen hinter dem Beat, was es sehr reizvoll macht. Viele liegen davor und haben keine Ruhe, aber Xatar spielt mit der Zeit.
Aber wie haben Sie angefangen?
Xatar: Wir haben uns im Studio am Maarweg getroffen …
Dalheimer: … da ging es erst einmal darum, in welche Richtung das gehen sollte. Wir sprachen eben über Jay-Z und über D’Angelo. Das ist auch der Sound, den wir selbst lieben. Ich kannte vorher nicht so viele Songs von Xatar und war überrascht, wie viele davon Jazz-Einflüsse haben, auch harmonisch interessant sind.
Xatar: Ich habe eine Spotify-Liste zusammengestellt und es gab viel Austausch, aber Wolfgang hat das Programm kuratiert, es ist schon seine Setliste.
Hat es Sie überrascht, was er ausgesucht hat?
Xatar: Bei ein, zwei Nummern auf jeden Fall.
Dalheimer: Bei „Stiller Feind“ hast Du gesagt, Du könntest Dich schon gar nicht mehr an den Song erinnern.
Xatar: Aber so, wie er sie arrangiert hat, knallt die Nummer. Das Intro, das ihr dazu gemacht habt, ist echt das Krasseste, was ich je gehört habe. Ich weiß nicht, was mit dem Drummer los ist. Und ich habe auch einen neuen Text dazu gemacht. Der Inhalt des Songs war schon sehr auf die Straße bezogen und ich wollte keine alte Gangsta-Story, die sich eher an Insider richtet, das hat einfach nicht genug Wert, wenn alles andere, die Spielstätten, die Musiker, so High End ist.
Xatar, Sie haben bereits im vergangenen Jahr mit dem WDR Funkhausorchester zusammengearbeitet. Ist das der Plan für die zweite Karrierehälfte? Zu gucken, was man noch machen kann, wenn man nicht mehr mit 20-Jährigen konkurrieren will?
Xatar: Die „Machiavelli Sessions“ waren einfach eine Anfrage des WDR und wie es zu unserer Zusammenarbeit gekommen ist, darüber haben wir ja gerade gesprochen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich am Live-Auftritt noch mal so viel Spaß haben würde. Es geht mir auch nicht darum, dass ich nicht mit 20-Jährigen konkurrieren will. Ich will halt nicht so aussehen wie diese 40-, 50-jährigen Rapper, damit fühle ich mich nicht wohl. Das ist bei uns Keneks auch kulturell ein Problem: Hey, Du hast schon Kinder, was springst Du noch hier herum? Ich übe jeden Tag Klavier, weil ich auch ein Solo spielen will. Ich habe mir noch nie so sehr vorgenommen, richtig abzuliefern.
Das haben Sie beide gemeinsam: das Klavier als erstes Instrument.
Dalheimer: Ich wurde mit sechs Jahren dazu gezwungen zu spielen. Du auch?
Xatar: Ja, und ich habe auch sehr früh angefangen. Mein Vater hat Saxophon gespielt, also Jazz.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der erzwungenen musikalischen Früherziehung und der Musik, die Sie heute machen?
Xatar: Ja, den gibt es bestimmt. Ich habe mit 15, 16 aufgehört Klavier zu spielen. Ende der 90er habe ich zuerst Musik produziert und irgendwann angefangen, selbst dazu zu rappen. Aber es gibt seitdem nicht einen Tag, an dem ich nicht bereue, dass ich nicht weiter zum Klavierspielen gezwungen wurde. Das ist eine große Wunde bei mir, ein richtiger Komplex. Wolfgang sagt, man sollte ein Instrument mit Spaß und Liebe lernen, aber Zwang hilft auch. Deshalb will ich jetzt nicht nur für die Tour Klavier lernen, sondern auch dranbleiben.
Jetzt treten Sie in der Kölner Philharmonie auf, später folgt unter anderem noch die Elbphilharmonie. Ihr Vater hat Orchester dirigiert. Kann man sagen, dass Sie den ungewöhnlichsten Weg gewählt haben, um in den prestigeträchtigen Sälen aufzutreten, von denen er einst geträumt hat?
Xatar: Genauso ist es. Mein Vater hat mal in der Alten Oper in Frankfurt gespielt, mal in der Bonner Beethovenhalle. Er glaubt mir das auch immer noch nicht mit der Elbphilharmonie. Ich habe in meinen Leben sehr viel versucht und die erfolgreichsten Sachen, waren eigentlich die, die ich nicht so krass versucht habe. Irgendwie werde ich dazu gelenkt, wieder zu meinen Ursprüngen zurückzukehren. Jetzt wird mein Kind in der Philharmonie herumlaufen, so wie ich damals bei den Konzerten meines Vaters. Das ist doch crazy!
Dalheimer: Man soll eben immer neue Wege gehen. Das gilt ja auch für uns. Das letzte Mal, dass wir in der Kölner Philharmonie gespielt haben, war zur Zugabe mit Cecilia Bartoli. Aber Xatars Musik hat durchaus klassische Momente, das macht sie so speziell.
Sie hatten Bartoli erwähnt, Eminem, Jay-Z. Da könnte man noch eine endlos lange Liste dranhängen, von James Brown bis Kylie Minogue.
Dalheimer: Da gab es Highlights nach oben und unten. Grundsätzlich sind wir für alles offen.
Haben Sie den Druck gespürt, Xatar? So im Sinne von all diese Topstars und jetzt komme ich?
Xatar: Nicht wegen der Topstars, aber wegen des musikalischen Levels der Heavytones.
Dalheimer: Druck hatten wir auch: Wir haben in den letzten Jahren wenig live gespielt. Im Fernsehen ist das oft genau getaktet. Wir haben gar nicht die Ruhe gehabt, uns mal zwei Stunden miteinander zu beschäftigen, mal loszulassen. Zwei Stunden Konzertprogramm, das hat schon einen ganz anderen Bogen.
In der Vergangenheit gab es immer mal wieder Versuche, Jazz und Hip-Hop zusammenzuführen. Manchmal zum Schaden beider Genres …
Dalheimer: Mich stört es auch, wenn dann alles so geordnet und brav ist und keiner bricht aus diesem Sicherheitsspielen aus und riskiert etwas. Wir versuchen immer, um unser Leben zu spielen.
Xatar: Die Sorge hatte ich auch. Und dann komm’ ich in den Proberaum und höre, was die Heavytones aus meiner Musik gemacht haben und es ist krasser, als ich es mir je erträumt habe. Das ist keine Fusion, sondern entspricht genau meiner Wunschvorstellung. Ich konnte das nur selbst nicht.
In Xatars Texten finden sich türkische, kurdische, arabische Wörter, Szenesprache, versteckte Anspielungen. Gab es da schon einen Grundkurs für die Heavytones?
Dalheimer: Der steht noch bevor. Man bräuchte einen eigenen Duden.
Xatar: Oder einfach Genius.com, da lerne ich manchmal selbst noch etwas über meine Texte.
Ihre Texte enthalten zum Teil anwendbare Business-Tipps. Hip-Hop ist ja eigentlich die wahre kapitalistische Kunstform.
Xatar: Echt? So vom Tellerwäscher zum Millionär? Ich mache mir gar nicht so viel Kopf, wenn ich Mucke mache. Erst kommen die Emotionen, dann schreibe ich. Seit den letzten Aufnahmesessions freestyle ich sogar, das ist wie Therapie. Ich rappe über Dinge, über die ich sonst mit niemandem sprechen würde. Sachen, die passiert sind, Personen, die mich enttäuscht haben.
Dem Mikrofon kann man alles anvertrauen.
Xatar: Ja, da hau ich das dann voll raus.
Als Rapper arbeitet man oft autobiografisch. Wenn Sie etwas erleben, ob das nun etwas nicht ganz legales aus ihrer Vergangenheit ist, oder irgendeine Sache, die sie heute bewegt, denken Sie dann im Hinterstübchen schon daran, wie sie das in der Musik verarbeiteten können?
Xatar: Es ist eher immer so, dass ich das Gefühl kriege, ich muss dringend ins Studio zurück. Oft jeden Abend, vor allem wenn ich tagsüber zu viel Business gemacht habe. Dann höre ich mir Musik an, fange einfach an zu rappen. Das spiegelt jetzt nicht dramaturgisch den Tag wider, es ist eher so eine Art Mischung aus Gedanken, die mir im Kopf herumschwirren und Weisheiten, die ich irgendwo aufgeschnappt habe.
Jetzt reden wir über den kreativen Prozess, über die Musik. Sonst werden Sie in Interviews gerne mal zu ihrer kriminellen Vergangenheit befragt. Erst recht, nachdem Fatih Akin Ihre Geschichte unter dem Titel „Rheingold“ ins Kino gebracht hat. Nervt Sie das?
Xatar: Nein, ich will nicht bestimmen, was Leute mich fragen wollen. Wenn das ihr Interesse ist, dann ist es halt so und wenn es mir nicht gefällt, dann sollte ich keine Interviews mehr geben. Ich spreche offen über die ganze Scheiße, die ich gesehen habe. Das war ein wichtiger Teil meines Lebens, essenziell für mein Wachstum. Aber natürlich frage ich mich schon, was die sich von einer Story erhoffen, die ich schon 300-mal in jedem Medium erzählt habe?
Lange Zeit gab es keine Vorbilder dafür, wie man im Hip-Hop-Geschäft in Würde altern kann. Jetzt gibt es Moguln wie Dr. Dre und Jay-Z oder allseits beliebte Entertainer und Werbepartner wie Snoop Dogg. Was ist Ihr Ziel, Xatar?
Xatar: Mein Ziel ist es, dass mich mein Publikum besser kennenlernt. Also die wahre Person, nicht nur die Gangsta-Seite. Mit der Qualität der Heavytones in so großartigen Hallen zu spielen – ich bin aufgeregt wie ein kleines Kind. Und ich habe Blut geleckt: Jetzt will ich nur noch geile Projekte mit künstlerischem Anspruch machen.
Xatar feat. heavytones am 26. März in der Kölner Philharmonie, 21 Uhr. Karten zwischen 69 und 34 Euro gibt es hier.