Herbert Grönemeyer beweist für seine 67 Jahre in der Lanxess-Arena erstaunliches Durchhaltevermögen. Je länger der Abend, desto freier drehte der Lieblingssänger der Deutschen auf.
Neue „Bochum“-TextzeileGrönemeyer in der Arena: „Du bist keine Weltstadt – nicht wie Köln“
Überpünktlich und ohne weitere Umstände eilt Herbert Grönemeyer, das Jackett im aufpreisfreien Autograu, den Bühnensteg entlang, einem schmucklosen Klavier entgegen. „Herbert!“, schallt ihm ein einzelner freudiger Gruß aus dem Publikum entgegen, wie morgens vor dem Stehcafé. Der Mann, der Bochum war und wohl für immer bleibt, schlägt jedoch zuerst einmal melancholische Akkorde an: „Manchmal legt der Tau sich auf mich und dann werd’ ich leise traurig.“ Warum? Weil er einfach nicht glauben kann, dass alles so schön ist, wie es ist. Ist es aber. Wenigstens für knapp drei Stunden in der ausverkauften Kölner Arena.
Das Klavier wird versenkt, die Band steht bereit, acht Mann stark. 17.000 Menschen jubeln, einer steht allein an der Rampe, winkelt die Arme an, schüttelt sie wie im Freudenkrampf, klappt sie im Triumph auseinander. Schüttelt den Tau ab.
„Bochum“ hat Herbert Grönemeyer am Kölner Rudolfplatz geschrieben
„Was ist los?“, fragt Herbert. „Das ist los“, antwortet die Arena. „Das ist, was ist really los“, bestätigt Herbert. Man versteht sich. Da braucht es kein Deepl, das geht so tief, als wäre das Grönemeyerische die Ursprache der deutschen Seele: „Bist du da?“, das könnte jeder Mann fragen, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt. „Behöhöhest du da?“, fragt Herbert vom Grund seiner Seele. Welche Frau möchte nicht so willkommen geheißen werden?
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Man freut sich also übereinander. Das hört man und das spricht Herbert und hofft, dass der Abend ein leichtfüßig rheinischer werde. Er shuffelt mit den Füßen, tanzt den Hampelmann, wie nur er das kann. Stößt rätselhafte Herbertismen aus – „Ta! Hörump. Djapp. Uwah!“ – ruft mittendrin, einfach so: „Liebt euch doch!“
Der erste Höhepunkt kommt früh: Das „Steigerlied“ leitet „Bochum“ ein, es geht tief ins Bergwerk des Grönemeyer’schen Schaffens ’nein, zur Goldader, auf die er 1984 stieß. Herbert vergisst eine Strophe, muss noch einmal ansetzen, rettet, in dem er der Zeile „du bist keine Weltstadt“, ein ranschmeißerisches „nicht wie Köln“ hinzufügt. Überhaupt habe er „Bochum“ am Rudolfplatz geschrieben, ruft Herbert, an der Rampe kippelnd. „Männer“ auch, das er prompt anstimmt. „Mahahan!“ echot das Publikum den Refrain. Es folgen noch „Was soll das“ in einer Akustikgitarren- und „Vollmond“ in einer Bierzeltrockversion und die 80er sind rund und man könnte glücklich nach Hause gehen.
Dabei ist erst ein Viertel des Abends vergangen. Jetzt wird es kurz ernst, auf den Rängen setzt man sich wieder nieder. Herbert redet über Traumata, die man keiner Beziehung auflasten sollte, die man nur selbst bewältigen kann. „Ich kenn’ meine Geister, aber ich kenn’ mich nicht“, stellt er allein am Mikrofonständer hängend fest.
Dann geht es mit „Der Schlüssel“ schon wieder hinaus in die Gesellschaft, die, preist Herbert, in den vergangenen acht Jahren Unglaubliches für Geflüchtete geleistet habe. Er singt auf Türkisch. Er lobt die junge Generation, die für ihre Zukunft kämpft: „Muss die Welt erst in Flammen stehen, dass wir uns aus unsrem Koma drehen?“ Die Arena reagiert eher verhalten auf diesen staatsbürgerkundlichen Teil der Show.
Auf Staatsbürgerkunde reagiert das Kölner Publikum eher verhalten
Doch die Briketts, die Herbert aus Vernunft und Gemüt presst, sie halten warm. Und der Wunsch, mit diesem Menschen mal ein Bier zu trinken, wächst. Wird übermächtig, als er, zurück am Klavier, „Der Weg“ spielt, sein Trauerlied, das Trauerlied von jedermensch. „Das Leben ist nicht fair“, diagnostiziert der Frühverwitwete und Tausend geschwenkte Handylichter brechen sich in Tausend Tränen. „Danke, Herbert!“, ruft ein tief Bewegter stellvertretend für 17.000 in die letzten Klavierakkorde hinein.
Auch jetzt könnte man einen Schlussstrich ziehen und angerührt zum Parkhaus eilen. Aber Herbert hat noch nicht einmal Halbzeit und je länger der Abend, desto größer scheint das Durchhaltevermögen des 67-Jährigen. Er dreht jetzt frei. Wirft sich schutzlos in die Wellen der Liebe. Kiekst wie ein Schulmädchen. Lädt mit „Deine Hand“ zum Mitschnippen ein, hat in „Mensch“ extra ein Percussionsolo für eine taumelnde Tanzeinlage eingebaut, jodelt „Kölle-Ölle-Ölle“ im Feedback-Loop mit der Masse. Stößt immer wieder ein vokalfreies „Dnkschn“ aus, gefolgt von einem heraus gepressten „Klasse!“, Herberts höchstes Lob. Wenn er das Mikrofon in Richtung des Publikums hält, kneift er die Augen konzentriert zu, als könnte er im Rauschen der Begeisterung Volkes Stimme vernehmen.
„Oh, wie ist das schön“ stimmen Volk und Herbert dann zusammen ein zum Zugabenteil. Der fällt mit 15 Stücken so lang aus wie manch anderes Konzert. „Flugzeuge im Bauch“ habe man wieder aus der Rente befreit, erklärt Herbert zur unmäßigen Freude des Publikums. Er singt es am Klavier zum gezupften Kontrabass, beinahe als Barjazznummer. Egal. Eilig gefaltete Papierflugzeuge der Dankbarkeit landen auf der kleinen Vorderbühne. „Alles tut weh“, singt die Menge mit, so laut wie es nur geht – und fühlt das Gegenteil.
Jetzt geht es wild durcheinander, WM-Hymnen, Trostballaden, eckige Mambos und, zum Mitsingen, „Der Mond ist aufgegangen“. Sogar das satirische Frühwerk „Currywurst“ wird wieder aufgewärmt. Die Zeit heilt alle Wunden. Und die Wunden, die die Zeit allein nicht heilen kann? Die heilt Herbert.