Billie Eilishs neues Album verweist auch auf die tiefen Einflüsse von Lana Del Rey. Zum ersten Mal singt sie echte Popsongs: Selbst in den Ängsten schwingt die Möglichkeit des Glücks mit.
„Hit Me Hard and Soft”Neues Album von Billie Eilish – Unbefangen in der Schreckensvision
Zu den schönsten Momenten dieses nicht sehr schönen Jahres gehört auch Billie Eilishs Gastauftritt in Lana Del Reys Set beim Coachella-Festival.
Dass die beiden Sängerinnen ihrer 16 Jahre Altersunterschied zum Trotz einander freundschaftlich verbunden sind, wusste man spätestens, seit die Jüngere ihr erklärtes Vorbild im Auftrag des „Interview“-Magazins weniger, nun ja, interviewte, als vielmehr anschmachtete. Jetzt sangen sie in der kalifornischen Wüste zusammen ihre jeweils ersten Singles, „Ocean Eyes“ (Eilish) und „Video Games“ (Del Rey), und kicherten dabei, als säßen sie nebeneinander in der letzten Reihe des Klassenzimmers.
Am Freitag (17.5.) hat Billie Eilish mit „Hit Me Hard and Soft“ ihr drittes Studioalbum veröffentlicht, wie immer hat sie es gemeinsam mit ihrem älteren Bruder Finneas aufgenommen, und siehe da: Gleich drei Titel – „The Greatest“, „Wildflower“ und „Blue“ – verweisen direkt auf Songs aus Del Reys Katalog. Das interessiert vielleicht eher in Fanforen, aber der Einfluss reicht tiefer.
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Die ganze Lana in einem großen Freak-Out
Vergangenes Jahr reüssierte die Ältere mit „A&W“ einen gut siebenminütigen Track, der als missvergnügte, psychedelisch gefärbte Folk-Ballade beginnt, nur um sich im langen Outro in eine drogenschwangere Trap-Nummer zu verwandeln. Die ganze Lana in einem großen Freak-Out, das hatte man so noch nicht gehört, es klang wie alles, was an Amerika schillernd und schief gebaut ist.
Auf „Hit Me Hard and Soft“ wendet Billie Eilish denselben Trick gleich mehrmals an: „L’Amour De Ma Vie“ startet als entschieden nicht-elegische Ballade, das Keyboard in pumpender Jahrmarktsorgel-Einstellung, doch weit nach der Drei-Minuten-Marke drückt jemand insistierend aufs Bassdrum-Pedal, Eilishs Stimme – zuvor das intime Flüstern der besten Freundin, die heißen Klatsch am Telefon ausplaudert – schreit plötzlich gegen Autotune-artige Verfremdungen und pulsierende Elektronik eine(n) Verflossene(n) an: „Du warst so mittelmäßig/ Wir sind beide froh, dass es vorbei ist.“
„Hit Me Hard and Soft“ Ein kubistisches Porträt derKünstlerin als junge Frau
So funktionieren hier fast alle Stücke, sie schmeicheln sich sanft den Hörenden an, um im nächsten Moment desto härter zuzuschlagen. „Hit Me Hard and Soft“ beschränkt sich auf zehn Tracks, eine lächerliche Zahl verglichen mit den 27 und 31 der aktuellen Alben von Beyoncé und Taylor Swift. Aber in diesen zehn passiert so viel, dass man am Ende ein vollständiges, kubistisch multiperspektivisches Porträt der Künstlerin als junger Frau vor sich sieht.
Von subtilen Produktionsdetails, die sich erst unterm Kopfhörer erlauschen lassen – Billie bleibt die Königin des aufreizend-entspannenden ASMR-Kribbelns – bis zu absichtsvoll groben Pinseleien: „Lunch“, ein tanzbares Lob lesbischer Oral-Lust („I could eat that girl for lunch“, singt Eilish, ihr Coming-out hatte sie vor ein paar Monaten in einer „Variety“-Story) steigert sich zu wollüstigen, von Eilishs ekstatischen Stöhnen synkopierten Bassschüben. In einem generationenübergreifenden DJ-Set könnte man das direkt in „This Corrosion“ von den Sisters of Mercy übergehen lassen.
Neues Album berichtet davon, wie alle diese Ängste von der Welt bestätigt wurden
Die grellen Goth-Träume aus dem Kinderzimmer, die Monster-unterm-Bett-Klänge von Eilishs erstaunlichem Debüt „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ verbinden sich auf „Hit Me Hard and Soft“ mit den im Stile Julie Londons gehauchten „torch songs“ über Stalker, Bodyshaming und toxische Beziehungen auf dem sarkastisch betitelten Nachfolger „Happier than Ever“.
Man könnte auch sagen: Handelt das erste Album von noch kindlichen Ängsten vor der Außenwelt, berichtet das zweite davon, wie alle diese Ängste der Heranwachsenden von der Welt bestätigt wurden. Teenager sein ist die Hölle, wie muss es sich dann erst anfühlen, der berühmteste Teenager der Welt zu sein: „21 hat ein Leben lang gedauert“, seufzt Eilish an einer Stelle.
Doch aus der Synthese dieser Schreckensvisionen kommt uns ein viel unbefangenerer Mensch entgegen. Auch „Chihiro“ – benannt nach dem Miyazaki-Film – erzählt von unerlöstem Verlangen, doch der Hüftschwung des Basslaufs und die neonleuchtenden EDM-Keyboards, die am Ende alles überstrahlen, künden von Leichtigkeit und der Möglichkeit des Glücks. Billie Eilish mag zum erlesenen Kreis der weltgrößten Popstars gehören, aber hier singt sie zum ersten Mal echte Popsongs.
Die Themen sind noch dieselben: „Die Leute sagen, ich sehe glücklich aus, nur weil ich abgenommen habe“, wundert sich Eilish im Album-Auftakt „Skinny“, woraufhin sie uns versichert, dass ihr altes, wahres Ich noch intakt sei und: „Ich denke, dass es hübsch ist.“ Es folgt ein Streichquartett und das ist auch sehr hübsch.
Im abschließenden Lied „Blue“ zieht sie noch einmal die Summe ihrer bisherigen Erfahrungen, singt von Einsamkeit und Verlassenheitsgefühlen, versucht aufzutauchen, um Luft zu holen, nimmt schließlich den Beat völlig raus, als schlügen die Wellen ein letztes Mal über ihr zusammen. Doch dann setzt unverhofft eine Drum-Machine ein, ein verschleppter Trap-Beat, wie in Lana Del Reys „A&W“. Das Leben geht weiter und die letzten Worte, die Eilish spricht, lauten: „Aber wann kann ich das Nächste hören?“