In Zeiten des ZornsAusstellung „Empört Euch!“ in Düsseldorf nun virtuell zu sehen
Diese Neonröhren lügen nicht. „Und Europa wird fassungslos sein“, warnt die leuchtende Schrift den Betrachter. Gesendet hat die alarmistische Botschaft die Multimediakünstlerin Yael Bartana. Der Israelin mit Wohnsitz in Berlin ging es aber nicht um den prophetischen Blick in eine düstere Zukunft. Mit der dazugehörigen Filmtrilogie einer fiktiven politischen Bewegung polnischer Juden, die in ihre einstige Heimat zurückkehren wollen, sorgte sie 2011 auf der Venedig-Biennale für Furore. Und jetzt auch in der Gruppenschau „Empört Euch!“, die im Düsseldorfer Kunstpalast den Fokus auf aktuelle Positionen politisch engagierter Kunst legt.
Zehn Jahre ist es her, dass Stéphane Hessel in seinem Bestseller „Empört Euch!“ die Gleichgültigkeit gegenüber den wachsenden Ungerechtigkeiten geißelte. Seitdem haben Wut und Zorn globale Hochkonjunktur. Quer durchs politische Spektrum wird auf das „Establishment“ eingedroschen. Kein Wunder, dass auch Künstler die Antriebskraft von Extremgefühlen entdecken, um angesichts der Trumpisierung der Verhältnisse Luft abzulassen.
Ob Populismus, Fake News, Rechtsruck, Demokratieverlust, Rassismus oder Homophobie – die Liste der Schieflagen ist endlos. Das Kuratoren-Duo Linda Peitz und Florian Peters-Messer bezieht in diesem multiplen Feld mit seiner Auswahl eine klare Position, Ambivalenzen sind im Chaos zunehmend irrationaler Haltungen nicht erwünscht.
Ob der Imperativ des Widerstands auch als Impulsgeber für eine neue Ästhetik taugt, lässt sich beim (virtuellen) Rundgang zwar bezweifeln – zumal man gehäuft auf Langzeit-Empörte trifft, von Santiago Sierra über Monica Bonvicini bis zu Kader Attia. Mitunter gerät die Mobilmachung auch arg temperiert.
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Wenn Julian Röder etwa über Jahre Proteste gegen diverse G8-Gipfel fotografiert, dann reiht er sich in eine lange Tradition der Dokumentation politischer Demonstrationen ein, ohne den Bilderkanon je zu durchbrechen. Das gilt auch für die konventionellen Foto-Porträts der Südafrikanerin Zanele Muholi, die in ihrer Heimat lesbischen Frauen und Transgendern zur Sichtbarkeit verhilft.
Aber hier und da unterstützt die Form dann doch überraschend das inhaltliche Anliegen, wenn etwa Nicholas Warburg mit seinem „Bilderatlas Mimir“ (2020) frei nach Aby Warburgs „Mnemosyne“ ein fotografisches Horrorkabinett des rechtsextremen Aufbäumens collagiert. Der 1992 Geborene begnügt sich dabei zu Recht mit der ernüchternden Faktizität der Bilder, von Riefenstahls Olympia-Filmen über Corona-Leugner in KZ-Kleidung bis zur aseptischen Reinheit einer Kinderschokolade-Packung.
Mit Monumentalästhetik spielt auch Šejla Kamerić. Ihr in zehn Metern Höhe angebrachtes Selbstporträt besticht zunächst durch den durchbohrenden Blick, bis der Text, den ein niederländischer Blauhelm-Soldat während des Bosnienkriegs auf eine Kasernenwand in Srebrenica schmierte, den Adrenalinpegel steigen lässt: „Keine Zähne, ein Schnurrbart, Geruch wie Scheiße: bosnisches Mädchen“.
Die Sprengkraft von Humor sollte bekanntlich auch nicht unterschätzt werden. Erik van Lieshout agitierte 2006 Fahrrad fahrend auf einer Grand Tour durch Deutschland. In seiner Installation „Rotterdam-Rostock“ trifft er auf jede Menge Wutbürger, die ihren Aggressionen gegen Migranten, Juden oder Ostdeutsche freien Lauf lassen.
DATEN ZUR SCHAU
Die Kunstpalast-Schau „Empört Euch! Kunst in Zeiten des Zorns“ steht kostenfrei in einem virtuellen 360-Grad-Rundgang zur Verfügung. Sie musste aufgrund des Lockdowns im November 2020 nach nur vier Tagen schließen. Der Rundgang ist abrufbar unter: www.kunstpalast.de/
empoert-euch
Am Ende des analogen Parcours lud eine interaktive Wand zum Beschreiben der Eindrücke ein. Ob das angesichts der gesäten Affekte nicht zu brav gedacht war? Das Kollektiv Slavs and Tatars hätte da wirksamere Kampfmittel im Angebot. Es hat eine Wand mit Saure-Gurken-Plakaten tapeziert. Brisant daran: Sie ähneln weiblichen Brüsten. Dazwischen blickt man sich selbst in einem Spiegelglas an, das einer Kämpferfaust nachempfunden ist. Wiedergeburt von Dada oder feministischer Aufruf zur Küchenschlacht? Kunst in Zeiten des Zorns darf alles – nur nicht kalt lassen.