Graffiti in KölnIst das alles nur Schmutz oder auch Kunst?
Köln – Vor Weihnachten erreichte die Mitarbeiter der Stadt Köln auf dem Dienstweg eine freundliche Ermahnung: „Helfen Sie mit bei der Entfernung von Graffiti an städtischem Eigentum!“, war im Intranet zu lesen, angeregt wurde die gute Tat von der „Kölner Anti-Spray Aktion“ (Kasa), einer Unterabteilung des Amts für öffentliche Ordnung. Unter dem Motto „Nix wie weg mit den Graffiti“ wurden die städtischen Angestellten gebeten, „Farbschmierereien“ und „Verschmutzungen“ zu dokumentieren und einzusenden und so dazu beizutragen, das „Kölner Stadtbild zu verschönern und das Sicherheitsgefühl unserer Bürger und Bürgerinnen zu verbessern“.
Verschwunden und verblasst
Im Prinzip ist an diesem Aufruf gar nichts auszusetzen. Graffiti ist durchaus ein Problem, und verfassungsfeindliche Symbole sollten ohnehin so schnell wie möglich von städtischen Gebäuden entfernt werden. Trotzdem wäre zu hoffen, dass der „Hilferuf“ zumindest im Kölner Kulturdezernat auf eine gewisse Grundskepsis gestoßen ist. Schließlich ist Graffiti nicht erst seit gestern ein Teil der Kunstwelt und findet seinen Weg mitunter auch in Kölner Museen. So zeigt etwa das Museum Schnütgen im Frühjahr 2022 eine Ausstellung mit Werken des Sprayers Harald Naegeli, der Ende der 70er Jahre zunächst die in Beton gegossene Ordnung seiner Heimatstadt Zürich störte und seine illegalen Strichfiguren später auch in Köln an städtischen Wänden hinterließ. Viele Kölner Graffiti des mittlerweile 81-jährigen Wahldüsseldorfers sind verschwunden oder verblasst – man könnte diese Klassiker der Straßenkunst also durchaus für erhaltenswert ansehen. Stattdessen stellen wir uns vor, wie die Schnütgen-Kuratoren im Museum eine Naegeli-Leinwand aufhängen, und draußen vor der Tür strahlen die Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe das dazugehörige Original in offiziellem Auftrag und guten Gewissens von der Wand.
Selbstredend ist beileibe nicht jedes Graffiti auch gleich Kunst, und selbst wenn es Kunst wäre, stünde es, sagen wir, einem Eigenheimbesitzer frei, dieses an seinem Privatbesitz hinterlassene Kunstwerk ganz privat als Sachbeschädigung anzuzeigen und auf Kosten des Verursachers entfernen zu lassen. Der Verwaltung einer selbst ernannten Kunst- und Kulturstadt sollte beim Stichwort Graffiti hingegen mehr einfallen als „Nix wie weg damit“. Sie könnte ihre Mitarbeiter beispielsweise dazu aufrufen, „vergessene“, verblasste oder vor der „Kölner Anti-Spray Aktion“ tunlichst zu rettende Graffiti zu dokumentieren und ans Kulturdezernat zu melden. Auf Anfrage dieser Zeitung teilte das Ordnungsamt dazu mit: „Sollte bei einem Kunstwerk der Verdacht aufkommen, dass es sich um ein schützenswertes Werk – beispielsweise eines bekannten Streetartkünstlers – handeln könnte, ruft dies das Kulturdezernat und den Kunstbeirat auf den Plan.“
Ohne Naegeli kein Banksy
Aktuell steht die halb-offizielle Zählung an Kölner Naegeli-Werken bei fünf: ein legaler „Totentanz“ an der Fassade des Museum Schnütgen, zwei gut erhaltene Strichmännchen im Elefantenhaus des Zoos, ein todgeweihtes Skelett in der Nähe des Philosophikums, ein verwaschener Totenschädel am Konrad-Adenauer-Ufer und eine Strichfigur an der Villa des Sammlers Louis Peters. Es dürfte freilich noch weit mehr Kölner Naegeli-Relikte geben, denn vor allem in den 80er Jahren war die Stadt ein beliebtes Revier des Sprayers. Ermutigt hatte ihn unter anderem Peters, ein auf Kunstrecht spezialisierter Anwalt, der 1982 in einem Naegeli-Bildband befand, es müsse verboten sein, „Wände, Mauern und Fassaden unberührt zu lassen“. Die produktive Störung der öffentlichen Ordnung galt schließlich mal als oberste Künstlerpflicht und mausert sich auch heute mitunter zum Publikumserfolg; ohne Naegeli gäbe es wohl keinen Banksy, zumal auch Harald Naegeli seine Karriere als geheimnisvoller Unbekannter begann. Legal sind beider Taten nicht, was zumindest Louis Peters aber niemals in Gewissensnöte brachte: „Eine Stadt, die man liebt und in der man wirklich lebt“, schrieb er, „die muss auch grafische Knutschflecken vertragen können.“ Peters vergas damals auch nicht zu erwähnen, dass das Kölner Amt für öffentliche Ordnung Anfang der 80er Jahre noch einen angenehm doppeldeutigen Namen trug; es war nämlich zuständig für „Straßenbau und Unterhaltung“.
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In Sachen Straßenkunst war Köln also schon mal deutlich liberaler und deutlich weiter, und das, obwohl es hier seit 2011 mit „City Leaks“ ein lokales Straßenkunst-Festival gibt. So ganz glücklich ist der Titel nicht gewählt, riecht er doch etwas nach Urin. Andererseits passt das durchaus zu den zahllosen Mauern, Hinterhöfen und Unterführungen, an denen mal mehr und mal weniger begabte Sprayer mit Kritzeln oder hoher Malkunst ihr Revier markieren. Auch den haushohen Wandgemälden im Kölner Stadtbild lässt sich leicht ansehen, wie erstaunlich konservativ die Graffiti-Szene in handwerklicher Hinsicht ist. So eindeutig kommt Kunst sonst nirgendwo von Können.
Ein Könner seines Fachs ist auch Harald Naegeli. Seine Figuren sind aufs Nötigste reduziert, nichts als ein paar elegante Striche und Schwünge, die noch die ödeste Betonwand zur Bühne elementarer Menschheitsfragen veredeln können. Seinen tanzenden Knochenmann am Museum Schnütgen, eine moderne Interpretation eines mittelalterlichen Motivs, setzte er 1980 mit Erlaubnis des damaligen Museumsdirektors Anton Legner in den steinernen Rahmen einer zugemauerten Kirchentür. Seine Arme gespreizt, die Beine breit, scheint er die Säulen zu halten und das gesamte Mauerwerk vor dem Einsturz zu bewahren. Das sollte bedenken, wer ein Naegeli-Original und Graffiti im Allgemeinen entfernen lässt.