In einer städtischen Kunst-Datenbank taucht eine Skulptur der Performance-Künstlerin Marina Abramovic auf. Das wäre eine ziemliche Sensation.
Aber der grobe Stein, der im Kölner Kulturzentrum am Neumarkt steht, ist wohl kein Werk der Künstlerin. Über die Geschichte einer kuriosen Umwidmung.
Gleich daneben findet sich übrigens ein echter Totentanz von Sprayer Harald Naegeli an der Wand.
Köln – Es ist nicht einfach, den Skulpturengarten zu überblicken, zu dem sich Köln in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. In der städtischen Datenbank „Kulturelles Erbe Köln“ findet sich ein imposantes Sammelsurium aus alten und neuen Objekten, Denkmälern und Mahnmalen – und sogar ein Kunstwerk, das gar keines ist. Im Verzeichnis „Kunst im öffentlichen Raum“ des Kölner Kulturdezernats wird eine „Stele“ aus behauenem Granit geführt, die eine kunsthistorische Sensation wäre, stammte sie tatsächlich wie angegeben von Marina Abramović und Ulay.
Schallende Ohrfeigen, 20 Minuten lang
In den 1970er Jahren wurde das serbisch-deutsche Künstlerpaar mit Performances berühmt, in denen es nicht zuletzt um die Unmöglichkeit der Liebe ging. Auf dem Kölner Kunstmarkt von 1977 sah man die beiden einander gegenüber knien, während sie sich abwechselnd schallende Ohrfeigen verpassten. Zunächst langsam, dann immer schneller, handgestoppte 20 Minuten lang. Erst die Erschöpfung machte dem ritualisierten Geschlechterkampf ein Ende.
So bekannt Abramović und Ulay bis heute für ihre Performances sind (ihre Trennung inszenierten sie 1988, indem sie 90 Tage auf der Chinesischen Mauer aufeinander zu marschierten), so selten sind sie als Schöpfer klassischer Skulpturen in Erscheinung getreten. Aus dem Jahr 1987 stammt „Die Sonne, der Mond“, zwei jeweils 180 Zentimeter hohe schwarze Vasen aus Polyester, die eine matt, die andere glänzend, als Symbole für Mann und Frau. Aber selbst dieses Werk ist nicht im Entferntesten mit dem rauen Stein vergleichbar, der mannshoch im Hinterhof des Kulturzentrums am Neumarkt steht. Offenkundig gehört die „Stele“ nicht zum Sammlungsbestand der hier logierenden Museen (das Schnütgen zeigt mittelalterliche Kunst, das Rautenstrauch-Joest ethnologische Objekte), und auch eine Nachfrage beim Kölner Stadtkonservator bleibt erfolglos.
Erst Wulf Herzogenrath weiß Rat. Der langjährige Direktor des Kölnischen Kunstvereins erinnert sich daran, dass Abramović und Ulay 1985 im Rahmen ihrer Ausstellung „Modus Vivendi“ im Kunstverein eine Freiluft-Performance zeigten und die „Stele“, die damals noch nicht so hieß, zu den Requisiten zählte. „Ein Kunstwerk ist das nicht“, so Herzogenrath, der nicht mehr weiß, wer damals den Stein besorgte und über die vollzogene „Umwidmung“ zur Abramović-„Reliquie“ staunt. Dass die Künstler mit dem Ungetüm anreisten, schließt er aus.
Nach Ende der Ausstellung blieb der schwere Stein zwischen Parkplatz und Büroeingang stehen. „Für uns wäre ein Abtransport viel zu teuer gewesen“, so Herzogenrath. „Als ich 1989 wegging, war das Ding immer noch da.“ Eingelagert wurde es dann offenbar, als Kunstverein und Kunsthalle abgebrochen wurden, um Platz für das neue Kulturzentrum am Neumarkt zu machen. Als die Museen 2010 eröffnet wurden, kehrte er dann offenbar als „Stele“ von Abramović und Ulay an den angestammten Platz zurück. Diese Zuschreibung findet sich jedenfalls in einem im Jahr 2016 für das Kulturdezernat erstellten Zustandsbericht, dem „Monitoring von 14 Außenskulpturen in der Kölner Innenstadt“. Vor Ort fehlt hingegen jeder Hinweis auf den Stein.
Vermutlich wird aus dem Hinterhof des Kulturzentrums kein Pilgerort der Kunstszene mehr – dabei gibt es dort ein Werk, das mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als es erhält. Es geht um den „Totentanz“ des Sprayers Harald Naegeli, der seinen behänden Knochenmann 1980 an die Wand des Museum Schnütgen zeichnete und diese moderne Interpretation eines mittelalterlichen Motivs mit Erlaubnis des damaligen Museumsdirektors Anton Legner 1989 erneuerte; die Jahre und weniger talentierte Sprayer hatte dem Tödlein sichtlich zugesetzt.
Zur Serie
Im Kölner Stadtraum gibt es weit mehr als 450 Denkmäler und Skulpturen. Manche werden geliebt und gehegt, andere verspottet, die meisten aber schlicht übersehen. Wir wollen an Kunstwerke erinnern, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind, und fragen nach dem Sinn von Kunst im öffentlichen Raum.
Anders als in den berühmten Totentänzen des Mittelalters, in denen sich jeder Mensch ohne Ansehen von Stand und Geschlecht in den Reigen des Sterbens einreihen musste, tanzt Naegelis gestrichelter Knochenmann allein. Gleichwohl nicht auf seinem kalten Grabstein, wie der Aberglaube will, sondern im steinernen Rahmen einer zugemauerten Kirchentür. Seine Arme gespreizt, die Beine breit, scheint er die Säulen zu halten und das gesamte Mauerwerk vor dem Einsturz zu bewahren.