Ina Ruck, ARD-Korrespondentin in Moskau seit 2018, spricht über ihre Arbeit in Russland in Kriegszeiten und das Risiko für Journalisten.
Russland-Korrespondentin Ina Ruck„Wer in den Krieg zieht, kommt als reicher Mann zurück“
Frau Ruck, Sie berichten als Auslands-Korrespondentin für die ARD aus Moskau. Auf ihrem „X“-Profil (ehemals Twitter) schreiben Sie in ihrer Biografie: „Back in Moscow, at the worst of times.“ Ist das eine Anspielung auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine?
Das habe ich schon lange vor dem Krieg geschrieben, nämlich, als ich 2018 zurück nach Moskau gekommen bin. Ich hatte schlicht das Gefühl, es geht mit allem den Bach runter. Schon damals war klar, es wird schwieriger: für Menschenrechte, für Pressefreiheit. Wir hatten bereits Sanktionen, wir hatten ein sich immer weiter abschottendes Russland. Es war abzusehen, dass das kein kurzer Prozess ist. 2022 ist dies dann im großen Stil verfestigt worden.
Der Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist jetzt mehr als eineinhalb Jahre her. Wie hat sich das Leben und Arbeiten in Moskau seit Kriegsbeginn verändert?
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Ich kann zum Beispiel nicht mehr über die Ukraine berichten. Die äußeren Umstände haben sich auch geändert, wir können nicht mehr so schnell hin- und herfahren wegen der Sanktionen. Die Wege nach Europa sind sehr kompliziert geworden, unter zwölf Stunden geht nichts mehr.
Einschränkungen bei der Berichterstattung und kaum Gesprächspartner
Mit welchen Einschränkungen haben Sie noch zu kämpfen?
Natürlich hat sich auch die reine Berichterstattung stark verändert. Wir haben sehr schnell verstanden, dass uns die neuen, harschen, russischen Mediengesetze gefährlich werden können. Diskreditierung der russischen Armee etwa ist ein Straftatbestand, aber der ist sehr weich und unklar gefasst. Es ist möglich, dass man mit einer Strafe rechnen muss, wenn man beispielsweise schreibt: „Russland hat an diesem und jenem Ort eine vernichtende Niederlage erlitten“. Die Berichterstattung rund um die russische Armee wird im WDR deshalb nicht mehr vom Studio Moskau gemacht.
Welche Einschränkungen bei der Berichterstattung gibt es seitens der Regierung?
Anders als die russischen Medien können wir einigermaßen frei berichten. Aber Einschränkungen gibt es dennoch. Wir müssen etwa sehr auf unsere Gesprächspartner achten. Es ist ohnehin extrem schwer geworden, Gesprächspartner zu finden. Früher war das anders. Die Russinnen und Russen sind eigentlich sehr mitteilungsfreudig, sagen gerne ihre Meinung und haben kein Problem damit, gefilmt zu werden. Das ist jetzt anders.
Angst und Misstrauen: Die Auswirkungen der „unfreundlichen Staaten“-Politik
Woran liegt das?
Das liegt daran, dass Deutschland und die anderen EU-Staaten wie auch die USA in Russland offiziell zu unfreundlichen Staaten erklärt worden sind – und mit unfreundlichen Staaten will man nichts zu tun haben. Die meisten Menschen sagen: „Mit euch rede ich doch nicht, ihr unterstützt die Ukraine“. Dann gibt es solche, die hinter vorgehaltener Hand sagen: „Ich würde eigentlich mit euch sprechen, aber ich kann mir das nicht leisten, das könnte mich gefährden“. Sie haben einfach Angst, mit uns zu sprechen.
Wie gehen Sie mit dem Wissen um, dass manche Äußerungen für Ihre Gesprächspartner gefährlich werden könnten?
Wir raten manchen Menschen, die mit uns sprechen wollen, bestimmte Dinge nicht zu erzählen, um ihre Sicherheit nicht zu gefährden. Wir wägen auch ganz genau ab, welche Szenen oder Antworten wir senden können. Das erschwert unsere Arbeit. Es mag wie Selbstzensur aussehen, aber ich denke, es ist schlicht ein verantwortungsvoller Umgang mit den Menschen, die man interviewt.
Fühlt es sich für Sie noch richtig an, in Russland zu sein?
Es ist richtig und wichtig, dass wir nach wie vor hier sind. Es braucht Augenzeugen. Was hier passiert, ist Geschichte. Man kann sich nicht allein darauf verlassen, was die eine oder die andere Seite erzählt. Man muss vor Ort sein. Natürlich kann es jederzeit passieren, dass eine Akkreditierung entzogen oder nicht verlängert wird. Das passiert hier eher willkürlich.
Gab es für Sie eine Situation, über die Sie berichten wollten, wo Sie aber gesagt haben: „Das ist mir zu gefährlich?“
Es gibt Situationen, wo uns jemand eine Information stecken will und wir nicht wissen, ob die Information echt ist. Von sowas sollte man die Finger lassen und nicht riskieren, sich und das Team zu gefährden.
Kritik an Kriegsfolgen, nicht an Kriegsgrund – Unterdrückung von Protesten
Wagen Sie eine Prognose, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine weitergehen wird?
Das kann ich nicht sagen. Ich kann nur sagen, was man hier davon hält. Die ernüchternde Wahrheit: Die Mehrheit steht hinter diesem Krieg oder kritisiert ihn zumindest nicht. Die einzige Kritik, die geäußert wird, besteht darin, dass Menschen Kriege grundsätzlich negativ betrachten, da sie zum Tod von Menschen führen. Aber den Kriegsgrund, also Russlands vermeintliches „Recht“, diesen Krieg zu führen und sich Teile der Ukraine einzuverleiben, stellen nur sehr wenige infrage.
Das heißt, es gibt auch keine Proteste gegen den Krieg?
Zu Beginn des Krieges gab es vereinzelt Proteste, diese wurden aber schnell unterdrückt. Nicht mal in Gegenden, aus denen viele Männer in den Krieg gezogen sind und wo es viele Soldaten gibt, die nicht lebend nach Hause kommen, gibt es Proteste. Das hat mehrere Gründe. Man hört aufgrund der Propaganda keine andere Meinung in den offiziellen Medien mehr und auch im Internet und über die sozialen Medien wird es immer schwieriger, sich unabhängig zu informieren.
Welche weiteren Gründe gibt es?
Zweitens spielt es eine Rolle, dass das Land so riesig ist. Die Kriegstoten verteilen sich über das ganze Land, besonders die dörflichen, oft dünn besiedelten armen Regionen sind betroffen. Es gibt kaum Gelegenheiten, dass Menschen aus verschiedenen Regionen zusammenkommen und feststellen: Eigentlich halten wir beide nichts von diesem Krieg. Der dritte Grund ist, dass es für den Kriegsdienst viel Geld gibt, die Zahlungen liegen weit über dem russischen Durchschnittsgehalt. Wer also in den Krieg zieht, kommt als reicher Mann zurück.
Aber die vielen Toten führen nicht zu einem Umdenken?
Wenn ein Familienmitglied stirbt, möchte man im Nachhinein nicht darüber nachdenken, ob dieser Tod falsch war und ob die Person in einem sinnlosen Krieg gestorben ist – stattdessen wird sie zum Helden gemacht. Der Staat hilft dabei: Es gibt Geld, einen Orden, eine Ehrung, vielleicht sogar einen persönlichen Brief des Präsidenten. Das will niemand kritisieren.
Putin’s Unterstützung: Großstädte als Protestpotential und Mehrheit im ganzen Land
Ist die Stimmung in den Großstädten anders als auf dem Land?
In Moskau, wie in anderen Großstädten, ist die Gruppe derer, die sich unwohl fühlen mit der Situation, mit Sicherheit viel größer. Die Großstädte sind für Putin am ehesten ein Problem, hier werden wohl deshalb mit Abstand die wenigsten Menschen für den Krieg rekrutiert, weil man weiß, dass hier das Protestpotential im Zweifel am größten ist. Wenn wir aber über das ganze Land reden, hat Putin eine sehr komfortable Mehrheit hinter sich, die richtig findet, wie er agiert.
Wie gehen Sie mit dem Spannungsfeld um, im digitalen Zeitalter schnell sein zu müssen und dabei trotzdem korrekt zu berichten?
Die Antwort muss sein, im Zweifel nicht zu berichten, leider. In manchen Fällen bleibt nur die Lösung, dass man eine Live-Schaltung macht und die Umstände erklärt. Erklärt, was man weiß und was nicht.
Sind Sie der Meinung, dass der Fokus durch die jüngsten Geschehnisse im Nahostkonflikt den Blick der Weltöffentlichkeit vom Krieg in der Ukraine lenkt?
Für Russland ist es von Vorteil, dass der Blick der Weltöffentlichkeit im Moment ein bisschen weg geht von der Ukraine. An sich ist das aber eine normale Reaktion, die eine Nachricht schlägt die andere. Aber es ist wichtig, die andere Sache nicht zu vergessen und wieder auf die Tagesordnung zurückzuholen, denn der Krieg gegen die Ukraine geht ja weiter. Wir haben einen Tag mit den größten Angriffen von russischer Seite aus gesehen, kurz nach den Ereignissen in Israel und in Gaza.
Glauben Sie als Korrespondentin, die täglich mit Krieg konfrontiert wird, noch an eine bessere Welt?
Konflikte in der Welt gehören dazu. Es gehört auch dazu, reicher sein zu wollen als der andere, privilegierter. Das sind menschliche Grundzüge, und ich glaube, die kriegt man nicht weg. Die Aufgabe ist es, sich dieser Dinge bewusst zu sein und sie in ein regelbasiertes System zu überführen. Das kann nur die Demokratie sein. Sie hat aber auch viele Schwächen und ihre Feinde wissen, wie sie diese Schwächen ausnutzen. Das sehen wir jetzt auf allen Ebenen, das sehen wir in Deutschland, das sehen wir in der Welt. Wir müssen das System verbessern, aber vor allem müssen wir es bewahren.
Zur Person
Ina Ruck, geboren 1962, studierte Slawistik, Politikwissenschaft und Publizistik in Münster. Sie absolvierte ein Volontariat beim NDR und arbeitete als Redakteurin und Reporterin für das „ARD Morgenmagazin“. Nach einem Journalistenstipendium bei ABC in Boston war sie Fernsehkorrespondentin im ARD-Studio Moskau und beim WDR. Seit Dezember 2008 leitet sie das ARD-Studio Moskau.