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Jubiläumskonzert im StadionNiemand singt so lässig über Sex wie Roland Kaiser

Lesezeit 6 Minuten
Roland Kaiser steht auf der Bühne, er trägt einen grauen Anzug mit schwarzem Jackett, im Hintergrund spielen Bläser und Streicher

Roland Kaiser feiert im Rheinenergie-Stadion seine lange Karriere.

Roland Kaiser feiert im Rheinenergie-Stadion seine 50-jährige Karriere in 50 Liedern und zeigt, dass er nicht nur über das Eine singen kann

Roland Kaiser trägt Anzug. Das macht der Sänger seit Beginn seiner Karriere vor 50 Jahren, es ist seine Arbeitsbekleidung. Er macht das aus Respekt vor seinem Publikum und weil er damals, in den 70er Jahren, Angst hatte, sich in der ZDF-Hitparade umziehen zu müssen, wenn dem Regisseur das Outfit nicht gepasst hätte. Gegen einen Anzug kann niemand etwas sagen, der geht immer, ob Fernsehgarten oder riesige Stadionbühne.

Gut 40.000 Menschen sind am Samstagabend ins Rheinenergie-Stadion gekommen, um mit dem 72-Jährigen 50 Jahre seiner Karriere zu feiern. Das Wetter lässt ihn zu Beginn im Stich, die Sonne versteckt sich hinter den Wolken, es beginnt zu regnen. Aber Kaiser kümmert das nicht. Der Anzug sitzt perfekt. Graue Hose, graue Weste, schwarze Jacke und Krawatte, weißes Hemd, weißes Einstecktuch. Und die Freude über die Menschenmenge, für die er sich in Schale geworfen hat, wirkt sehr authentisch.

Mehrfach bedankt er sich im Laufe des Abends für die Unterstützung durch ein halbes Jahrhundert Karriere: „50 Jahre auf der Bühne klingt nach viel Arbeit und Stress. Aber es war Freude und Glück - ein halbes Jahrhundert Musik machen zu dürfen ist ein Geschenk, das ihr mir gemacht habt.“ Die Verbeugungen sind tief – und passend zum Anzug formvollendet. Und die ersten Fangesänge gibt es schon gleich zu Beginn.

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600 Titel hat Kaiser im Laufe seiner Karriere aufgenommen

50 Lieder für 50 Jahre hat er seinem Publikum versprochen. Und er hält Wort. Da verzeihen sie ihm gerne, dass er sie teilweise in drei Medleys zusammenfassen muss: „Sonst müsstet ihr hier übernachten.“ Manche hätten das vermutlich sogar gerne in Kauf genommen, zumal sich die Anreise, wie schon beim Konzert von Peter Maffay am Vorabend, für viele als sehr mühsam erweist. Erst lange nach Konzertbeginn treffen die letzten Zuschauer im Rund des Stadions ein.

Als aus Ronald Keiler Roland Kaiser wurde, punktete der Sänger mit seiner tiefen, vollen Stimme mit hohem Wiedererkennungswert und seinem blendenden Aussehen. Kaiser war das, was man früher einen Frauenschwarm nannte. Charmant ist er heute noch immer, aber er weiß, dass es peinlich geworden wäre, auch mit jenseits der 70 noch den jugendlichen Verführer zu spielen. Er ist in Würde gealtert.

50 Songs, das klingt viel, aber Kaiser hat im Laufe seiner Karriere mehr als 600 Titel aufgenommen, sie sind also nur ein kleiner Ausschnitt. Mehr als 90 Millionen Tonträger hat er verkauft, niemand war häufiger in der ZDF-Hitparade zu Gast. Er ist der größte männliche Star in der deutschen Schlager-Szene. Und nach diesem Abend weiß man auch warum. Kaiser und seine sehr gute, souveräne Band spielen sich beinahe atemlos durch mehr als zweieinhalb Stunden Show. Ob Bläser, Streicher oder Background-Sängerinnen, hier wissen alle, was sie tun. Und der Star des Abends weiß es auch.

Er hat es nicht nötig, sich die großen Hits fürs Finale aufzuheben, er hatte so viele, dass er schon nach einer guten halben Stunde einen der Evergreens, die er sich immer wünschte, wie er sagt, anstimmt. Da reicht ein „Um dada um dada um…“ und die Menge jubelt. „Santa Maria“ ist einer der bekanntesten Schlager Deutschlands, und er funktioniert noch immer. Das liegt auch daran, dass Kaiser und seine Band die Songs neu arrangiert und so entstaubt haben. Besonders wichtig ist ihm das bei „Sieben Fässer Wein“, dem einzigen seiner Songs, den er eigentlich nicht singen wollte, weil er nicht zu ihm passe, der dann aber ein großer Hit wurde.

Seine Stimme klingt immer noch voll und tief und lässt auch im Laufe der Stunden nicht nach

Eine so große Menschenmenge über Stunden bei Laune zu halten, ist eine Mammutaufgabe. Kaiser meistert sie mit bewundernswerter Leichtigkeit. Sollte ihn der Abend anstrengen, sieht man ihm das überhaupt nicht. Das ist umso erstaunlicher, weil er zwischenzeitlich an einer schweren Lungenerkrankung litt, die jeden Auftritt undenkbar machte. Nach einer Lungentransplantation feierte er 2010 sein Comeback – und er genießt diesen Karriereherbst sichtlich.

Seine Stimme klingt immer noch voll und tief und lässt auch im Laufe der Stunden nicht nach. Der Gang ist vielleicht etwas bedächtiger als früher, aber hier steht kein alter Mann.

Schlager hat ja bei vielen Musikfans einen schweren Stand, als bieder, brav, belanglos ist er verschrien. Den Fans im Stadion ist das egal. Das Publikum ist erstaunlich heterogen. Ja, da sind die Damen in ihren 60ern, die das tragen, was Friseure gerne einen frechen Kurzhaarschnitt nennen, aber es finden sich auch viele Jüngere im Publikum. Eine Zuschauerin um die 40 würde mit ihrem stylischen schwarzen Pagenschnitt und den lässigen Klamotten auch in jedes Hipster-Café passen, aber sie steht hier und schmettert jeden Song mit.

Und um alle Vorurteile zu widerlegen, muss man festhalten, dass auch viele Männer im Publikum sehr textsicher mitsingen, das gilt für den Teenie, der mit seiner Mutter da ist, ebenso wie die Herren, die im Innenraum mit ihren Partnerinnen Discofox tanzen. Und die rosafarbenen, blinkenden Krönchen, die viele tragen, sind sowieso generationenübergreifend.

Ich singe gerne über das Eine, weil es die schönste Nebensache der Welt ist.
Roland Kaiser

Dem biederen Image des Schlagers trotzt Kaiser auch deshalb, weil seine Liedtexte, die er selbst schreibt, so gar nicht bieder sind, im Gegenteil. Man wird lange suchen müssen, bis man Musiker findet, die so gerne so ausführlich über Sex singen wie Kaiser. Es ist ein Abend im Zeichen der Liebe - und zwar vor allem der körperlichen. In den Zeitungen stehe ja häufig: Kann dieser Mensch immer nur über das eine singen? Hat er keine anderen Themen? „Doch, aber ich singe gerne über das Eine, weil es die schönste Nebensache der Welt ist.“

Es ist vielleicht seine erstaunlichste Leistung, dass er Zeilen wie „Ich hab dich tausendmal geliebt und aus dem Kelch der Lust getrunken“ oder „Die Sehnsucht macht sich breit auf meinem Kissen“ über die Lippen bekommt, ohne rot zu werden. Erhielte man für jede Erwähnung der Worte Zärtlichkeit, Leidenschaft, Sehnsucht und Lust einen Euro, wäre der Ticketpreis schnell wieder drin. Da verzeiht man ihm auch manche Zeile, die heute doch ziemlich verunglückt klingt, wie „Sie war so zärtlich, beinah wie ein kleines Kind“.

Wenn einer die Leidenschaft erfunden hat, wie es in einem Lied heißt, dann ist es der 72-Jährige. Und warum denn auch nicht? Essen sei der Sex des Alters, heißt es ja manchmal despektierlich. Nicht bei Roland Kaiser. Da ist Sex der Sex des Alters. Gegessen wird eigentlich gar nicht. Getrunken höchstens mal ein Glas Rosé. Man sagt den Deutschen ja nach, ziemlich verklemmt zu sein, wenn es um Sex geht. Da hat Kaiser also fünf Jahrzehnte Aufklärungsunterricht geliefert. Und er ist dabei ehrlicher als viele seiner Kollegen. Die singen von der ewigen Liebe, er singt vom wahren Leben, oder zumindest dem, was sich viele davon erhoffen: Sehnsucht, Seitensprünge (die allerdings meist nur im Kopf stattfinden) und Leidenschaft.

Und es stimmt auch nicht, dass Kaiser nur an das Eine denkt. Er hatte keinen leichten Start ins Leben. Seine Mutter setzte ihn als Baby aus, eine Pflegemutter zog ihn groß. Er hat seine Anfänge nicht vergessen, ist überzeugter Sozialdemokrat, engagiert sich für andere. „Immer wieder glaube ich daran, dass auch das Gute gewinnen kann. Steter Tropfen höhlt den Stein und bald werden wir ganz viele sein“ singt er in „Liebe kann uns retten“, das Publikum winkt dazu mit Taschentüchern. An diesem Abend möchte man es ihm glauben.