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„Vultures 1“ mit Ty Dolla SignDer von Antisemitismus geprägte Weg zum neuen Album von Kanye West

Lesezeit 6 Minuten
Der Rapper Ye, früher bekannt als Kanye West, sieht sich ein Basketballspiel zwischen den Washington Wizards und den Los Angeles Lakers an. (Archivbild)

Kanye West hat im Vorfeld der Veröffentlichung seines neuen Albums „Vultures 1“ für viel Aufsehen gesorgt – vor allem negativ. (Archivbild)

Der Einfluss des US-Rappers ist unumstritten – deshalb scheint er mit seinem neuesten Werk trotz offener Judenfeindlichkeit erneut erfolgreich davonzukommen.

Die Karriere von Kanye West war schon immer geprägt von Eskapaden und Skandalen. So donnerte der US-Rapper im September 2005 während einer TV-Sendung „George Bush doesn't care about black people“ heraus, neben dem zurecht perplexen Austin-Powers-Schauspieler Mike Myers.

Obwohl es eigentlich darum ging, Spenden für die Opfer von Hurrikan Katrina zu sammeln. Eine Dankesrede von Taylor Swift bei den Video Music Awards 2009 unterbrach er, um stattdessen „Beyoncé had one of the best videos of all time“ in das Mikrofon zu rufen.

Momente wie diese ließen sich jedoch immer mehr oder weniger wegschmunzeln. Er ist schließlich Kanye West. Ein Egoman. Ein Exzentriker. Mit einer gewaltigen Hybris. Aber auch ein musikalisches Genie und einer der wichtigsten Künstler der Neuzeit. Dessen preisgekröntes und erfolgreiches Schaffen nicht nur die Populärmusik dauerhaft prägte.

Das Problem bei „Vultures 1“ ist Kanye West

Egal, was der Rapper macht – die ganze Welt schaut und hört sehnsüchtig zu. Deshalb ist es wenig überraschend, dass „Vultures 1“, das am Samstag (10. Februar) erschien, direkt die Apple-Music-Charts in etlichen Ländern anführt. Es ist das erste Album der Rap-Superduos ¥$, einer Kollaboration von Kanye West mit seinem Sprechgesangskollegen Ty Dolla Sign. Teil zwei und drei sind bereits für den 8. März und 5. April angekündigt.

Das erste Album der „Vultures“-Reihe sollte ursprünglich im Dezember 2023 herauskommen, wurde aber seitdem mehrmals verschoben. Für ein Kanye-West-Album sind geplatzte Termine kein Novum. Der Perfektionist ist bekannt dafür, bis zuletzt noch an seinen Werken zu feilen. Oder sie gar im Anschluss an die Veröffentlichung noch zu verändern. Das dürfte aber weniger das Problem bei „Vultures 1“ gewesen sein.

Sondern es ist Kanye West. Und der hat es mittlerweile schwer, Musik zu veröffentlichen. Oder Konzerte zu spielen – erst kürzlich beklagte West, dass er keine Arenen mehr buchen könne. Das dürfte an der Tatsache liegen, dass der 46-Jährige seit Jahren ein bekennender Antisemit ist.

Belege dafür gibt es reichlich: Im Oktober 2022 kündigte der Rapper, der sich selbst nur Ye nennt, auf X (ehemals Twitter) „Death Con 3“ gegenüber jüdischen Menschen an. Antisemitische Aussagen folgten in diversen Podcasts und Interviews mit bekannten US-Rechtsextremisten. Bei den „InfoWars“ von Alex Jones erklärte der Rapper etwa seine Liebe zu Adolf Hitler und den Nazis, zudem leugnete er den Holocaust.

Adidas, Balenciaga, sein Label Universal und weitere Partner beendeten Ende 2022 schließlich die Zusammenarbeit mit dem Rapper. Im März 2023 entschuldigte sich Kanye West für seinen Antisemitismus in einem (inzwischen gelöschten) Post auf Instagram. Die Komödie „21 Jumpstreet“ mit dem jüdischen Schauspieler Jonah Hill habe ihn dazu gebracht, wieder Juden zu mögen.

Kanye West vergleicht sich mit Jesus – und Hitler

Doch im Dezember 2023 war es damit offenbar wieder vorbei. Als das Album „Vultures“ mit einer gleichnamigen Single angekündigt wurde, rappte West höhnisch in dieser: „Wie kann ich antisemitisch sein, ich habe gerade eine jüdische Schlampe gefickt?“

Das damals veröffentlichte Albumcover zeigte das Bild „Landschaft mit Grab“ von Caspar David Friedrich und einen „Vultures“-Schriftzug. Es erinnerte stark an ein ähnliches Albumcover der umstrittenen Black-Metal-Band Burzum des Rechtsextremisten Varg Vikernes.

Bei einem privaten ¥$-Event äußerte sich West erneut antisemitisch und verglich sich mit Jesus – und Hitler. Wenig Tage später entschuldigte er sich wieder. Dieses Mal in einem (ebenfalls mittlerweile gelöschten) Instagram-Post auf Hebräisch, in dem er die Jüdinnen und Juden um Vergebung bat und Besserung gelobte.

Die Reue hielt allerdings nicht lange an: Kanye West posierte im Januar 2024 auf einem Foto mit einem Burzum-Shirt neben dem Rapper JPEG Mafia. Das von der rechtsextremen Black-Metal-Band inspirierte Cover tauschte er kurz zur Veröffentlichung des Albums gegen eines aus, das nun den Rapper mit einer Jason-Vorhees-Maske (aus der Horrorfilmreihe „Freitag der 13.“) neben seiner leicht bekleideten Freundin Bianca Censori zeigt.

„Vultures 1“: Weit entfernt von Kanye Wests Meisterwerken

Wird all das ausgeblendet – sofern überhaupt möglich – ist „Vultures 1“ ein grundsätzlich solides Rap-Album. Besonders „Carnival“, der sicherlich stärkste der 16 Titel, und „Fuk Sumn“ sowie „Burn“ stechen heraus. Darüber hinaus ist das Album, bis auf ein paar interessante Momente, nichts Besonderes. Und so niedlich es auch ist, dass Kanye West in „Talking“ seine Tochter North West dazu holt – aufgewertet wird der ohnehin schon eintönige Song dadurch nicht.

Selbst die fanatischsten Verehrer des Rappers dürften vermutlich zustimmen: Von den musikalischen Meilensteinen, wie sie Kanye West etwa mit „Graduation“ oder „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ gelungen sind, ist das erste ¥$-Werk weit entfernt.

Selbst Ozzy Osbourne nennt Kanye West einen Antisemiten

Da Antisemitismus jedoch kein Kavaliersdelikt ist, sondern eben extrem gefährliche Menschenfeindlichkeit, müssen Kanye-West-Fans sich nun die Frage stellen, wie weit die Trennung zwischen Kunst und Künstlern überhaupt möglich ist. Genauso wie Ty Dolla Sign und die vielen anderen namhaften Musikerinnen und Musiker, die an „Vultures 1“ mitarbeiteten. Unter anderem Timbaland, Travis Scott, James Blake oder Chris Brown.

Umso wichtiger ist es, dass sich ein Alt-Rockstar wie Ozzy Osbourne öffentlich positioniert. Der verurteilte Kanye West wegen eines Samples einer Live-Version des Black-Sabbath-Klassikers „Iron Man“ in dem Song „Carnival“ scharf, den der Rapper bei einem ¥$-Event am Freitag in seiner Heimatstadt Chicago spielte. Die Musik seiner Band zu benutzen, habe Osbourne untersagt, weil West „ein Antisemit ist und vielen unbeschreiblichen Schmerz bereitet hat“, erklärte der 75-Jährige auf Instagram und X. Auf den Streaming-Plattformen ist das besagte Sample derweil nicht zu hören.

Backstreet Boys geben „Everybody“ für Kanye West nicht frei

Ähnliche Probleme hatten ¥$ bereits im Dezember: Kanye West teaserte einen Song mit dem Titel „Everybody“ für das Album an, der ein Sample des gleichnamigen Hits der Backstreet Boys enthielt. Die Pop-Gruppe gab es allerdings nicht frei. Auf der finalen Version von „Vultures 1“ ist der „Everybody“ vermutlich auch deshalb nicht zu finden. Auch Nicki Minaj wollte nicht mit einem bereits aufgenommenen Feature auf dem Album erscheinen. Die Rapperin merkte in einem Instagram-Livestream an, dass für eine Zusammenarbeit mit West der „Zug abgefahren“ sei.

Aber egal, welche Feature- und Sample-Probleme Kanye West hat oder wie sehr er verurteilt wird – oder eben nicht – der Erfolg des Rappers bleibt garantiert. Der Afroamerikaner konnte schon 2018 in einem Fernsehinterview Sklaverei herunterspielen oder öffentlich Donald Trump unterstützen – samt roter "Make America Great Again"-Cap.

Dieser Tatsache ist sich Kanye West, dem eine bipolare Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden sein soll, durchaus bewusst. Umso perfider ist „King“, der letzte Titel auf „Vultures 1“, in dem er seinen Antisemitismus erneut thematisiert. „Verrückt, bipolar, antisemitisch und ich bin immer noch der König – sie dachten, Schlagzeilen wären mein Kryptonit“, rappt der Ex-Mann von Kim Kardashian. Leider hat er damit recht. Denn auch wenn das problematische Verhalten von Kanye West offensichtlich ist – er scheint damit weiterhin davonzukommen.