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„Man hört die feelings“lit.pop arbeitet sich an toxischer Weiblichkeit ab

Lesezeit 4 Minuten
Autorin Sophia Fritz (l.) und Moderatin Maria Popov schafften bei der lit.pop im Kölner Stadtgarten eine intime Atmosphäre, in der sie über "toxische Weiblichkeit" diskutierten.

Autorin Sophia Fritz (l.) und Moderatin Maria Popov schafften eine intime Atmosphäre, in der sie über „toxische Weiblichkeit“ diskutierten.

Warum ist Beyoncé als Powerfrau toxisch? Zum zweiten Mal befasst sich der Ableger der lit.cologne im intimen Raum mit Themen, die anecken.

Als Sophia Fritz zum ersten Mal von „toxischer Weiblichkeit“ hörte, wurde ihr sofort schlecht. Unbehagen beschlich sie. Reflexartig tat sie den Begriff ab, versuchte ihn zu ignorieren. Am Ende schreibt die Autorin ein Buch mit gleichem Namen darüber. Warum, erklärt sie am Freitagabend im Kölner Stadtgarten.

Auf der kleinen Bühne, auf der sie sitzt, steht ein Monitor, der sich zu ihrer Gestikulation leicht mitbewegt. Er zeigt das Logo der Veranstaltung: „lit.pop presented by lit.cologne“. Draußen wird das Sonnenlicht schummrig, drinnen sind die Wände im lila Ton des Festivals im Festival beleuchtet. Vor der Bühne sitzen etwa 60 aufmerksame Personen, 30 weitere stehen dort, wo noch Platz ist: an der Seite oder hinten an der Bar.

Köln: Sophie Fritz stellt „Toxische Weiblichkeit“ vor

Das Publikum ist weiblich geprägt, was bei dem Programm an diesem Internationalen Frauentag nicht wundert: patriarchale Psychologie, feministische Pornos und sexistische Arbeitswelten. Die zweite Auflage der lit.pop befasst sich in fünf Events mit Begriffen, die anecken, provozieren und für viele im Publikum neu sein dürften, aber dennoch auf viel Verständnis stoßen.

So wie diese toxische Weiblichkeit, die Fritz erst zu ignorieren versuchte. „Irgendwann werden wir darüber sprechen, entweder freiwillig oder unfreiwillig“, stellte sie für sich fest. Warum? Mit toxischer Männlichkeit gibt es bereits ein Rollenbild, das männliches Verhalten an bestimmte gesellschaftliche Erwartungen knüpft. Zum Beispiel, wenn ein Vater von seinem Sohn erwartet, auf Schmerz nicht mit Tränen, sondern mit Stärke zu reagieren. Hauptsache, keine Schwäche zeigen.

Die einzig akzeptierten Gefühle sind Wut und Aggression. Das schadet nicht nur ihm selbst, weil er anderen Gefühlen keinen Raum gibt, um sie zu verarbeiten, sondern auch anderen, weil es in tödliche Gewalt ausarten kann.

Toxische Stereotype: Powerfrau, Mutti, Opfer, Bitch und das gute Mädchen

Fritz möchte einer Gegenströmung zuvorzukommen, die der Gesellschaft eine ebenso problematische toxische Weiblichkeit attestieren will. Stattdessen nutzt sie den Begriff, um sich selbstkritisch an weiblichen Stereotypen abzuarbeiten.

Die Mutti, das Opfer, die Bitch oder aber: das „Good Girl“, also das gute Mädchen. Von ihr wird erwartet, immer verständnisvoll, nett, aufmerksam, sanft und zuvorkommend zu sein. Eine Konditionierung zu einem Chamäleon, das nur „Ja“ sagt. Das habe zur Folge, dass Fritz sich in wichtigen Momenten selbst nicht vertraue: „Ich kann mir meines ‚Neins‘ nicht sicher sein. Das ist eine konstante Anspannung in mir drinnen. Aber ich wäre so gerne entspannt.“

Während Fritz mit bedachter Wortwahl spricht, dreht sich im Publikum immer wieder ein erwartungsvoller Blick zur Begleitung, nach dem Motto: „Das ist genau wie gestern, weißt du noch?!“ In einer anderen Ecke ertönt ein Kichern oder auch mal ein Seufzen, als fühlte sich jemand ertappt. „Man hört die Feelings“, kommentiert Moderatorin Maria Popov verständnisvoll.

Beyoncé, Taylor Swift und Miley Cyrus lassen grüßen

Dabei versichert Fritz mehrfach, niemanden beschämen zu wollen. Schließlich seien Empathie und Zärtlichkeit kein Problem an sich. Im Gegenteil, denn in bestimmten Settings seien die Verhaltensweisen wichtige Ressourcen: „Ich möchte sie nur sichtbar machen und ein Vokabular finden, um darüber zu sprechen.“

Dem „guten Mädchen“ gegenüber steht der mittlerweile akzeptierte Prototyp der Powerfrau. Beyoncé, Taylor Swift und Miley Cyrus lassen grüßen. Doch Fritz vermutet hinter dem hart erkämpften Bild der eigenständigen, lauten, selbstbewussten und erfolgreichen Frau auch Enttäuschung und Bitterkeit.

„Die Powerfrau kann erst in der Perfektion sichtbar werden“

Auf dem Weg zur „empowerten“ Frau müsse sie sich – wie die Übersetzung vermuten lässt – über andere ermächtigen und von ihnen unabhängig machen. „Die Powerfrau kann erst in der Perfektion sichtbar werden“, stellt Fritz fest. Das mache die Powerfrau toxisch. „Sorry, heavy, oder?“, fragt sie nachsichtig ins Publikum.

Der Autorin geht es letztlich darum, für ihr Verhalten nicht gesellschaftlich belohnt oder bestraft zu werden. Fritz möchte nur „bei sich sein“, andere machen lassen und entspannen.

Kurze Zeit später leuchtet draußen im mittlerweile dunklen Köln Blaulicht. Die Großdemonstration zum „Internationalen feministischen Kampftag“ zieht vorbei. Ein Setting, in dem laut und selbstbewusst sein eine Ressource ist.


Sophia Fritz: „Toxische Weiblichkeit“, Erscheinungsdatum: 18. März, Hanser, 192 Seiten, 22 Euro