Köln – Harry Styles, der erste Mann, der nicht als Anhängsel, sondern ganz ohne weibliche Begleitung das Cover der Stilbibel „Vogue“zieren durfte, tritt am Freitagabend in der Lanxess-Arena auf, das Konzert ist seit Monaten ausverkauft. Einige Fans hatten sich schon am Donnerstag in Schlangen vor der Deutzer Spielstätte eingereiht.
Offiziell betourt Styles in Köln noch immer sein zweites Album „Fine Line“, tatsächlich hat der 28-jährige Brite im Mai 2022 mit „Harry's House“ bereits sein drittes Album nach der Emanzipation von One Direction veröffentlicht, der Boyband, die in der ersten Hälfte der Zehner Jahre Teenager-Herzen weltweit dominiert hatte, bevor K-Pop den alten angloamerikanischen Modellen den Rang ablief.
Rücksichtsvoll schon bei One Direction
Es soll Styles selbst gewesen sein, der seinen Bandkollegen 2016 den Vorschlag unterbreitet hatte, keine Fans durch eine öffentlich verkündete Trennung ins Unglück zu stürzen, sondern stattdessen eine unbefristete Auszeit zu nehmen.
Er war eben schon immer der Mann für die sanftestmöglichen Lösungen. Jüngere Fans mögen davon geträumt haben, ein einziges Mal mit dem schnieken Sänger zu kuscheln, ältere wünschten sich, ihr erster Boyfriend hätte die Beziehung so schmerzlos beendet wie Styles.
Sein Solodebüt erwies sich als beherzter Schritt zurück ins Goldene Zeitalter britischer Rockmusik, von den Beatles über Elton John zum Bowie der Ziggy-Stardust-Jahre. Da wollte also jemand ernst genommen werden, und das wirkte denn auch ein wenig gewollt. Wie nah Styles seinen Vorbildern tatsächlich kam, rang dann freilich doch Respekt ab.
Welthit mit Cunnilingus-Lob
Seinen ganz eigenen Weg aber fand der Glam-Boy aus dem nordenglischen Kaff Holmes Chapel mit „Watermelon Sugar“. Die Single bescherte ihm 2020 seine erste Nummer Eins in den amerikanischen Billboard Charts: Ein Song, der beim ersten Hören so fluffig und nährstoffarm wie Zuckerwatte wirkte, sich aber nach und nach als kleines, feuchtes Funk-Monster entpuppte, ein dreiminütiges Cunnilingus-Lob. Oder dachten Sie, es geht um Wassermelonen?
„Harry‘s House“, das aktuelle Album, kommt nun beinahe noch tiefenentspannter daher, und gleich im ersten, kurioserweise „Music for a Sushi Restaurant“ betitelten Song zerkaut Styles erneut genüsslich Nahrungsmittel-Metaphern, schwärmt von frittiertem Reis und süßer Eiscreme, und eröffnet seiner Angebeteten, dass er ein Ei auf ihr braten könnte.
Bei der handelt es sich übrigens um die Schauspielerin und Regisseurin Olivia Wilde, was wir nur deswegen erwähnen, weil Styles selbst nicht an sich halten kann: „I bring the pop to the cinema“, prahlt er in „Cinema“. Es ist immer schön, Teil eines Powercouples zu sein, zum Eierbraten schön.
Ein sexy Frühstück mit Olivia Wilde
Wird noch irgendwem plötzlich heiß? Oder sind Sie soweit zu bestellen? Später, auf „Keep Driving“, zählt Styles ein komplettes Diner-Frühstück auf: Ahornsirup, Kaffee, Pancakes, Hash Browns, Eidotter. Aber das entpuppt sich als innerer Monolog eines Protagonisten, der sämtliche Warnzeichen einer Beziehung ignoriert, die sich längst auf der schiefen Ebene befindet – und auch hier findet sich noch eine verborgene Ebene: Vielleicht handeln die nur auf den ersten Blick lächerlichen Lyrics ja von Styles' Unbehagen in der Teilzeitheimat Amerika?
Wer sucht, der wird bei Harry Styles fündig. Wer einen Verbündeten sucht, wird ihn in diesem inklusivsten aller Popstars finden: Als er vor ein paar Tagen in Berlin auftrat, unterstützte er ein junges Mädchen, das sich mit seiner Hilfe vor ihrer ebenfalls anwesenden Mutter outen wollte. Harry half, ließ die Mutter auf die Bühne holen und umhüllte sie sanft mit einer Regenbogenfahne.
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Wer Styles‘ Musik dagegen nur als Begleitung zum Bügeln hören will, muss sich nicht weniger eingeladen fühlen: Sie klingt, wie sich ein Seidenpyjama anfühlt: geschmeidig, lauschig, diffus aufregend.
Kleine 80er-Jahre-Zitate - das A-ha-Keyboard in „As It Was“, dem schönsten Hit dieses Sommers, oder der sprudelnde Pino-Palladino-Bass in „Daydreaming“ – erhöhen das Pop-Vergnügen. Styles zieht die elegante Geste stets dem Mackergehabe älterer Kollegen vor.
Doch just, wenn er auf „Harry’s House“ auch Gelegenheitshörer zum Mitsummen gebracht hat, reißt Styles mit einer Ballade wie „Matilda“ sämtliche Mauern ein, ein Aufbaulied für ein ungeliebtes Kind, dass Paul McCartney nicht emphatischer und melodiöser hinbekommen hätte. Wer Karten für die Lanxess-Arena hat, kann sich freuen: Der Engländer ist der Popstar der Stunde: Unaufdringlich ist das neue Sexy.