AboAbonnieren

Kölner BrückenmusikWarum diese Künstlerin die Deutzer Brücke in eine Höhle verwandelt

Lesezeit 4 Minuten
Vica Pacheco, Künstlerin aus Mexiko

Vica Pacheco, Künstlerin aus Mexiko

Die mexikanische Klangkünstlerin Vica Pacheco lädt im Hohlkörper der Deutzer Brücke zu einem Trip in unsere Vergangenheit und Zukunft.

Man betritt den Stahlbetonhohlkörper der Deutzer Brücke gebückt. Taucht in die dunkle Höhlung ein, wie in einen Schoß. Eine Höhle, sagt die im südmexikanischen Oaxaca geborene Künstlerin Vica Pacheco, sei eine Schleuse in ein Reich ohne Licht. Die erste Behausung des Menschen, der Ort, an dem die Gesellschaft und ihre Kunst entstanden, an dem man mit Bildern und Klängen die Außenwelt beschwor, vor der man hier Schutz gesucht hatte.

Bereits seit 1995 lädt die freie Initiative Brückenmusik jeden Sommer renommierte Kunstschaffende ein, den 550 Meter langen Hohlraum der Deutzer Brücke zehn Tage lang installativ und vor allem akustisch zu bespielen. So dunkel wie bei Vica Pacheco bleibt der Tunnel allerdings selten.

Der Hohlkörper der Deutzer Brücke ist der Raum mit der längsten Nachhallzeit in Köln

Nur langsam gewöhnt sich das Auge an die Finsternis und das Ohr folgt den geisterhaften Pfeifgeräuschen. Sie kommen von links und von rechts, folgen aufeinander wie Frage und Antwort. „Unterhaltung zweier Vögel“ hat Pacheco diesen Abschnitt ihrer Installation „Occaresencia“ genannt. Tritt man näher an eines der Objekte heran, erkennt man eine Art Flöte in verbrezelter Form, die einen seltsamen Schatten an die wie vom Abglanz eines Lagerfeuers gerötete Wand wirft.

Alles zum Thema Deutzer Brücke

Die mit Wasser gefüllten Gefäße werden jeweils an zwei Seilenden von einem Gewinde hin und her bewegt, so fährt die Luft hindurch und erzeugt dabei ein außerweltliches Gezwitscher, dessen Frequenzen sich über den Rhein hinweg fortpflanzen. Der Hohlkörper der Deutzer Brücke ist der Raum mit der längsten Nachhallzeit in Köln.

31.07.2024 Köln. Die Deutzer Brücke. Foto: Alexander Schwaiger

Die Deutzer Brücke

Als die vorhistorischen Menschen Schutz in Höhlen suchten, waren es da vor allem deren akustische Eigenschaften, die sie anzogen? War das Echo die Antwort einer unsichtbaren Welt? War das der Anfang der Musik und zugleich der Ursprung jeder religiösen Erfahrung?

Mit ihren Wasserflöten greift die Keramikerin, Klangkünstlerin und Komponistin Pacheco die Formen präkolumbianischer Ton-Instrumente auf. Solche Objekte aus der Zeit vor den hispanischen Invasoren sieht man sonst nur hinter Vitrinen in Museen, Vica Pacheco schenkt ihnen ihre Funktion, ihre rituellen Aufgaben zurück.

Die ältesten erhaltenen Tonaufnahmen stammen aus dem Jahr 1860, das ist noch nicht besonders lange her. Wie klingt die ferne Vergangenheit? Kann man das herausfinden, oder schickt man unweigerlich nur eine Interpretation aus der Gegenwart ins Einst zurück? Pachecos Zeitreisen sind auf jeden Fall auch eine Einstimmung auf die Zukunft.

Vica Pacheco bringt sich mithilfe des Internets uralte Kunsthandwerkstechniken bei

Dennoch folgt die 31-Jährige in ihren Arbeiten nicht allein der Intuition, sie befragt Experten, Kunstgeschichtlicher, Historiker, Musikwissenschaftler und Kulturanthropologen, sie bringt sich mithilfe des Internets uralte Kunsthandwerkstechniken bei.

Im zweiten, sich gekrümmt über den Rhein schwingenden Brückenabschnitt, hat sie ein Ensemble aus geriffelten Tonobjekten und kreissägeartigen Blumen-Scheiben auf unterschiedlich hohen Stelen aufgebaut: „Überqueren der Flussmündung“ hat sie es genannt. Alles dreht und reibt sich an kleinen Tonabnehmern, die mikrofoniert und quadrophonisch verstärkt werden. Es zirpt und wuselt, als befänden sich die Besucher nun tief im mesoamerikanischen Dschungel, fernab der Zivilisation, im Reich des Jaguars. Mit den ersten Klängen, glaubt Pacheco, die Menschen perkussiv oder mit Hilfe ihres Atems erzeugten, wollten sie Tiere nachahmen.

Sie sei in Oaxaca mit Geschichten aufgewachsen, in denen nichtmenschliche Wesen die Hauptakteure waren und die Menschen Rituale erfinden mussten, um mit diesen nichtmenschlichen Wesenheiten in Kontakt zu treten. Heute träumt man davon, mithilfe von Künstlicher Intelligenz demnächst die Tiere besser verstehen zu können. Aber in diesem Traum mischt sich der Albtraum, dass man zu spät kommen könnte.

Mit Freunden, erzählt Pacheco, habe sie immer wieder darüber gesprochen, warum man kaum noch Glühwürmchen sehe. Die Skulptur im dritten Teil des Brücken-Hohlkörpers ist ein Abgesang auf die Leuchtkäfer, ein Versuch, sagt sie, die Melancholie der Glühwürmchen heraufzubeschwören. Auf einer ovalen Fläche hat sie zahlreiche kleine Tonschalen zusammengestellt, die Fläche vibriert, die dünnwandigen Schalen berühren sich zitternd und versetzen sich gegenseitig in Schwingung.

Auf einmal schwingt alles zusammen, die Stadt, der Fluss und die Vorfahren in dunklen Höhlen

In ihr nervöses Klingeln mischen sich meditativ-dunkle elektronische Klänge der Komponistin, das Zittern der Schalen scheint in den Wänden der Brücke widerzuhallen, wenn die Straßenbahn über deren Asphaltdecke rumpelt. Auf einmal schwingt alles zusammen, die Stadt über und der Fluss unter der Brücke, die fernen Vorfahren in ihren dunklen Höhlen und die nicht weniger dunkle Aussicht auf das sechste große Aussterben der Arten. Man vertraut der Statik des Stahlbetonbaus, aber grübelt über die Zerbrechlichkeit aller Gefäße.

Brückenmusik #29: „Occarescencia“, Vica Pacheco, noch bis zum 18. August. Ein Besuch ist nur im Rahmen geführter Termine möglich, von 16 bis 20 Uhr, jeweils zur vollen Stunde. Momentan sind alle Termine ausgebucht. Bei Absagen werden sie kurzfristig auf der Website freigegeben.