Kölner AuftrittWarum The Notwist gerade die besten Konzerte ihres Lebens geben
Köln – Es fällt leicht, The Notwist, im Wendejahr 1989 von den Brüdern Markus und Micha Acha gegründet, für selbstverständlich zu nehmen. In ihren Anfangstagen hat sich die Band hat sich vom Beinahe-Metal- zum international anschlussfähigen Indietronica-Act gewandelt. So nannte man das damals, als sich die Verbindung von elektrischer Gitarre und diverser elektronischer Instrumente noch im zarten Kennenlern-Stadium befand.
Mit „Neon Golden“ veröffentlichten The Notwist damals die Bibel dieser kleinen Bewegung. Aber das ist jetzt auch schon 20 Jahre her. Seitdem altert ihr Publikum mit, während die Acher-Brüder ihren musikalischen Kosmos in unzähligen Soundschlenkern und Nebenprojekten – mit Westküsten-Experimentalrappern, Jazzmusikerinnen aus Chicago, japanischen Pop-Avantgardisten –ausdifferenziert haben.
Zusammengehalten wird dieser Kosmos allerdings immer noch von der Nicht-Stimme Markus Achers. Die drückt wie keine zweite das unscharf romantische Verlorenheitsgefühl der Generation X aus, über die es ansonsten so wenig zu sagen gibt, dass selbst ihre Kinder den Generationenkonflikt scheuen und sich stattdessen auf die langsam im Abtreten begriffenen Boomer eingeschossen haben.
Markus Acher von The Notwist: Säuseln wie ein 55-jähriger Teenager
Da steht er also wieder auf der Bühne des Bürgerhaus Stollwerck, beugt sich leicht schräg übers Mikrofon und säuselt wie ein 55-jähriger Teenager davon, wie einem der Himmel auf den Kopf fallen kann, wenn man sich wider besseres Wissen erneut verliebt. Ach ja. Schön ist das doch. Aber das Inwendige kann man nun schon auswendig, wozu also noch The Notwist hören? Das beantwortet sich mit dem ersten Basslauf Micha Achers.
Plötzlich treibt der trudelnde Song, greift die ganze siebenköpfige Band uhrwerksgenau ineinander, mit Saxophon, Vibraphon und auch mal Tuba, rund rollendem Bass und kleinen klöppelnden Klangmaschinen, übersteigt aber schon bald jeden auf einem Ziffernblatt zu fixierenden Zeitbegriff, wird zum Muskel, der den Lauf der Dinge auf Äußerste anspannen oder schlaff ins Bodenlose fallen lassen kann.
Wie man dem eigenen Gedankenstrudel entkommt
„Exit Strategy to Myself“ heißt einer der neuen Songs vom aktuellen, während der Pandemie aufgenommenen Album „Vertigo Days“ und das beschreibt die aufregenden Weiterführungen und wilden Verzweigungen dieser im Grunde unaufdringlichen Songs ziemlich genau: Erst im musikalischen Kollektiv erreicht das Ich die Fluchtgeschwindigkeit, mit der es dem eigenen Gedankenstrudel entkommt.
Mittendrin, nach Abstechern Richtung Free Jazz und Techno, kehren die Brüder aus dem oberbayerischen Weilheim für zwei Stücke zu ihren hart rockenden Anfängen zurück, bilden ein Power-Trio mit ihrem Wunderschlagzeuger Andi Haberl und die Unmittelbarkeit des flugs Dahingerocktem vertreibt jede Nostalgie.
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Als letztes Stück vorm ausgiebigen Zugabenteil des zweistündigen Kölner Konzertes spielen sie „Gravity“ . Das ist nun auch schon 14 Jahre alt, aber sein Refrain klang noch nie so wahr: „Oh Schwerkraft, du kriegst mich nicht.“
Ja, es fällt leicht The Notwist für selbstverständlich zu nehmen. Aber die Acher-Brüder haben das offensichtlich nie getan – und geben jetzt, im 33. Arbeitsjahr ihres Bandprojekts, die besten Konzerte ihres Lebens. Was für ein erhebendes Gefühl.