Köln – Machine Gun Kelly weiß, was sich für einen Rockstar gehört. Schon am frühen Nachmittag hatte er sich auf dem Balkon des Excelsior Hotels Ernst den Fans gezeigt, die ihm von der Domplatte aus zujubelten. Hatte eine Champagnerflasche geschüttelt und deren Inhalt auf die Trankgasse regnen lassen. Am Abend wird er dann in der Lanxess-Arena von den 10.000 Fans schwärmen, die ihm zum Frühstück (um halb zwei) begrüßt hätten.
Es waren immerhin einige Hundert. MGK, wie ihn diese Fans rufen, scheint ein Trump’sches Verhältnis zur Mengenschätzung zu haben. Aber das ist eben Rock’n’Roll: „Mach Schau!“, wie es der Striplokal-Betreiber Bruno Koschmider einst den jungen Beatles zurief. So jung ist MGK mit seinen 32 Jahren gar nicht mehr, aber dafür ist er auch schon lange im Schaugeschäft unterwegs.
Zuerst als Rapper mit durchaus beachtenswerten technischen Fähigkeiten – er führt sie auch in Köln an ein, zwei Stellen vor –, aber mehr Macken und selbstzerstörerischen Tendenzen als diese Fertigkeiten zu tragen vermochten. Dann, in einer der erstaunlichsten 180-Grad-Wenden der jüngeren Musikgeschichte, als Pop-Punk-Sänger. Letztlich ist Colson Baker, wie das Maschinengewehr mit den rosagefärbten Haaren bürgerlich heißt, nur rechtzeitig auf den unvermeidlichen Nostalgie-Zug aufgesprungen: In grob geschätzten 20- bis 25-Jahres-Zyklen werden alte Musikstile wiederbelebt – vor allem solche, die beim ersten Durchgang von den damaligen Meinungsmachern rundheraus abgelehnt worden waren.
Momentan wird folglich der gesandstrahlte Oberflächenpop von Britney Spears gefeiert, und der Pop-Punk von Acts wie Green Day, The Offspring, Avril Lavigne und Blink-182. Zusammen mit Travis Barker, dem durchaus Rap-affinen Blink-182-Schlagzeuger, hatte Baker seinen Genrewechsel zu Beginn der Pandemie orchestriert. Ein Hochrisikospiel, mit dem Kelly den Jackpot geknackt hat: Die Arena ist ausverkauft und bester Laune, endlich mal wieder.
MGK sieht sich trotzdem unter Rechtfertigungszwang. Die Show beginnt mit einem Video, das ihn in eine Schachtel mit Verpackungschips gezwängt zeigt. Ein ebenfalls von Kelly gespielter Hubschrauberpilot eilt zur Rettung: „Wer hat dich in die Schachtel gesteckt?“ Natürlich das böse Internet: „The internet put me in a box.“
Sogleich schraubt sich ein rosa-schwarz-gestreifter Helikopter vom Bühnendach, der Sänger stapft zu allem entschlossen auf die Bühne (die Box lag wohl Backstage herum), hängt sich an eine Strickleiter und lässt sich aus dem Meinungssumpf der sozialen Medien – hier dargestellt vom Trockeneisnebel, der über die Schachbrettmuster-Bühne wabert – ziehen, wie der letzte Soldat aus einem verlorenen Kriegsgebiet.
Ein Überlebender, aber nur ganz knapp, wie er im Laufe des Abends immer wieder betont. „I’m a lost boy“, behauptet der ausgewachsene Mann. „Ich bin noch jung, verschwende meine Jugend“, heißt es kurz darauf in „Drunk Face“. Die harten Drogen, die fatalen Frauen, die verzweifelten Selbstmorddrohungen, wenn sich diese Frauen mal wieder verabschieden wollen. Das ist die Geschichte, die MGK an diesem Abend immer wieder erzählt.
Öffentlich ausgelebtes Peter-Pan-Syndrom
Ein stolzer Kindskopf und Sünder, der „California“ auf „paranoia“ reimt und in der Verfilmung der Mötley-Crüe-Biografie „The Dirt“ deren Drummer Tommy Lee verkörpert hat, weil er dazu die hohen Wangenknochen und die richtige Attitüde mitbringt. Selbstredend weiß MGK ganz genau, dass sein Erfolg von diesem öffentlich ausgelebten Peter-Pan-Syndrom abhängt. Mehr noch, er singt ja auch davon: „Ich verkaufe Tickets zu meinem Untergang“.
Mach Schau! Authentizitätsfreaks nenne das posieren. Aber das will ja auch gekonnt sein. Und es ist MGKs Kernkompetenz: Wie er sich wider die Vernunft eine Zigarette nach der anderen anzündet, hui. Wie er kurz am Joint seines Keyboarders zieht, huihui. Wie er durch den Innenraum rennt, auf den Unterrang klettert, um von dort aus „We’re in Cologne, baby/ Ain’t going home, baby“ zu skandieren, huihuihui.
Die Band ergänzt das lustige Geprange perfekt: Die Gitarristin in Hotpants, der Bassist mit dem Wikingerbart, der hyperaktive Schlagzeuger, der selbst während der wenigen Balladen noch aufs Bassdrum-Pedal drückt, als gäbe es hier Geschwindigkeitsrekorde zu brechen. Alle paar Minuten explodiert etwas, unterstreichen Flammenwerfer die Botschaft vom gefährlichen Leben, gerade auch während der Balladen und am heftigsten während des letzten Stücks, das er seiner Verloben Megan Fox widmet.
Irgendwann erhebt auch das Internet wieder seine hässliche Fratze, sie besteht aus einem großen Röhrenfernsehkasten auf einem gewaltigen, aufblasbaren Gummikörper. MGK lässt den Scheinriesen vom Publikum niederbrüllen. Das tut unbestritten gut. Zweieinhalb Jahre hat man vor dem Kasten verbracht, wie schön ist das jetzt, sich verschwitzt in ein Moshpit zu werfen, während von der Bühne rosa Konfetti gefeuert wird.
Ja, die Songs klingen alle ein wenig gleich. Pop-Punk war Ende der 1990er die logische Fortsetzung des Power-Pops der 70er. Der verknüpfte Hardrock-Dynamik mit Beatles-Melodien. Letztere sucht man bei MGK vergeblich. Aber niemand kann sagen, dass er oder sie sich während der knapp zwei Stunden des Spektakels gelangweilt hätte.
Zuletzt, sagt Colson Baker, habe er im Vorprogramm von Linkin Park in der Lanxess-Arena gespielt und erinnert kurz an deren Frontmann Chester Bennington, der sich im Juli 2017 erhängt hatte. Das Leben ist ein Hochseilakt. MGKS Botschaft ist simpel: „Life is short. Have fun.“