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Marianne Rosenberg in KölnHalbleere Arena ist ein Stimmungskiller

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Marianne Rosenberg in der Kölner Arena  

Köln – Sie war erst 13 und schwärmte für italienische Tenöre, erzählt Marianne Rosenberg in der Kölner Lanxess-Arena, als sie sich für einen Nachwuchswettbewerb im Romanischen Café im West-Berliner Europacenter anmelden wollte. Eigentlich, beschied ihr einer der Musiker, sei das Teilnehmerfeld schon voll. Aber dann ließ er sie doch, auch weil er das Lied kannte, das sie singen wollte, als 13. und letzte Bewerberin antreten.

Mit zitternden Knien habe sie auf der Tanzfläche gestanden, erinnert sich die Sängerin – und das Wettsingen mit gewonnen. Wie auch nicht, ihre Stimme taugte zwar nicht zur großen Oper, aber drang so klar und heliumhoch noch durchs üppigste Orchesterarrangement, das jede Jukebox zur Sirene wurde, im modernen wie im homerischen Sinn.

Das Lied, mit dem sie damals ihre nun schon mehr als 50-jährige Karriere begann, singt sie in Köln zur letzten Zugabe. Es ist die neapolitanische Heimweh-Klage „Torna a Surriento“ und sie enthält schon das wichtigste Element eines klassischen Marianne-Rosenberg-Schlagers: Den Geliebten, der das „Land der Liebe“ zu verlassen droht.

Halbleere Arena ist leider ein Stimmungskiller

Früher, verrät die Rosenberg ihren Zuschauern habe sie geglaubt, die größte Liebe sei die der Getrennten. „Heute glaube ich, die größte Liebe ist die, die wir nicht gelebt haben.“ Keine Reaktion im Publikum. Es sind nur knapp 2000 Fans erschienen, obwohl die 67-Jährige noch vor zwei Jahren ihr erstes Nummer-Eins-Album feiern konnte. Da hat sich jemand gründlich verbucht: Eine halbleere Arena ist leider ein Stimmungskiller. Aber Jubel wäre ja auch nicht angebracht, oder? Die Sängerin ficht das nicht an, sie setzt noch einen drauf: „Die wahre Liebe ist die verlorene Liebe.“

Das tut weh. Aber wer das Glück sucht, der versteht eben nichts von Romantik. In schweren Zeiten wie diesen, hatte Marianne Rosenberg am Anfang ihres Konzertes conférenciert, frage man sich, ob man alles noch einmal genauso machen würde? Sie hat diese Frage für sich positiv beantwortet: „Ich kann jetzt mit Liebe und Lächeln auf mein Repertoire der 70er zurückblicken.“ Das war sicher nicht ganz einfach, denn im ersten Jahrzehnt ihrer Karriere musste sie vor allem singen, was andere von ihr hören wollten.

Als Kind für den Sinti-Vater in Berliner Kneipen gesungen

Das war von Anfang an so: Ihre Lebenserinnerungen „Kokolores“ eröffnet sie mit einer Szene, in der sie als vielleicht fünfjähriges Kind nachts geweckt und mit dem Taxi durch Berlin kutschiert wird, um in einer Neuköllner Kneipe auf einem Biertisch zu stehen und für ihren betrunkenen Vater Lieder zum Besten zu geben, die nicht nur ihn zum Weinen bringen. Otto Rosenberg ist Sinti, hat als einziger seiner Familie Auschwitz überlebt, aber dieses Trauma nie wirklich überwunden, wie denn auch.

Ihre tragische Familiengeschichte musste Marianne Rosenberg lange verheimlichen, auch auf Anraten des Vaters, der dann auch ihr erster Manager war – und nur zu gut wusste, dass die Deutschen die Überlebenden ihrer Verbrechen noch mehr hassten als sich selbst.

Für die Öffentlichkeit war Marianne Rosenberg also der süße Backfisch, der für „Mr. Paul McCartney“ schwärmte. In Köln eröffnet sie mit diesem ersten kleinen Hit ihr Konzert, fügt noch ein gendergeflipptes „Yesterday“ ein: „Why he had to go, I don’t know/ he wouldn’t say“. Und schon klingt es wie ein Rosenberg-Song.

Die berühmte Disco-Außenwelle von Udo Walz

Es folgen einige Stücke aus ihrem aktuellen Album „Diva“, auf dem sie sattsam bekannte Klassiker berühmter Disco-Diven eingedeutscht hat. Viola Wills „Gonna Get Along Wihtout You Now“ etwa überträgt sie flapsig mit „jetzt bist du nicht mehr da, das ist auch ganz schön“. Dazu trägt sie ein pinkes Cape mit einem Federkragen direkt aus der „Muppet Show“. Rosenberg hat zur schwelgerischen Untermalung ihre eigenen Streicher mitgebracht, auch die Bassistin wechselt ans Cello.

Und weil sie selbst die amtliche deutsche Disco-Queen war – junge Mädchen hätten damals in Berlin dem Starfrisör Udo Walz die Bude eingerannt, erzählt sie, auf dass er ihnen die Rosenberg’sche Außenwelle brenne – nimmt man ihr heute jedes Donna-Summer- oder Grace-Jones-Cover ab. Besonders schön gelingt ihr Amanda Lears „Follow Me“ (hier: „So wie Du bist“), mit seinen narkotischen Synthesizer-Arpeggios.

Vor der Pause singt sie noch schnell das ebenso unvermeidliche wie unwiderstehliche „Er gehört zu mir“, das später als Zugabe gleich nochmal erklingt und fast noch frenetischer gefeiert wird. Wahrscheinlich könnte sie einfach nur zwei Stunden lang ihren Beitrag zum Philly-Soul-Kanon singen und die Leute wären glücklich.

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Aber sie erzählt lieber von den Befreiungsschlägen, ohne die sie heute nicht auf der Bühne stehen würde, von Ausflügen in Jazz, Elektropop und Darkwave (!), von durchtanzten Nächten mit Rio Reiser im Dschungel, oder wie sie, die Schlagerprinzessin, mit dem „Polit-Hero der Linken“ und Blixa Bargeld in der Schaubühne „Somewhere Over the Rainbow“ gesungen habe.

Darauf folgt der Song, den sie mit Rio beim Frankfurter Festival „Rock gegen Rechts“ gesungen hat: „Der Traum ist aus“. Die Band verwandelt das Ton-Steine-Scherben-Lied in eine Disco-Hymne, aber die ist nicht weniger kämpferisch. Die Rio-Frage „Gibt es ein Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit ist?“ beantwortet sie säuselnd mit vollem Vocoder-Einsatz: „Ich weiß nur eines/ Dieses Land ist es nicht.“ Das würde sich Helene Fischer nie trauen: Schlagerprinzessin, aber mit Haltung.