Kölner Komikerin Meltem Kaptan„Ich schaue hoch und sage: Dom, du geiles Ding!”
Die Kölner Komikerin und Schauspielerin Meltem Kaptan erhält Post aus Hollywood, seitdem sie bei der Berlinale den Silbernen Bären für ihre schauspielerische Leistung gewonnen hat. In dem gerade in den Kinos angelaufenen Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ spielt die 41-Jährige die Mutter von Murat Kurnaz. Der Film beruht auf einer wahren Geschichte: Die in Bremen lebende Familie gerät nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in einen jahrelangen Alptraum. Murat Kurnaz, gerade erst volljährig geworden, wird bei einer Reise nach Pakistan wegen Terrorismus-Verdachts verhaftet. Er wird als einer der ersten Gefangenen im Lager Guantanamo inhaftiert und gefoltert. Die Mutter kämpft jahrelang um die Freilassung ihres Sohns und verklagt sogar den amerikanischen Präsidenten. In dem Interview spricht sie über ihren Film, die guten und schlechten Seiten ihrer Wahlheimat Köln und ihre Erfahrungen als Blondine. (Das deutlich ausführlichere Gespräch können Sie hier auch als Podcast hören.)Frau Kaptan, wie viel wussten Sie über diese Geschichte, als Ihnen die Rolle angeboten wurde?Meltem Kaptan: Nicht viel. Ich wusste nur noch, dass ich Murat Kurnaz kurz nach seiner Freilassung aus Guantanamo in einer Talkshow gesehen hatte. Er saß da mit langen Haaren und einem langen Bart und sprach sehr verzögert. Als das Drehbuch kam war ich sofort angetan von der universellen Mutterfigur. Als ich dann die echte Rabiye Kurnaz kennenlernen durfte, wurde für mich alles rund. Sie hat wirklich diese urmütterliche Kraft. Sie ist bis ans Ende der Welt gegangen für ihr Kind.
War es für Sie eine besondere Herausforderung, der Familie mit diesem Film gerecht zu werden?
Ja, das ist nochmal eine ganze andere Last. Wir wollten, dass die Familie Kurnaz den Film als Anerkennung versteht. Darum waren wir unfassbar nervös, wie sie auf den Film reagieren würde. Auch wenn man versucht, nah am Original zu bleiben, mussten wir für den Film fünf Jahre in zwei Stunden runterbrechen. Für mich war es das schönste Kompliment, dass Rabiye Kurnaz den Film nicht nur angenommen hat, sondern sagte, es sei sie selbst in dem Film. Auch die Kinder haben gesagt, dass sie ihre Mutter in dem Film erkennen. In dem Moment sind Riesensteine von mir gebröckelt.
Die Familie hat nie eine Entschuldigung von Seiten der Politik erhalten, auch keine Entschädigung. Ist der Film ein kleiner Ersatz dafür?
Rabiye Kurnaz hat mir gesagt, der Film fühle sich für sie so an, dass etwas gut gemacht wird, weil der Fall durch den Film endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die ihm damals gebührt hätte. Das hat mich sehr gerührt.
Wie hat die Inhaftierung von Murat Kurnaz die Familie verändert?
Dieser Film ist kein Happy End. Man könnte eigentlich noch einmal einen Film darüber drehen, wie die Mutter ihr Kind zurückbekommt und dann reintegrieren muss ins Leben. Murat Kurnaz war ja traumatisiert. Trotzdem hat er nie psychologische Hilfe bekommen. Eine der Foltermethoden bestand darin, dass das Licht nie ausgeschaltet wurde. Er musste also erst einmal wieder lernen, Dunkelheit zu spüren. Die ganze Familie hat Narben, bis heute. Ich finde unfassbar beeindruckend, wie positiv die Familie trotz allem geblieben ist, wie wenig verbittert und ohne Hass. Murat Kurnaz ist mittlerweile Sozialarbeiter und hilft anderen Kindern auf die richtige Spur. Er hat selbst drei Kinder. Auch wenn die Wunden immer wieder aufbrechen, sie haben zurückgefunden ins Leben.
Der Film streift immer wieder das Komödiantische – woraus sich ein ganz eigener Ton ergibt. Wie sind Sie auf diesem Schwebebalken zwischen Ernst und Humor balanciert?
Meine Erfahrung im komödiantischen Fach hat mir sehr geholfen. Ich hätte die Rolle natürlich auch komplett ernst gespielt, wenn wir der Mutter damit möglichst nah gekommen wären. Aber Rabiye Kurnaz hat nun mal ihren Humor als Lebensstrategie, diese unglaublich lustige Seite. Trotzdem war klar, dass der Film nicht in Slapstick oder Parodie ausarten darf. Wir wollten keinesfalls pietätlos sein.
Jeder weiß, wo er war, als er die Bilder von den einstürzenden Türmen in New York gesehen hat. Wo waren Sie?
Ich habe damals in Marburg studiert und in einem Wohnhaus mit Studierenden aus der ganzen Welt gelebt. Als wir vor dem Fernseher saßen, habe ich gespürt, hier geht etwas kaputt, das wir nie wieder heil machen können. Dass ein Zeitalter beginnt, in dem eine neue Form der Angst Einzug hält in unser Leben. Und so war es ja auch.
Sie sind in dem Örtchen Harsewinkel in Ostwestfalen als Tochter deutsch-türkischer Eltern aufgewachsen. Wie war es für Sie, mit Mitte 20 nach Köln zu ziehen?
Ich bin eine rheinische Frohnatur und war in Ostwestfalen eher immer der bunte Vogel, der zu viel geredet hat. In Köln bin ich gerade richtig, hier falle ich nicht auf.
An was mussten Sie sich in Köln gewöhnen?
An den Karneval. Der war mir so fremd, dass ich erst ein bisschen Zeit brauchte, um ihn zu verkraften. Mittlerweile liebe ich den Karneval.
Was lieben Sie noch an Köln?
Ich habe immer meinen Dom-Moment, wenn ich in Köln ankomme. Jedes Mal stehe ich da und frage mich, wie die Menschheit das hinbekommen hat. Das ist eine richtige Ehrfurcht. Ich nehme mir immer diese eine Minute, wo ich hochgucke und sage: Dom, du geiles Ding! Es ist ja nicht nur ein Gotteshaus, sondern auch ein architektonisches Wunderwerk.
Was geht Ihnen in Köln auf die Nerven?
Autofahren. In Köln fühlt sich das ein bisschen an wie in Italien. Man wird sofort schlimm beschimpft, wenn man mal etwas zu langsam oder zu schnell fährt. Daran muss man sich in Köln wirklich gewöhnen.
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Es gäbe ja auch E-Scooter als Alternative.
Ich bin eine XXL-Frau. Als runde Kugel auf einem E-Scooter stehen, das ist nichts für mich. Ich habe in Stockholm mal eine Frau mit meiner Figur gesehen, die sich auf einen E-Scooter gestellt hat. Die ist beim Anfahren seitlich umgefallen wie ein Kartoffelsack. Das sah sehr unschön aus.
Im Film heizen Sie im Auto steil um die Kurven wie die echte Rabiye Kurnaz. Hatten Sie Angst vor diesen Szenen?
Als ich das Drehbuch gelesen habe, dachte ich mir sofort: Das kann teuer werden für die Produktionsfirma. Ich habe auch mit dem Regisseur gesprochen und ihn gewarnt, weil ich wirklich keine Routine im Autofahren hatte. Aber es war klar, dass ich alles spielen muss. Komischerweise tut man vor der Kamera Dinge, die man sich sonst nie trauen würde. Ich habe mal in einer türkischen Actions-Komödie mitgespielt, wo ich mich mit einer Kalaschnikow aus einem fahrenden Bully gehängt habe. Da dachte ich nur kurz: Was mache ich hier eigentlich?
Sie bekommen sehr viel Aufmerksamkeit seit dem Silbernen Bären. Wie hat der Film Ihr Leben verändert?
Ich erlebe einen großen Sturm der Liebe. Und das nicht nur in Köln: Aus dem Städtchen am Schwarzen Meer, wo meine Eltern herkommen, werden mir folkloristische Tanzvideos geschickt, weil die Menschen dort so glücklich sind über meinen Erfolg. Und seit der Film in den Kinos läuft, bekomme ich viel Post von Menschen, die gerade in schwierigen Situationen stecken und denen der Film Mut macht. Auch das macht mich unfassbar glücklich.
Sie erhalten sogar Post aus Hollywood.
Tatsächlich habe ich einige Briefe bekommen. Offenbar hat man den Film auch dort bereits wahrgenommen.
Sie haben von Natur aus schwarze Haare, sind aber für den Film zur Blondine geworden. Wie hat sich das angefühlt?
Darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben: Die Akte Blond. Wahnsinn, was so alles passiert, wenn man plötzlich blond wird. Ich musste mir so viel anhören: Dass ich nicht mehr türkisch genug aussehe und deshalb für eine Rolle nicht mehr in Frage komme. Oder es kamen platte Blondinenwitze. Ich habe teilweise gemerkt, dass ich anders behandelt werde so nach dem Motto: Blond ist naiv. Es war wirklich eine kleine Feldstudie. Aber auch für meine Haare war es heftig, plötzlich von tiefschwarz auf blondiert zu wechseln. Ich bin froh, dass meine Haare auf dem Kopf geblieben sind.