Alles, was das Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons in der Kölner Philharmonie anfasste, wurde zu Klanggold. Auch Solo-Pianist Jean-Yves Thibaudet sorgte für Highlights.
Boston Symphony Orchestra in KölnAndris Nelsons ist der Midas der Musik
Jetzt reisen sie wieder, auch über den großen Teich. Der während der Corona-Epidemie suspendierte Tournee-Betrieb hat wieder wie selbstverständlich eingesetzt – wobei die Frage nach wie vor im Raum steht, ob das angesichts der Klimakrise überhaupt zu begrüßen ist.
Das Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons spielt auch in Köln großartig
Davon abgesehen hört man einem absoluten Spitzenorchester wie dem Boston Symphony, das jetzt unter Andris Nelsons in der Kölner Philharmonie gastierte, selbstredend gerne zu. Es war und ist eine Spitzenformation, die alles, was sie von sich gibt, vielleicht noch schöner macht, als es von Haus aus ist. Ob die Musiker in schlendernd-großem Bigband-Sound machen, ob das Streicher-Cantabile üppig-schwellend erblüht, ob sie virtuose Raumeffekte realisieren oder Synkopen mit elektrisierender rhythmischer Spannkraft – zu Klanggold wird alles, was sie anfassen. Und selbst Details wie ein kurzes Solo des Konzertmeisters garantiert einen Hochgenuss.
Attraktiv ist schon der Zuschnitt der Agenda, die dezidiert Züge der amerikanischen Musikkultur trägt – wobei in diesem Sinne dann auch die Unterschiede zwischen U und E verwischen. Carlos Simons (Jahrgang 1986) nagelneue „Four Black American Dances“ zum Beispiel, mit denen der Abend eröffnet wurde: Da geht es um die Tanzkultur der Afroamerikaner, die sich im Zeichen der Sklaverei entwickelte. Fundamentale Geschichts- und Gesellschaftskritik schwingt da freilich allenfalls am Rand mit, das „Positive“ steht hier im Vordergrund.
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Auch Pianist Jean-Yves Thibaudet sorgte in der Kölner Philharmonie für Highlights
Das wird definiert durch ekstatische Rituale, durch eine unbändige Vitalität, die sich im Rausch des Repetitiven ausleben. Man muss diese jazz-affine Musik zwischen Walzer und Stepptanz nicht überschätzen, tatsächlich aber begann hier der Brückenschlag zum letzten Programmpunkt, Ravels unsterblichem „La Valse“. Dort lauert im Keller der Walzerformeln freilich immer schon die Katastrophe, Ravels Idiom ist – Nelsons und das Orchester stellten das mit den angezeigten Übertreibungen gebührend heraus – gebrochen, ironisch, uneigentlich.
Die französisch-amerikanische Connection wurde auch im Mittelteil des Konzerts bedient: Gelang die Themen- und Klangcollage von Strawinskys „Petruschka“ dank der luziden Aggressivität der Performance bereits sehr nachdrücklich, so erreichte der Abend auch mit Hilfe des glanzvollen Solisten Jean-Yves Thibaudet am Flügel in Gershwins Concerto in F von 1925 wohl seinen Höhepunkt.
Thibaudet, stets in vollendeter Verzahnung mit den Orchesterimpulsen, bekommt die Synthese von „seriösem“ Klassiker und Jazz-Pianist glänzend hin; er muss sich diesbezüglich gar nicht verstellen, sondern gestaltet seinen Part mit jener selbstverständlichen Lust und Begeisterung, die unweigerlich auf den Zuhörer überspringt. Auch als Begleiter vollbrachten Nelsons und die Bostoner Großes: Man muss sich nur mal die fast bis zum Geht-nicht-mehr hinausgezögerten Vorhaltsauflösungen in Erinnerung rufen, um sich die coole Klasse dieses Klangkörpers zu vergegenwärtigen.