Wer rastet da aus? Beethoven, die Solistin, oder sind da vielleicht beide beteiligt? Es war allemal eine Aufführung von Beethovens Violinkonzert in der Kölner Philharmonie, die man so schnell nicht vergessen wird – was auf jeden Fall positiver ist als das Ertrinken eines Musikerlebnisses im Einerlei des schon hundertmal so oder ähnlich Gehörten. Auf der anderen Seite ist Originalität indes auch kein Wert an sich.
Kölner PhilharmonieDer Kampf gegen Beethoven
Ausrasten mochte Patricia Kopatchinskaja nicht nur in der der Kadenz des ersten Satzes – einer Adaption von Beethovens nicht sehr geläufiger Kadenz der Klavierfassung dieses opus 61 für die Violine, Orchesterbässe und selbstredend die Pauke. Generell pflegt die barfüßige Künstlerin vielmehr hingebungsvoll den wütenden Dialog mit dem Orchester und auch einzelnen Instrumenten, so der Geige des Konzertmeisters. Da wird Kopatchinskaja zur fauchenden, allzeit sprungbereiten Wildkatze.
Patricia Kopatchinskaja spielt Beethovens Werk mit neuer Intensität
Klar, Beethoven wächst so eine ganz neue Dramatik und Aggressivität zu, er büßt durchaus jene klassizistische Gediegenheit ein, die vielleicht eh nicht sein Ding ist, die aber gerade diesem vermeintlichen sonnenbeschienenen Stück im Konzert immer wieder zuwächst. Sowieso gibt es viele Noten zu hören, die nicht in der Partitur stehen. Ein Ausdrucksverlangen explodiert, das so schnell keine Grenzen anerkennt – auch nicht solche, die der Komponist selbst gezogen hat.
Der „Schönklang“ bleibt dabei immer wieder auf der Strecke: Da geht es ruppig und strippig zu, da ächzt das Holz, da setzt es Klangverfremdungen mit Flageoletts und auch ganz einfach falsche Noten (war da etwa beim zweiten Refrain des finalen Rondo eine Moll-Terz zu hören?). Das sind keine technischen Defizite im engeren Sinn: Kopatchinskaja will es so, das Werk wird da irgendwie zum Gegner, der ständig begründen muss, warum man sich heute eigentlich noch mit ihm befassen sollte.
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Oder besser: Gespielt wird vor allem der Widerstand, den Musik, die nach Kopatchinskajas Auffassung etwas taugt, ihrer zügig-routinierten Abwicklung entgegensetzen muss. Keine Frage zeitigt das immer wieder extreme Spannungsmomente: Dem Anlauf zur Reprise im ersten Satz etwa wuchs eine bannende Intensität zu, wie man sie sonst eigentlich nie erlebt. Irgendwann steht die Sache dann allerdings doch auf der Kippe, stellt sich unweigerlich die Frage: Wenn Beethoven der Künstlerin von Haus aus nicht genug bietet – sollte sie sich dann nicht konsequent einem anderen Repertoire zuwenden?
Die Musikkritik kann den Auftritt in der Kölner Philharmonie nicht greifen
Anlässlich dieser Frage wird freilich auch deutlich, dass die etablierten Maßstäbe der Musikkritik am Phänomen Kopatchinskaja irgendwie dysfunktional werden. Man kann das alles mit Gründen genauso furchtbar wie großartig und überwältigend finden. Vielleicht ist es ja beides zusammen – wenngleich das Publikum sich hör- und sichtbar ganz überwiegend für die zweite Option entschied.
Mit dem dem Philharmonia Orchestra, einer der Londoner Spitzenformationen, und dem jungen finnischen Dirigenten Santtu-Matias Rouvali hatte die Geigerin Partner, die sich von der energischen Gewalt ihrer eigenen Performance anstecken und mitreißen ließen – bis in die Tiefe der Partitur hinein: Hat man die Fagotte schon mal so dringlich, so klangbestimmend gehört? Nach der Pause folgte noch eine inspirierte, gelegentlich etwas zu druckvolle und überspannte Wiedergabe von Sibelius' zweiter Sinfonie. Den Eindruck des Beethoven-Konzerts vermochte sie indes nicht zu toppen. Wie auch?