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Kölner PhilharmonieJan Lisiecki setzt Maßstäbe mit Chopin

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Jan Lisiecki

  1. Die jugendliche Spiellust ist immer noch da, doch das Spiel ist reifer geworden.
  2. Kein Detail im pianistischen Erzählfluss entgeht seiner Aufmerksamkeit.
  3. Dirigent Ticciati befreit Strawinskys "Feuervogel" gründlich aus altrussischer Weihestimmung.

Köln – Wie Jan Lisiecki in Kölns Philharmonie Schumanns „Träumerei“ spielte – damit allein schon ließe sich eine Rezension füllen. Die Auftakt-Quarte nahm er jeweils ganz trocken, fast unwirsch, um die gestaute Energie dann in immer wieder neu austarierten Linien abfließen zu lassen. Mal orchestrierte er eine Violinfigur in Schumanns Klaviersatz hinein, dann wieder erhob sich ein feierlich-sanfter Bläserchoral.

Und das war nur die Zugabe. Eigentlich war der 24-jährige für Chopins f-Moll-Konzert engagiert, das er aber im Grunde ganz ähnlich anging: In jedes Solo stieg er rhythmisch streng und auf einem hohen Energie-Level ein, als wolle er sich zunächst einmal mit markanter Geste Gehör verschaffen, um die Dinge dann von allen Seiten zu betrachten und abzuwägen. Schon 2015 hatte er sich an gleicher Stelle mit dem e-Moll-Konzert präsentiert. Die jugendliche Spiellust, die Freude an der geschmeidigen leichtathletischen Volte – das ist alles unvermindert da, aber es scheint doch, als sei der Kanadier mit polnischen Wurzeln seither künstlerisch noch weiter gereift. Der Ausgleich zwischen metrischer Strenge und gestischer Freiheit (bei Chopin heißt das fast immer: zwischen linker und rechter Hand) gelang ihm meisterlich, kein Detail im pianistischen Erzählfluss entging seiner Aufmerksamkeit.

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Auch in der technischen Bewältigung setzt Lisiecki Maßstäbe. Es heißt ja immer, „so etwas“ könnten mittlerweile viele. Aber das stimmt nicht: Ein so trennscharfes, locker aufgeschlagenes, in elastischen Bögen ausgestreutes Non-Legato können eben nicht viele produzieren. Es ist auch keineswegs Resultat einer besonderen sportlich-manuellen Begabung; hier äußert sich vielmehr ein kompromissloser Klang- und Darstellungswille, der souverän über die pianistische Physis gebietet.

Für das Orchester ist hier wenig zu gewinnen. Es ist vor allem Stichwortgeber, Bassverstärker, Klangfutteral für die melancholischen Girlanden im langsamen Satz. Und doch mochte sich das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin damit offenkundig nicht zufriedengeben. Chefdirigent Robin Ticciati ließ Licht und Luft in den schwerfälligen Begleitpart strömen, hob reizvolle Episoden heraus – etwa den kleinen Dialog zwischen Klavier und Fagott in der Larghetto-Repise oder das freundlich-derbe Spiel mit dem Bogenholz der Streicher im Finale.

An den Rahmenwerken schadlos gehalten

Im Grunde aber hielten sich die Berliner eher an den Rahmenwerken schadlos, die gleichfalls reich an slawischen Aromen waren. Sergej Rachmaninows „Toteninsel“ erlöste der britische Maestro durch ein sanft drängendes Pulsieren aus dem etwas monotonen Wellenschlag des Fünfachtel-Metrums. Auch durch die irisierenden Klanglandschaften von Strawinskys „Feuervogel“ ging Ticciati mit vergleichsweise raschem Schritt, was das hymnische Finale vielleicht allzu gründlich von seiner altrussischen Weihestimmung befreite. Man spielte nicht (wie üblich) eine der gerafften Suiten, sondern das komplette Ballett. Hier gibt es über die geschlossenen Tanznummern hinaus viele schwer zu koordinierende pantomimische Zwischenstrecken, die das Orchester mit unanfechtbarer Präzision und Deutlichkeit ausformulierte.