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PhilharmonieMartin Grubinger erkrankt - Einspringerin bringt Köln aus dem Häuschen

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Percussionistin Vivi Vassileva 

Köln – Zwei Überraschungen – eine angenehme und eine auf Anhieb weniger schöne – hatte das Publikum des Gürzenich-Konzerts am Sonntagmorgen zu gewärtigen: Die lästige Ausweiskontrolle am Eingang entfällt jetzt (nur noch die allgegenwärtige Gesichtsmaske erinnert an Corona), aber der angekündigte Starsolist Martin Grubinger hatte krankheitsbedingt abgesagt.

Der Ärger darüber konnte sich dann freilich in engen Grenzen halten, denn mit der deutsch-bulgarischen Perkussionistin Vivi Vassileva (die zudem Grubingers Protegé ist) war eine Einspringerin gefunden worden, die es an Virtuosität, Verve, Klangsinn und einer aus jeder Körperpore dringenden Musikalität des Rhythmischen durchaus mit dem gefeierten Charismatiker aufnehmen kann. So jemand bringt sogar das distinguierte Gürzenich-Publikum am Sonntagmorgen aus dem Häuschen – auch mit der Zugabe, Jacob Gades „Tango Jalousie“.

Leider musste auch das ursprünglich vorgesehene Hauptwerk, Friedrich Cerhas Schlagzeug-Konzert, ausgetauscht werden – gegen einen leider nicht vollgültigen Ersatz: das dreisätzige Werk „Tears of Nature“ des in New York lebenden chinesischen Komponisten Tan Dun. Das Stück, bei dem die Solistin zwischen Pauken, Marimba und Schlagzeug hin- und herwandern durfte, bezieht sich, spektakulär genug, auf drei Natur- wie von Menschen verursachte Katastrophen: den Reaktor-Gau von Fukushima, ein Erdbeben in Südostchina und die Anschläge auf die Twin Towers von Nine Eleven.

Anrollende Tsunamis, explodierende Hochhäuser

Sicher kann man da zur Not anrollende Tsunamis oder das Explodieren von Hochhäusern imaginieren – dass die genannten Ereignisse sich aufdrängten, wird man kaum behaupten wollen. Die Musik ist vielmehr ein bekömmlicher, aber auch beliebiger postmoderner Stilmix, in dem jenseits der angesagten Dominanz des Perkussiven immer wieder irgendwie Bekanntes aus dem sinfonisch-melodischen Repertoire auftaucht: Mal klingt es da nach Tschaikowsky, mal nach „Sacre“, mal nach nach Hollywood, mal nach Karibik. Nun ja!

Die Spielleistung des Orchesters unter der noch recht jungen Hongkonger Dirigentin Elim Chan war freilich beeindruckend in seiner fokussierten „Alertness“ – und das umso mehr, als – wie zu hören war – die Partitur erst am Freitag aus Wien hatte herangeschafft werden können. In jeder Hinsicht begeisternd, eindringlich, ja erschütternd gestaltete sich nach der Pause die Interpretation von Tschaikowskys „Pathétique“.

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Ja, Elim Chan wird dem Beinamen der sechsten Sinfonie gerecht, aber hier greift keine sentimental-kitschige Weichzeichnung Platz. Vielmehr ist es das dichte Pathos einer bis in die letzten Takte hinein spannungsgeladenen individuellen Tragödie, das teils mit hochenergetischer Härte, teils mit dem Willen zum großen Atem, zum Fließen- und Strömenlassen ins Werk gesetzt wurde.

Besser kann man das– gerade auch in der Balance der Gegensätze zwischen instrumentaler Lyrik und unerbittlicher Detailfokussierung – kaum machen. Sollte François-Xavier Roth irgendwann einmal keine Lust mehr auf den Gürzenich-Chefposten haben – Elim Chan hat sich spätestens jetzt als eine mögliche Nachfolgerin empfohlen.