Köln – Vorweg kurz und schmerzlos ein bisschen Alibi-Moderne, dann ein brillant gespieltes Virtuosenkonzert und zum Abschluss spätromantisch-opulenter Sinfonik. Ein Konzertprogramm wie von der Stange. Warum so einfalls- und beziehungslos, ohne Dramaturgie und Aussage?
Das Eröffnungsstück wies der Programmzettel als „gemäßigte Moderne“ aus. Doch gemessen an der Moderne von Mahler, Strauss, Debussy oder Skrjabins um 1900 handelte es sich bei Aaron Kernisʼ „Musica Celestis“ für Streichorchester von 1992 allenfalls um gefallsüchtige Wohlfühlmusik ohne Ecken und Kanten. Derlei epigonale Neo-Neo-Klassik verkleistert heute alle Kanäle und Ohren. Warum jetzt auch noch die WDR-Konzerte?
Staunenswerte Virtuosität zeigte Solist Daniel Lozakovich in Tschaikowskys Violinkonzert. Neben rasender Geläufigkeit bewies er größte Intonationssicherheit bei Doppel- und Tripelgriffen sowie höchsten Flageoletts und Spitzentönen. Der kaum 21 Jahre junge Geiger verfügt über außergewöhnliche Könnerschaft. Alles an seinem Spiel ist perfekt und brillant. Auf seiner Stradivari entfaltet er selbst bei zartestem Pianissimo große Leuchtkraft und vermag auch volle Tuttipassagen zu überstrahlen.
Oberflächlich, berechenbar, ohne Anteilnahme
Dennoch schlägt sein Spiel nicht wirklich in Bann, wirkt oberflächlich, berechenbar, ohne individuelle Anteilnahme, persönliche Kreation, Invention, Überraschung. Dies zu leisten ist bei solchem Kernrepertoire freilich schwer, aber umso nötiger und auch möglich. Und dieser junge Geiger wird sich noch weiter entwickeln, allen aktuellen Beifallsstürmen zum Trotz.
Um ein wirklich herausragender Musiker zu werden, muss Lozakovich jenseits brillanten Violinspiels noch die Rollen und Potentiale erkennen und einsetzen lernen, die ihm durch sein Musizieren in der Welt zuwachsen. Andernfalls bleibt er bloß ein weiteres auf instrumentale Akrobatik dressiertes Zirkuspferdchen, das weltweit durch die Manegen der Konzerthäuser getrieben wird.
Tschaikowsky als absichtsvolles Bekenntnis?
Dass er sich aus solcher Beschränktheit befreien sollte, offenbarten seine zwei Zugaben. Mit Eugene Ysaye „Dance rustique“ präsentierte er sich abermals bloß als Präzisionsmaschine und mit dem „Valse sentimentale“ spielte er ausgerechnet erneut Tschaikowsky. Fällt ihm wirklich nichts anderes und vielleicht auch aktuell sinnigeres, aussagekräftigeres ein? Zeugt der zugegebene Tschaikowsky bloß von Unbedarftheit und apolitischer Weltfremdheit, oder war das ein absichtsvolles Bekenntnis? In Kriegszeiten wird schließlich vieles zum Zeichen, was es sonst nicht wäre.
Das WDR Sinfonieorchester begeisterte in der zweiten Hälfte mit Edward Elgars „Enigma-Variationen“. Die vielen Farb-, Dynamik- und Charakterwechsel gelangen allesamt prompt und prägnant. Mal kontrapunktisch kryptisch, mal neckisch tändelnd, in diesem Moment zart gehaucht, im nächsten überschwänglich jubilierend, dann wieder feierlich schreitend oder imperial bombastisch.
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Die 1986 in Neuseeland geborene Dirigenten Gemma New gestaltete alles mit schwungvoll raumgreifenden Ausfallschritten, Arm- und Körperbewegungen. Selbst bei leisen, solistischen oder kammermusikalischen Passagen bewegte sie sich fast durchweg in maximalem Radius. Das wirkte zuweilen undifferenziert und theatralisch-effektheischend, erzielte aber dennoch ein großartiges klangliches Resultat.