Die US-Künstlerin Chris Korda sähe die Menschheit gerne ausgestorben. Jetzt zeigt der Kölnische Kunstverein ihre erste Ausstellung in Deutschland.
Kölnischer KunstvereinChris Korda lädt uns zum kollektiven Freitod ein
Seit einigen Wochen wird wieder über Gebärmüdigkeit geredet, dieses Mal hat sie sich angeblich über die zukunftsängstliche Generation Z gelegt. Vereinzelt sollen in den sozialen Medien sogar Aufrufe zum Gebärstreik gesichtet worden sein, um gegen den Klimawandel zu protestieren – bezeichnen sich die Klebstoff-Aktivisten etwa deswegen als Letzte Generation? Bei solchen Debatten meint man Chris Korda, Musikerin, Künstlerin und Gründerin der Church of Euthanasia, milde oder auch sarkastisch lächeln zu sehen. Sie wirbt seit mehr als 30 Jahren für einen Klima- und Bewusstseinswandel: „Save the planet, kill yourself.“
Mit solchen Parolen über die Grenzen des menschlichen Wachstums wurde Chris Korda in den 1990er Jahren ein bisschen berühmt und auch ein bisschen berüchtigt. Sie predigte ihrer Gemeinde, die potenziell aus der gesamten Menschheit besteht, sich nicht weiter fortzupflanzen („Make Love, not Babies“), warb offensiv für Abtreibungen und trat als Hohepriesterin eines angeblichen „Selbstmord-Kults“ bei der viel gesehenen Krawall-Talkshow von Jerry Springer auf.
Für „I Like to Watch“ kombinierte Korda Bilder von 9/11 mit Pornos und Sportübertragungen
Um die perverse Schaulust geht es auch in ihrem bekanntesten Musikvideo „I Like to Watch“, für das sie Bilder von 9/11 zwischen Schnipsel aus Pornos und Sportübertragungen schnitt. Als die gleichnamige Single erschien, hatte Korda ihren Ruf als Komponistin komplexer Ambient-Musik bereits vorsätzlich ruiniert: Anlässlich ihres 1999 erschienenen Albums „Six Billion Humans Can’t Be Wrong“ sprach sie davon, dass Weltkriege ein ineffektiver Weg zur Rettung der Erde vor den Menschen seien und der Holocaust zwar schrecklich gewesen sei, aber rein quantitativ gesehen nichts im Vergleich zu den Abermillionen Tieren, die jährlich für unseren Fleischverzehr getötet werden.
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Regt das alles heute noch jemanden ernsthaft auf? Oder gerade wieder? Vorsichtshalber betont Valérie Knoll, die Chris Korda jetzt im Kölnischen Kunstverein deren erste deutsche Einzelausstellung beschert, dass die Church of Euthanasia auf Freiwilligkeit beruht; auch fleischfressende Menschen werden von der in den USA offiziell zugelassenen Kirche also nicht zur Hölle gewünscht. Allerdings plädiert Korda sehr wohl dafür, dass wir uns als Menschen nur vom eigenen Fleisch ernähren. Andere Gattungen für unsere Arterhaltung zu quälen und zu töten, lehnt sie ab. Das hat eine bestechende Logik und ein offensichtliches Kalkül: Vor die Wahl zwischen Veganismus und Kannibalismus gestellt, würden wohl selbst Beef-Enthusiasten zu Grasfressern mutieren.
Aber ist es überhaupt Kunst? Als Dauerperformance sehr wohl, zumal Kordas Auftritt bei Jerry Springer definitiv Christoph-Schlingensief’sche Qualitäten hat. Bei der Ausübung ihrer selbstgebauten Religion fallen zudem reichlich Devotionalien ab: T-Shirts, Kleider, Banner, jeweils mit neu-biblischen PR-Sprüchen versehen, Fernsehaufzeichnungen oder wandfüllende Gemälde orientierungslos herumirrender Spermien. Eine Instagram-Story ist in Köln als Bilderreihe aus 40 digitalen Farbfotos zu sehen. Erzählt ist die Geschichte aus Schock- und Partybildern aus der Sicht eines reimenden Säuglings: „It’s my future on the line/While you bitches shop and dine/I didn’t ask to be born/Into a disaster porn.“
Als Apostel einer derart rigorosen Moral ist man in der Kunstwelt vielleicht sogar besser aufgehoben als in einer Sekte – erstere hat traditionell eine große Toleranz für „abwegige“ Ansichten und Ideen. Andererseits bietet eine Ausstellung wie jetzt im Kunstverein den Besuchern auch eine billige Ausflucht: Man konsumiert die Botschaft als ästhetische Provokation und macht weiter wie bisher.
Auch Chris Korda hat ein Leben außerhalb ihrer Kirche
Auch Chris Korda hat schließlich ein Leben außerhalb ihrer Kirche. Valérie Knoll gibt uns Einblicke in ein „Gesamtkunstwerk“ aus Musik, Bildern und Aktivismus, das historisch mit frühen Zeichnungen aus Kordas Studienzeit beginnt und mit einigen mithilfe künstlicher Intelligenz erzeugten Selbstporträts endet. Beides wirkt im Rahmen der Ausstellung geradezu bieder, auch wenn Kordas KI-Anleihen bei Film- und Kunstgeschichte zu recht hübschen Ergebnissen führen.
Interessanter sind ihre Musikvideos und Musikfilme. „Adagio for Color Fields“ beruht auf einem von Korda programmierten Algorithmus, der Bilder und Töne in Echtzeit erzeugt und endlos variiert; frühestens in mehreren Billionen Jahren sollen sich Tonfolgen wiederholen können. Das Ergebnis klingt nach loungiger Ambient-Musik und morpht sich auf der Suche nach meditativer Entspannung durch das Farbspektrum. Das alles wirkt unverdächtig. Oder ist es der Soundtrack der Sterbehilfe?
Dann wäre „Potter Draw“ die Reanimation. Auch dieses Musikvideo folgt dem Ideal zwanglos verschmelzender Bilder und Töne, scheint aber direkt aus einem DJ-Set zu kommen. Auf der Leinwand fließen zylindrische Formen durcheinander, stets streng im musikalischen Dancefloor-Takt. Das erinnert ans Mickey-Mousing der frühen Disneyfilme. Und doch: Wenn uns Chris Korda zu Tode langweilen wollte, ist ihr das nicht mal ansatzweise gelungen.
„Chris Korda – Artist’s Con(tra)ception“, Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6, Köln, Di.-So. 11-18 Uhr, 25. Mai bis 14. Juli 2024.