- „Guilty Pleasure“ – ein Vergnügen mit Schuldgefühlen – nennt man im englischsprachigen Raum Filme, Serien, Shows, Musik oder Literatur, die man mag, obwohl man weiß, dass sie im Allgemeinen nicht besonders hoch geschätzt werden.
- Solche Guilty Pleasures stellen wir in unserer neuen Serie „Lacht nur – ich find’s gut“ vor. Den Auftakt macht Trash-TV.
- RTL zeigte die erste Folge der neuen Staffel „Der Bachelor“ am Mittwoch.
Ich habe wirklich versucht, damit aufzuhören. Ich habe mir immer wieder vorgebetet, dass ich diese Stunden so viel sinnvoller nutzen könnte. Ich könnte ein Buch lesen, Musik hören, eine Serie anschauen oder mich gar für den Weltfrieden einsetzen. Hat alles nicht geholfen. Wenn am Mittwochabend bei RTL die neue Staffel von „Der Bachelor“ startet, werde ich einschalten
Ich werde mir anschauen, wie 22 Frauen um die Gunst des dauerlächelnden Vorzeige-Singles Niko Griesert buhlen. Corona-bedingt erstmals nicht an exotischen Orten, sondern in Deutschland. Ich werde mich darüber aufregen, dass viele dieser jungen Frauen einen starken Mann an ihrer Seite wollen, der ihnen gerne auch mal sagen darf, wo es langgeht.
Die Suche nach der wahren Liebe?
Ich werde darüber lachen, dass alle von der Suche nach wahrer Liebe reden, obwohl es darum in dieser Sendung noch nie ging. Ich werde die einzelnen Szenen kommentieren, ich werde sehr viel Fremdscham empfinden. Aber ich werde nicht umschalten. Formate wie „Der Bachelor“ sind mein persönlicher Auffahrunfall. Ich kann nicht wegschauen. Es ist einfach zu unterhaltsam.
Trash-TV nennt man Sendungen wie „Der Bachelor“, „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ oder „Big Brother“. Müllfernsehen also, das ist nicht besonders schmeichelhaft. Harald Schmidt prägte dafür in den 90er Jahren den Begriff Unterschichtenfernsehen. Und genau das beschreibt die Haltung vieler, wenn es in sozialen Netzwerken und anderswo um diese Formate geht.
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Man versucht, sich abzugrenzen, oft mit einer solchen Vehemenz, dass es schon verräterisch ist. Nach dem Motto: Der Pöbel mag solchen Schund gucken, ich will damit nichts zu tun haben. Doch das ist nicht nur arrogant, sondern auch falsch. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik untersuchte 2016 erstmals, wer gerne Trash-Filme schaut. Ergebnis: Überdurchschnittlich viele Fans solcher Filme haben studiert.
Nicht jeder, der da mitmacht, ist ein Idiot
Das wird wiederum diejenigen bestärken, die glauben, wer solche Sendungen schaut, macht das nur, um sich den Teilnehmern überlegen zu fühlen. Auch dieser Vorwurf greift aber zu kurz.
Nicht jeder, der in einer solchen Sendung mitmacht, ist ein Idiot. Viele wissen sehr genau um die Spielregeln, nach denen Trash-TV gespielt wird. Es geht um Aufmerksamkeit, darum, seinen Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Das kann man verwerflich finden – oder einfach geschäftstüchtig.
Ja, es gibt auch bedenkliche Entwicklungen, wenn etwa bei „Germany’s Next Topmodel“ jungen Frauen beigebracht wird, immer brav zu allem Ja zu sagen und nicht zu aufsässig zu sein. Oder wenn das Fernsehen Menschen vorführt, die nicht einschätzen können, was da mit ihnen geschieht.
Aber wenn ein paar Influencer oder C-Promis, die genau wissen, wie die Gesetze solcher Formate lauten, ihre 15 Minuten Ruhm ausnutzen, um ihren Marktwert im TV-Geschäft zu steigern und damit im Zweifel gutes Geld verdienen, ist das ihr Recht. Und niemand muss sich darüber erheben.
Eine gewisse Fallhöhe
Es gab schon immer Fernsehen, das von einer gewissen Fallhöhe im Umgang mit Kandidaten lebte, auch bei „Wetten, dass...?“ sah man Menschen scheitern. „Verstehen Sie Spaß“ erhob das Prinzip Schadenfreude gar zum Mittelpunkt einer Samstagabend-Show.
Seit langem versucht das Fernsehen, die Lebenswelt der Deutschen abzubilden. Nur deshalb wurde Familie Fussbroich einst berühmt. Das kann allerdings immer nur in Teilen gelingen, weil allein die Anwesenheit der Kamera dafür sorgt, dass eine neue Wirklichkeit entsteht, dass es eben kein Alltag ist. Aber wenn es gelingt, echte, überraschende Emotionen und Reaktionen einzufangen, macht genau das den Reiz aus.
Deshalb wurde das Dschungelcamp einst groß. Nicht, weil irgendjemand mit Kakerlaken übergossen wird, sondern weil man Menschen in Echtzeit dabei zusehen kann, wie sie mit Extremsituationen umgehen und sich die Dynamik in einer Gruppe entwickelt.
Das ist spannend – und im Idealfall einfach sehr, sehr gute Unterhaltung. Und manchmal sogar erschreckend aufschlussreich: Bei „Promis unter Palmen“ konnte man im vergangenen Jahr hautnah dabei sein, wie Mobbing entsteht.
Schlauer wird man nicht
Es gibt viele Dokumentationen, Reportagen, Filme und Serien, die uns schlauer machen. Dazu gehört „Der Bachelor“ sicher nicht. Aber die 500. Folge von „In aller Freundschaft“ oder „Der Bergdoktor“ eben auch nicht. Manchmal darf Fernsehen auch in erster Linie als Ablenkung vom Alltag fungieren.
Ja, es ist ein Widerspruch, aber trotz aller Inszenierung ist Trash-TV vielleicht das ehrlichste Fernsehen. Es macht sich nicht größer, als es ist. Es will einfach nur unterhalten – nicht mehr und nicht weniger. Und so werde ich ab Mittwoch wieder dabei sein, wenn der Bachelor seine Rosen verteilt.