Rocky Horror Show in KölnFrank'n'Furter, erlöse uns!
Köln – Der „Time Warp“ ist getanzt, jetzt kündigt die Bassdrum seinen großen Auftritt an. Und als Frank’n’Furter endlich auf der oberen Plattform der Showtreppe erscheint, die eher eine Feuertreppe ist, den giftblonden Kurzhaarschnitt noch unter einer schwarzen Joan-Crawford-Perücke verborgen, wird mir schlagartig klar, was mir zuvor bei allen Aufführungen der „Rocky Horror Show“ entgangen war: Der süße Transvestit aus dem transsexuellen Transsylvanien ist eine Erlöserfigur.
Ein Messiahs, auf die Erde herabgestiegen, um alle Marginalisierten und als pervers Herabgewürdigten von Schuld zu befreien. Richard O’Brien, der Schöpfer der bald 50 Jahre alten Kultshow, hatte unmittelbar zuvor in „Jesus Christ Superstar“ gespielt und nach nur einer Aufführung die Rolle als Herodes verloren, weil er sie als Elvis-Parodie angelegt hatte.
Dort wird das Brot, hier der Zombie-Rocker Eddie zerteilt, aber es läuft auf dasselbe hinaus: Eine Gemeinschaft wird gebildet – auch wenn im Gottesdienst niemand mit Wasserpistolen spritzt oder Klopapier wirft.
Wuchtig-muskulöse Bühnenpräsenz
Die „Rocky Horror Show“ steht und fällt mit der Rolle des Frank’n’Furter. Zum Glück entpuppt sich Oliver Savile, neu besetzt in Sam Buntrocks überarbeiteter Tournee-Inszenierung, als würdiger Nachfolger Tim Currys. Vielleicht nicht ganz so lustvoll diabolisch, aber dafür mit wuchtig-muskulöser Bühnenpräsenz: Auf seinen hohen Pumps überragt Savils den Rest des Ensembles, ein einschüchternder, manchmal rücksichtsloser Gebieter.
Umso überraschender ist es dann, wie gut ihm die verletzlichen Töne gelingen, wenn Frank’n’Furters Traum vom reuelosem Genuss schließlich zerbricht. Dazwischen flirtet Savil ausgiebig mit seinem Publikum, haucht in der langen Pause zwischen „Antici-“ und „-pation“ ein deutsches „Geduld“, und lebt sehr überzeugend die einzige Forderung, die das Stück an seine Zuschauer stellt, vor: „Don’t dream it, be it!“
Sky du Mont lechzt nach Zwischenrufen
Die anderen große Entdeckung im neuen, durchweg überzeugenden Cast ist Eleanor Walsh als Columbia, Franks und Eddies Ex-Geliebte, die mit einer Stimme wie ein Ballon, aus dem man gepresste Luft herauslässt und der Gestik einer angetrunkenen Stummfilmdiva jede Szene stiehlt.
Für Kontinuität sorgt dagegen Sky du Mont, der als Erzähler geradezu nach den „Boring“-Rufen aus dem Parkett lechzt, weil er so viele schlagfertige Antworten parat hat. Der lustigste Zwischenruf kam aber ausgerechnet nachdem Saviles elegischer Frage, was nur mit Fay Wray – King Kongs weißer Frau – geschehen sei: „She died!“
Ganz irdische Außenseiter
Das Update der Inszenierung betont noch stärker den Do-it-yourself-Charakter der „Rocky Horror Show“, die ihre Premiere auf der winzigen Dachboden-Spielstätte des Londoner Royal Court Theatre hatte, wenn auch mit einigem Aufwand, die Videoprojektionen betreffend. Die zeigen entweder Ausschnitte aus alten Horrorfilmen oder Trickszenen, die diesen nachempfunden sind: Die Extraterrestrischen vom Planeten Transexual sind eigentlich ganz irdische Außenseiter, die sich ihre eigene Welt aus B-Movies zusammengebastelt haben.
Inzwischen wirken wohl Brad und Janet, das frisch verlobte Spießerpärchen, als die wahren Aliens. So viel Gehemmtheit gibt es nur noch in alten Geschichten. Und wenn ihnen Frank’n’Furter auf moralisch höchst fragwürdige Weise nacheinander die Unschuld raubt – was Buntrock in lustig-suggestiver Scherenschnitt-Optik zeigt – möchte man aufseufzen: Es ist allerhöchste Zeit.
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