Kunst für lange Ohren in KölnDas fiktive Schnüttger-Webs-Museum
- In den 1980er Jahren erfand der Kölner Fotograf Ulrich Tillmann den Künstler Klaus Peter Schnüttger-Webs und errichtete für dessen angebliche Werke ein Museum.
- Jetzt ist der Bestandskatalog des fiktiven Schnüttger-Webs-Museum erschienen.
- Er schreibt eine grandiose Parodie auf den Kunstbetrieb fort und enthält herrliche Fundstücke aus der Geschichte der Fotografie.
Köln – Als sich Köln in den 1970er Jahren zum Kunstmarkt der Reichen und Schönen mauserte, bauten die Mitglieder des Au Backe Verlags auf dem alternativen Neumarkt der Künste ein improvisiertes Zeltkino auf. Es gab vier Sitze, im Werbeprogramm pries sich Ulrich Tillmann in vielen Superlativen als Fotograf der Extraklasse an, und statt des Vorhangs öffnete sich die Rückwand des Kinos und gab den Blick auf den Messetrubel auf dem Neumarkt frei. „Weltstadt Köln“ hieß der treffend betitelte Film, der schon deswegen alle anderen Filme in den Schatten stellt, weil er niemals aus dem Programm genommen wurde.
Spaßige Kritik am Kunstbetrieb
Man wäre liebend gerne dabei gewesen, als Ulrich Tillmann, Bettina Gruber und Maria Vedder damals ihre Sektlaune inszenierten, und selbstredend auch, als sie im Jahr 1986 parallel zur feierlichen Eröffnung des weltstädtischen Museum Ludwig in Köln ihren Gegenentwurf zur Ludwig’schen Großwild-Sammlerei präsentierten. Er war dem fiktiven Fotografen, Künstler, Sammler und Weltenbummler Klaus Peter Schnüttger-Webs gewidmet, sah einem richtigen Museum zum Verwechseln ähnlich und nahm mit anarchistischer Lust vorweg, was bald darauf in Köln als eher bierernste Kritik an den Institutionen der Kunstwelt betrieben wurde.
Mittlerweile ist das Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum in ein echtes Museum umgezogen, allerdings nur auf Zeit und auch nur als Dokumentation eines von Ulrich Tillmann ersonnenen Projekts. Bis zum 31. August präsentiert Kolumba den Nachlass des im vergangenen Jahr verstorbenen Kölner Fotografen und setzt damit die eigenen Bemühungen fort, Außenseitern des Kunstbetriebs eine standesgemäße Bühne zu bereiten. Gerade frisch erschienen ist der zur Kolumba-Ausstellung gehörende Bestandskatalog des Schnüttger-Webs Museums, der außer herrlichen Fundstücken aus der Fotografiegeschichte und listigen Parodien derselben eine kunsthistorische Einordnung, ein Interview mit Bettina Gruber und Maria Vedder sowie einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat enthält. Alles ganz im Sinne Tillmanns, dessen Lust an der Täuschung erst durch hingebungsvolle Pedanterie höhere Weihen erhielt. Lügen tut schließlich jeder, aber wenigen ist es vorbehalten, ein stabiles Lügengebäude zu errichten und beständig auszubauen.
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Wie die Sammlung wuchs, lässt sich im klassisch gestalteten Band anschaulich nachvollziehen. Einen Teil übernahm Tillmann aus seinem Bildband nachgestellter „Meisterwerke der Fotokunst“ (mit Wolfgang Vollmer), und wann immer er in der realen Welt oder in Archiven ein Motiv entdeckte, dass er eines Schnüttger-Webs für würdig befand, bewahrte er es mitsamt Legende für die Nachwelt auf. Die Aufnahme einer Frau, die einen Esel an den Ohren zieht, deklarierte er als von Schnüttger-Webs geschaffenes „Werbefoto für ein Potenzmittel“,einen auf ansprechende Weise demolierten Zaun erklärte er umgehend zur Skulptur, und für den Köln-Besuch der Leiterin der Schnüttger-Webs-Stiftung in Buenos Aires setzte er sich eine Perücke auf.
Woher Tillman diese Frechheit nahm? Vielleicht aus der Fotografiegeschichte selbst. Jedenfalls bilden die historischen Kuriositäten das Herz der musealen Sammlung. Für den empfänglichen Geist sind sie Vorbild und Ansporn zugleich.
„Das Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum. Ein Projekt von Ulrich Tillmann“, Kolumba Band 58, 136 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 25 Euro