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Musical Dome„Berlin Berlin“ gibt sich verkokst, ist aber ziemlich hüftsteif

Lesezeit 4 Minuten

Dominique Jackson als Josephine Baker

  1. Die Musical-Revue erzählt mit vielen Hits von den goldenen 20ern in Berlin.
  2. Vom waghalsigen Geist der Epoche ist jedoch nur wenig zu spüren.
  3. Unsere Kritik.

Köln – „Nachkriegserotik, Kokain, Salomé, letzte Perversität“, das waren die Begriffe, die Klaus Mann spontan einfielen, als er 1930 für die Zeitschrift „Die Bühne“ die (Nackt-)Tänzerin Anita Berber porträtieren sollte. Die labte zu diesem Zeitpunkt längst die Würmer, ihr von den Drogen ausgezehrter Körper war im zarten Alter von 29 Jahren von der Tuberkulose hinweggerafft worden. Und mit ihr starben auch die 20er Jahre.

Im Kölner Musical Dome ersteht Anita Berber von den Toten auf, als einer der Stars der Revue „Berlin Berlin“, in der Regisseur und Autor Christoph Biermeier pünktlich zu deren 100. Geburtstag die immer wilden, gelegentlich goldenen 1920er Jahre hochleben lässt – und deren Epizentrum im opulent verkommenen Admiralspalast an der Friedrichstraße in Berlin-Mitte, wo der Impresario Hermann Haller üppige Revuen zusammenstellte, denen er dann schlichte, aber suggestive Titel wie „Drunter und Drüber“ gab.

Verkörpert wird die Berber von der jungen Musicaldarstellerin Sophia Euskirchen, die in ihrem grellroten Schlauchkleid aussieht, als wäre sie just dem ikonischen Gemälde von Otto Dix – „Bildnis der Tänzerin Anita Berber“ – entstiegen. Ein Fantasiewesen also. Und sie singt ja auch kein Lied von, sondern eines über damals, nämlich das Titelstück des Musicals „Cabaret“.

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Dessen Interpretation ihr allerdings so phänomenal gelingt, dass zum ersten Mal an diesem Abend der waghalsige Geist der 20er durch das blaue Zelt zu wehen scheint. Der war bis zu diesem Moment eher Behauptung geblieben. Da mag Martin Bermoser als Conférencier im imaginierten Admiralspalast das Publikum noch so oft mit dem vermeintlich verkoksten, verkorksten Lotterleben vor, hinter und auf der Bühne löcken, er wirkt im Ganzen allzu glatt und routiniert. Das stört nicht bei „Puttin’ on the Ritz“, doch spätestens bei „Minnie the Moocher“ (aus dem Jahr 1931, aber wir wollen nicht kleinlich sein) und dem unweigerlichen Vergleich mit dem illusteren Cab Calloway schneidet Bermoser arg brav ab. Auch Nina Janke fehlt es als frisch für den „Blauen Engel“ entdeckter Marlene Dietrich an der herben Erotik des Originals ab, sie liefert hüftsteif ab, wo sie doch durch Kälte faszinieren sollte. Und Sebastian Prange berlinert als dazuerfundene komische Figur „Kutte“ zwar sehr schön und authentisch, gewinnt auch mit seinem „Lachfoxtrott“ im Handumdrehen die Herzen des Publikums, könnte sich aber ebenso gut aus einer Kindervorstellung von „Emil und die Detektive“ in die mondäne Welt verirrt haben.

Immerhin, „Berlin Berlin“ amüsiert von Anfang an grundsolide, die Optik ist stimmig, die Choreografie gekonnt, die Band unter der Leitung von Jeff Frohner famos, die Musikauswahl kenntnisreich – neben vielem Erwartbaren bekommt man unter anderem auch Fred Raymonds lustiges „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“ und das lässig-lüsterne „Es ist so schön, am Abend bummeln zu geh’n“ aus der Operette „Ball im Savoy“ zu hören.

Auch diese Titel stammen übrigens von Anfang der 30er. Aber das ist, wie gesagt, nicht wirklich das Problem. Man hatte sich die 1920er Jahre halt ein wenig aufregender vorgestellt. Bis eben Sophia Euskirchen – halb Anita Berber, halb Sally Bowles – das Feld von hinten aufrollt, mit gewaltiger, vor allem jedoch aufreizend und scharf phrasierender Stimme. Na also, geht doch!

Nach der Pause wird, rund um ein Medley ihrer größten Hits, die Geschichte der Comedian Harmonists angerissen, dann stürmt das plötzlich krachlederne Ensemble Bierkrüge schaukelnd die Bühne und erinnert daran, dass Ralph Benatzkys österreichisches Singspiel „Im weißen Rößl“ eine urberlinerische Angelegenheit war, und das idyllische Salzkammergut ein Produkt großstädtischer Dekadenz.

Mehr 30er als 20er

Und wieder: das Stück feierte seine Uraufführung im November 1930. Langsam erscheint der Untertitel „Die große Show der goldenen 20er Jahre“ doch fragwürdig. Erneut rettet das große Vorbild „Cabaret“ die Show, ein junger Nazi krakeelt aus dem Parkett und unterbricht Josephine Bakers (Dominique Jackson) – hier ziemlich züchtigen – Charlestontanz im Bananenschurz. Er wird mit den vereinten Kräften des multikulturellen und -sexuellen Ensembles fortgejagt wie das Krokodil im Kasperletheater, doch schon bald verstellt eine riesige Hakenkreuz-Flagge den Blick aufs bunte Geschehen. Die Darsteller erscheinen als Schatten dahinter, singen beinahe hilflos vom Glück „Irgendwo auf der Welt“.

Und schließlich „Zu Asche zu Staub“, den technoiden Hit aus „Berlin Babylon“. Die 20er sind tot, es lebe die Idee der 20er!

„Berlin Berlin“ ist bis zum 2. Februar im Kölner Musical Dome zu sehen, vom 4. bis zum 9. Februar dann im Düsseldorfer Capitol Theater.