Musik-Doku-Serie „Wie ein Fremder“Wenn Popstars nebenher Pakete ausfahren müssen
Eine Definition von Musik-Business geht so: Die großen Plattenfirmen klatschen zehn Bands gegen die Wand und hoffen, dass eine davon kleben bleibt. Was mit denen passiert, die fallen, davon kann Roland Meyer de Voltaire ein Lied singen. Er war Ende 20, als sein Traum zerplatzte. Was übrig blieb: zigtausende Euro Schulden. Mit seiner Band Voltaire hatte der in Bonn aufgewachsene Sänger und Songschreiber einige Jahre zuvor einen Vertrag bei dem Label Universal ergattert. Kritiker sämtlicher Musikzeitschriften feierten seinen schwelgenden deutschen Pop, der bei aller Eigenständigkeit nach großen Namen wie Coldplay oder Radiohead klang. Doch die Lobeshymnen sollten nichts nützen. Gar nichts.Heute ist Meyer de Voltaire 41 Jahre alt – und verfolgt seinen Traum weiter. Und das, obwohl er zeitweise keine eigene Wohnung hatte, sein Klavier verpfändete oder nicht wusste, wie er seine Miete im nächsten Monat bezahlen sollte.
Sicherheiten geopfert
Der Bonner Filmemacher Aljoscha Pause hat ihn sechs Jahre lang begleitet. Er erzählt in seiner neuen fünfteiligen Doku-Serie „Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusik-Geschichte“ an dem steinigen Weg von Meyer de Voltaire, der viele Sicherheiten im Leben zugunsten seines überragenden musikalischen Talents geopfert hat, das Große im Kleinen.Wie viele Musikfans wissen eigentlich, dass ihre Lieblingsmusiker trotz Chart-Hits nebenher Pakete ausfahren müssen? Wie viel von dem, was unser Leben bereichert, gäbe es ohne Künstler, die bereit sind, sich selbst auszubeuten und ausbeuten zu lassen? Was ist künstlerischer Erfolg – jenseits des nur finanziellen? In schonungsloser und deshalb auch berührender Offenheit erzählt Meyer de Voltaire vom Straucheln und Zweifeln, das ihn in den vergangenen 20 Jahren begleitet hat.
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Doch die Serie handelt nicht nur vom Hinfallen und Wiederaufstehen, sie feiert auch die Faszination von Popmusik, Meyer de Voltaires Stimmgewalt und Musik. Viele Insider des Popgeschäfts, darunter auch der Kölner Ex-„Intro“-Chefredakteur Linus Volkmann, von dem die brutale Beschreibung der an die Wand geklatschten Bands stammt, erzählen in der Dokumentation von den Bedingungen eines Business, das Glamour verkauft, aber alles andere als glamourös ist.
Auch viele bereits etablierte Musiker und Weggefährten von Meyer de Voltaire kommen zu Wort: Selig-Gitarrist Christian Neander oder der Berliner Rapper Megaloh, die von den immer härteren Bedingungen einer Musiker-Existenz erzählen in Zeiten, in denen keine Alben mehr gekauft werden.„In der Popwelt geht man damit natürlich nicht hausieren. Man will das Bild eines Popstars nicht durch Alltags-Profanitäten zerstören“, erklärt Pause. Der Regisseur war bislang im Fußballmetier zuhause, hat großartige Filme über den gefallenen Superstar Mario Götze oder Ex-FC-Spieler Thomas Broich („Tom meets Zizou“) gedreht. Nun widmet er sich erstmals der Musik, sieht zwischen den Geschäften aber viele Parallelen. „Fußball wird medial sehr zugespitzt und auf eine Weise inszeniert, die real so gar nicht existiert. Das ist in der Popmusik ähnlich. Mich hat es angetrieben, hinter die Kulissen zu schauen.“
Dokumentation und Premiere in Bonn
Die fünfteilige Dokumentarfilm-Serie „Wie ein Fremder – Eine deutsche Popmusik-Geschichte“ wird am Freitag, 5. Juni, via Blu-ray & Video on demand veröffentlicht und ist dann unter anderem bei Amazon erhältlich.
Am Dienstag, 2. Juni, 17 Uhr, feiert die Dokumentation in der Bonner Auto-Konzert-Location an der Immenburgstraße Premiere. Dann wird die erste Folge der Serie gezeigt. Danach tritt die Band Voltaire nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder zusammen auf. Tickets gibt es im VVK ab 46 Euro (gültig für zwei Personen im PKW). (sbs)www.bonnlive.com
Dass die Radios damals nicht bereit waren, Voltaire zu spielen, habe wohl maßgeblich zum Scheitern der Band beigetragen. „Aus Formatradio-Sicht darf die Musik nicht beim Bügeln stören. Bei Voltaire musste man bereit sein zuzuhören“, lautet Pauses Erklärung für den Misserfolg der Band, die ihn von Anfang an begeistert hat. Er erlebe als Regisseur in der Filmbranche die gleiche große Ängstlichkeit, Neues auszuprobieren, und zu wenig Mut, den Zuschauern Dinge jenseits des Mainstreams zuzumuten.„Ein großes System, in dem alle Opfer und Täter sind“, fasst Meyer de Voltaire seine Sicht auf das Pop-Geschäft zusammen. Er hat musikalisch nach Voltaire ganz neu angefangen, setzt mit seinem Projekt „Schwarz“ auf epische Popmusik auf Englisch, schreibt zudem Songs mit Musikgrößen wie Schiller und begleitet sie auf Tour. Ob seiner Musik der große Durchbruch noch beschert wird?
„Keine Platten mehr“
Dass die bei aller Ruhe und Intimität spannend erzählte Serie nun mitten in der Coronakrise erscheint, macht ihr Plädoyer für den Wert der Kunst noch stärker – und für Musiker, die seit Monaten ihrer wichtigsten Einnahmequelle, Konzerten, beraubt sind. Leider erlebe er derzeit nicht nur Solidarität, sagt Meyer de Voltaire. Wenn Künstler nicht in der Lage seien, sich ein finanzielles Polster anzuschaffen, sollten sie lieber einen vernünftigen Job wählen, heiße es oft in den sozialen Netzwerken – unverhohlen unsozial. Dabei, so Meyer de Voltaire, könne die Musikszene nur existieren, weil viele Künstler und Mitarbeiter hinter den Kulissen sich für die Sache entscheiden würden – und gegen Geld. „Ohne uns würde es keine Filme, keine Platten und kein Theater geben.“