Mit Anti-AfD-Song „Woodburger“So ist das neue Album der Ärzte
- „Es gibt nur einen Gott – Bela, Farin, Rod." So lautete einst ein Spruch, den die Band Die Ärzte auf ihr Merchandising drucken ließ.
- Jetzt hat das Trio mit „Hell“ sein erstes Album seit acht Jahren veröffentlicht.
- Was jahrelang das Erfolgsgeheimnis der Band war und wie das neue Album ist, lesen Sie hier.
Köln – Die beste Band der Welt, so haben sich die Geht-so-Musiker von Die Ärzte seit jeher tituliert. Aber zum Teufel mit der Ironie: Das waren sie doch wirklich einmal. Etwa, wenn man Mitte der 80er Jahre Teenager war und „Uns geht’s prima“, die erste Miniplatte des Berliner Trios, oder „Debil“, ihr LP-Debüt, in die Hand bekam. Und fortan all die unglaublichen Zeilen über den Vornamen von Mr. Spock (Karl-Heinz) und den roten Minirock des Mädchens von Kasse Vier wie einen Schatz in seinem Inneren hüten konnte.
Als dann die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften das Album zwei Jahre später auf den Index setzte (wegen des hinlänglich bekannten Liedes zoophilen Inhalts), trug man das Verbot wie einen Orden vor sich her und drehte den Kassettenrekorder am Baggersee lauter.
Von Generation zu Generation
Das eigentlich Tolle an Die Ärzte (die es hassen, wenn ihr Bandname flektiert wird) ist aber, dass sie denselben Beste-Band-der-Welt-Trick noch für die drei, vier folgenden Generationen wiederholten: Es wuchsen auf Jahrzehnte hinaus immer wieder vom Leben angeödete Zwölfjährige nach, welche zur rechten Zeit von einer neuen Die-Ärzte-Single – vielleicht „Westerland“ (1988), vielleicht „Schrei nach Liebe“ (1993), oder „Junge“ (2007) – erweckt wurden und fortan nie mehr ganz dieselben waren.
Das kann heute, 38 Jahre nachdem Jan Vetter alias Farin Urlaub und Dirk Felsenheimer alias Bela B die Band in Berlin-West gegründet hatten, selbstredend nicht länger funktionieren. Ein Umstand, dem sie gleich zum Auftakt ihres 14. Studioalbums „Hell“, dem ersten seit acht Jahren, Rechnung tragen, indem sie zu dahingeschluderten Trap-Beats „Die Ärzte 1.0“ ankündigen, „jetzt endlich auch in Stereo“. Nur den nächsten Reim darf man mal wieder ganz ironiefrei verstehen: „Unser Streben nach Schönheit und Perfektion/ Führt uns wieder zurück ans Mikrofon“.
Trio wird älter
Denn nach dieser kleinen Irritation geht es in altbewährter Drei-Powerakkorde-und-eine-schöne-Melodie-Ärzte-Manier weiter. Farin Urlaub und Bela B gehen stramm auf die 60 zu, Rod González ist auch schon 52, da kann man vielleicht noch neue Tricks lernen, aber man will es einfach nicht mehr. Heute mache er nur Sachen, die er mag, singt Urlaub in „Plan B“.
Beweisen muss er niemandem was: „Ich bin nichts als eine Sackgasse der Evolution/ Darum gebt mir bitte keine Vorbildfunktion.“ Gleich drauf lässt Bela B auf „Achtung: Bielefeld“ ein Loblied der Langeweile ertönen, etwas, dass die jungen Leute von heute ja gar nicht mehr kennen. Hier schleicht sich allerdings auch der erste Misston ein: „Ich denke, dass eine Mutter in Aleppo sich auch ganz gern mal langweilen würde“, sinniert Bela B. Der Gedanke – Langeweile als erstrebenswerter Luxus – leuchtet ein, doch der Bürgerkrieg in Syrien bricht etwas unvermittelt in die Felsenheimer’schen Altersreflexionen ein.
Album schließt episch ab
Am kontroversesten wird am Ende wohl „Woodburger“ diskutiert werden, der für Ärzte-Verhältnisse schon episch zu nennende Anti-AfD-Song, mit dem das Album abschließt. Der nicht ganz so geniale Plan der Band zur Unterwanderung der Rechtsausleger: In die Partei eintreten und dann schwul werden.
„Schwul, schwul, schwul, schwul“, haucht Rod Gonzáles im musikalisch extraschmierigen Refrain. Das ist so falsch, dass es schon wieder ... Nein, hier funktioniert der ewig pubertäre Impetus einfach nicht mehr. Als gäbe es keine schwulen Nazis, als könnte man Hass mit sexistischen Witzen bekämpfen.
Viele Experimente glücken
Freilich ist das kein Grund, Die Ärzte zu canceln, schließlich war die kalkulierte Geschmacklosigkeit einst ein Hauptgrund dafür, die Band fest ins Teenagerherz zu schließen. Zumal viele andere Experimente auf „Hell“ durchaus glücken: Zum Beispiel der Urlaubsreggae auf „Ich, am Strand“ zu dem Urlaub, beziehungsweise der Protagonist des Songs, im Fotoalbum seines Lebens blättert: „Ich mit dem Hund im Blumenbeet/ Ich mit dem Ohr wieder angenäht“. Oder ein Gaga-Stück wie „Einmal ein Bier“, in dem Bela B eine buddhistische Wiedergeburtsfantasie aus Hopfen-und-Malz-Perspektive schildert.
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Schließlich wagt sich Urlaub in „Leben vor dem Tod“ sogar auf das dünne Eis des existenziellen Liebesliedes, meint tatsächlich ernst, was er da singt, darüber, wie schön und kurz das Leben ist, und wie sinnlos, wenn man es allein verbringt. Das fühlt sich an, als hätte das Mädchen von Kasse Vier doch noch aufgeschaut, während es mit dem Wechselgeld bescheißt, als wäre es noch nicht zu spät.
Keine Band bleibt für immer die beste. Oft reicht es schlicht, dass sie immer noch da ist. Die Verletzungen der Jugend sind es ja auch. Für die bleiben Die Ärzte das Wundpflaster der Wahl. „Hell“, das klingt nach bösem Rock’n’Roll, aber auch nach dem Ende des Tunnels.