Köln – Dunkelheit, nur die leere Bühne ist blau erleuchtet, die Spannung steigt, doch das einzige, was zu hören ist, sind sphärische Orgelklänge. Schließt man die Augen, kann man fast meinen, man säße in der Sonntagsmesse und nicht am Montagabend in der Lanxess-Arena. Doch dann geht alles plötzlich ganz schnell und Nick Cave und seine Band The Bad Seeds platzen mit einem schreienden „Get Ready For Love“ auf die Bühne.
Damit ist die Atmosphäre des ganzen Abends vorbestimmt. Die Besucherinnen und Besucher werden auf eine Reise mitgenommen, die über sakral anmutende Klänge bis hin zum Punk-Rock alle Stationen abfährt. Und Nick Cave, wie zu erwarten im weißen Hemd und dunklen Anzug, scheut sich nicht, mit seinen 64 Jahren das Energie-Pedal voll durchzudrücken.
Beeindruckende Agilität
Mit beeindruckender Agilität springt er über die Bühne – sein „signature move“ ist ein unerwarteter Kick mit dem rechten Bein, der in den energischsten Momenten immer wieder zum Vorschein kommt. Man merkt: Nick Cave, die Musik-Legende, nimmt sich selbst nicht zu ernst.
An Stimmung mangelt es in der Arena nicht. Wobei sich wahrscheinlich die meisten Fans, die auf den Rängen sitzen, wünschten, sie hätten sich doch in den Stehbereich vor der Bühne getraut. Denn wenn sich eins mit Sicherheit sagen lässt: es lohnt sich bei kaum einem Act so sehr, sich den Weg in die erste Reihe vor die Bühne zu erkämpfen, wie bei Nick Cave and The Bad Seeds.
Auf einem Laufsteg, der vor der Bühne direkt auf Publikumshöhe errichtet wurde, tobt Cave sich schon bei den ersten Songs gründlich aus. Er ergreift jede Hand, die ihm ausgestreckt wird, singt seinen Fans die Worte ins Gesicht, er kniet sich zu ihnen, er umarmt sie – an diesem Abend werden viele Fan-Träume wahr.
Song ist dem verstorbenen Sohn gewidmet
Mit „O Children“ wird plötzlich alles anders. Es ist, als ob für das Lied alle den Atem anhalten. Denn allen Fans in der Arena wird bewusst sein, dass Cave vor nicht einmal zwei Monaten seinen Sohn Jethro verlor. Es ist nicht der erste tragische Kindesverlust für Cave. Bereits 2015 starb sein 15-jähriger Sohn Arthur beim Sturz von einer Klippe. Als Cave an diesem Abend zum ersten Mal „Children, lift up your voice“ über die Lippen bringt, meint man doch, trotz seiner ohnehin stets ausdrucksstarken und emotionalen Mimik, einen besonders tiefen Schmerz in seinem Gesicht zu erkennen.
Auch der nach „Jubilee Street“ und „Bright Horses“ folgende Song „I Need You“, den Cave 2016 veröffentlichte, ist seinem verstorbenen Sohn gewidmet. Cave sitzt allein am Klavier, ein einzelner Spotlight auf ihn gerichtet, und wiederholt die Bitte „Breathe, just breathe!“ bis auch ihm der Atem ausgeht. Ein Moment, der einen Schauer durch die Arena wandern lässt.
Energie am Schlagzeug
Wie man es von Nick Cave erwartet, lässt er die tiefe Trauer nicht allzu lang in der Luft hängen, und zieht mit „Tupelo“, einer seiner frühen Hits aus dem Jahr 1985, alle Register. Die Bad Seeds stellen hier ihr ganzes Können unter Beweis.
Neben den zu erwartenden, wenngleich nicht weniger beeindruckenden Bass-Riffs und der Energie am Schlagzeug, ist es Warren Ellis, der auf besondere Weise hervorsticht. Er schrubbt seine Geige wie eine E-Gitarre, und man muss jeden Moment Angst haben, dass er das kleine Instrument in seinem Wahn auf dem Boden zerschmettern könnte – Punk-Rock geht eben auch auf der Geige.
Während Ellis die Geige bearbeitet, steht Cave auf den Schultern des Publikums, er drückt einem Fan kurzerhand das Mikrofon in die Hand, dieser wird zum Mikro-Halter, während Cave mit voller Kraft ins Publikum schreit.
Insgesamt sechs Zugaben
Und dann ertönt endlich der Glockenschlag, auf den alle gewartet haben. Das Publikum streckt Cave die rechte Hand entgegen, denn natürlich darf auch bei diesem Konzert der 1994-Hit „Red Right Hand“ nicht fehlen. Was in den letzten Jahren als Titelmusik der erfolgreichen BBC-Serie „Peaky Blinders“ bekannt wurde, ist schon lange einer von Caves erfolgreichsten Songs. Es überrascht daher nicht, dass irgendwann die ganze Arena, in Rot erleuchtet, das berühmte Gitarren-Riff mitsingt.
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„What now?“ fragt Nick Cave nach „Red Right Hand“ ins Publikum, während er sich am Klavier eine kurze Pause gönnt, um sich die eigentlich ohnehin perfekt sitzenden Haare zu kämmen. Doch er und die Bad Seeds haben an diesem Abend noch einiges zu bieten.
Sie spielen noch Fan-Favoriten wie „The Ship Song“ und „Higgs Boson Blues“, bevor Cave und seine Band sich mit „White Elephant“ zum ersten Mal vom Kölner Publikum verabschieden. Zum ersten Mal, denn Cave gewährt dem Publikum in Köln noch ganze sechs Zugaben.
Als würde die Sonne untergehen
Die Liebesballade „Into My Arms“ darf natürlich nicht fehlen, und auch "Ghosteen Speaks“, ein Song vom letzten Album, das Cave mit den Bad Seeds vor der Pandemie aufnahm, versetzt das Publikum in eine Art Trance. Es fühlt sich an, als würde langsam die Sonne untergehen.
Und da sind wir wieder beim sphärischen Gefühl. Nach einer langen Odyssee hat Nick Cave das Publikum wieder zum Ausgangspunkt der Reise zurückgeführt. Und an diesem Abend hätte wohl jeder die Reise sofort wieder mit ihm antreten wollen.