Nimm dies, Herbert Grönemeyer!Wo bleibt eigentlich die Liebe für Peter Maffay?
An diesem Freitag wird Peter Maffay 70, das ist schon mal ein Anlass. Zudem der Mann aus dem siebenbürgischen Brasov der Sänger mit den meisten Nummer-eins-Alben in den deutschen Charts ist. Nimm das, Herbert Grönemeyer. Nur: Während bei uns Herbert als Institution behandelt wird und der ewige Konkurrent Udo Lindenberg als Nationalheiligtum, fragt man sich: Wo bleibt die Liebe für Peter Maffay? Warum kenne ich mehr Maffay-Witze als Maffay-Songs. Ist das fair?
Auf keinen Fall. Weshalb wir uns zum Jubeltag durch ein paar Klassiker des Maffay’schen Œuvres hören wollen, durch schambehaftete Schnulzen wie aufrechte Rocker. Wer weiß, vielleicht haben wir uns ja die ganze Zeit geirrt?
„DU”
(1970) Er war jung und brauchte einen Plattenvertrag. Vorher sang Peter Alexander Makkay für Freigetränke im Münchner „Song-Parnass im Unionsbräu“, hinterher hatte der zum sanfteren Maffay umbenannte Sänger den größten Hit des Jahres und Freigetränke in der ZDF-Hitparade. Wollte man Staatsgeheimnisse aus Maffay herauspressen, müsste man ihm wahrscheinlich einfach Kopfhörer antackern und „Du“ in Dauerschleife laufen lassen. Das Stück ist eine ranschmeißerische Scheußlichkeit im Schunkeltakt, die auch wir am liebsten vergessen würden. Leider hat Peter Maffay zuletzt nach all den Jahren im sturen Eins-zu-eins-Modus das Konzept „Ironie“ entdeckt und singt „Du“ nun im Duett mit der unvermeidbaren Helene Fischer.
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„UND ES WAR SOMMER“
(1976) Der absolute Kracher. Sorgte bei Erscheinen für einiges Haareraufen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wegen der heute allseitig mitgrölbaren Zeilen „Ich war 16 und sie 31/ Und über Liebe wusste ich nicht viel/ Sie wusste alles“. Tatsächlich sind genau die dem Bobby-Goldsboro-Hit „Summer (The First Time)“ entlehnt (auch wenn der entjungferte Erzähler dort 17 ist). Doch Maffay macht sich mit seinem machtvoll rausgeschmetterten, beinahe schon pornografischen „alles“ das Stück zu eigen.
„SO BIST DU“
(1978) Auf dem Cover der Single präsentiert sich Maffay breitbeinig mit Lederjacke und Kippe. Doch das neue Rockerimage täuscht, „So bist du“ ist I-a-Schlagerware, allerdings kein schwindsüchtiger Schmachtfetzen, sondern eine muskulöse Powerballade. Außerdem, jetzt lehne ich mich mal aus dem Fenster, ist „Und wenn ich geh’, dann geht nur ein Teil von mir/ Und gehst Du, bleibt Deine Wärme hier“ der beste Zweizeiler der deutschen Unterhaltungsmusik.
„EISZEIT“
(1982) Ein Countryrocker mit Öko-und Anti-Atomkriegs-Botschaft. Maffay tritt jetzt mit Bart und Band auf, wäre gerne der deutsche Neil Young. Dafür rumpelt der Song freilich ein wenig zu behäbig und der apokalyptisch-mahnende Text – „Aus der Quelle schießt Glut so hoch bis zum Saturn“ – klingt zu sehr nach Superhelden-Comic.
„NESSAJA“
(1983) Nachdem ein Freund von ihm aus der Chefetage gefeuert wurde, wollte Maffay die Plattenfirma wechseln. Um seinen bestehenden Vertrag zu erfüllen, nahm er zusammen mit Rolf Zuckowski ein Kinderkonzeptalbum namens „Tabaluga“ auf. Angeblich Maffays bis heute erfolgreichste Veröffentlichung, wofür auch die bis dato fünf Folgealben sprechen. In „Nessaja“ singt die gleichnamige zweihundertjährige Meeresschildkröte davon, dass sie nie erwachsen werden wollte: „Von außen wurd’ ich hart wie Stein/ Und doch hat man mich oft verletzt/ Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben“. Fast ein Selbstporträt. Irgendwie herzig.
„SONNE IN DER NACHT“
(1985) Das Keyboard-Intro kündigt die Yacht-Rock-Version von Van Halens „Jump“ an, Maffay ist hier Hall & Oates in einer Person oder eine menschgewordene „Miami Vice“-Folge. Die Lyrics sind angemessen gaga, vom „Feuer im Vulkan“ bis zum „Tau auf heißem Sand“. Mein heimlicher Favorit.
„TIEFER“
(1989) Die noch schwülere Fortsetzung (Lieblingszeile: „Schweiß auf unseren Zungen“,quasi die Ekelversion von „Salz auf unserer Haut“). Aber wir wollen gar nicht lästern, als Schlafzimmersoul-Crooner ist Maffay zwar definitiv gegen den Typ besetzt, aber er hält sich mehr als wacker, vom „Baby“-Ausruf im Barry-White-Bariton bis zum Refrain im Falsett.
„SIEHST DU DIE SONNE“
(1996) Und immer noch scheint die Sonne, in dieser dumpf daherwalzenden Coverversion von Michel Polnareffs charmanten Yéyé-Klassiker „La poupée qui fait non“, aber diesmal scheint sie auf Ruinen, zerbombte Räume und „Ratten in schmutzigen Gassen“. Sozialkritischer Poser-Rock, fast genauso schlimm wie die Verhältnisse, die er vorgibt anzuprangern. Warum? Weil es um gar nichts geht, allenfalls um ein paar Klischeezeilen ohne Erdung im Konkreten. Hier wird vom Gipfelpunkt der Moral gesungen, was darunter liegt, verschwimmt im Nebel.
„MORGEN“
(2019) Und auch auf seiner aktuellen Single verharrt der Altrocker im Anklagemodus: Islamisten, Populisten, Nazis, Umweltsünder, Schwulenhasser – hier bekommt fast jeder sein Fett weg. Zusammengehalten wird dieser Rundumschlag von der Dringlichkeit der Lage: „Wollen wir wieder warten, bis der Morgen kommt?“, fragt Maffay rhetorisch im Refrain. Die Musik müsste schon aufregender sein, sollte sie wirklich wachrütteln. Aber der Versuch ehrt. Alles Gute zum 70., war doch gar nicht so schlimm.