Die Sängerin Lauryn Hill war einmal ein Weltstar: Nach ihrem Überhit „Killing me softly” machte sie mit ihrem ersten und einzigen Solo-Album „The Misseducation of Lauryn Hill” 1998 Furore.
21 Jahre, etliche Abstürze, viel zu spät begonnene Konzerte und einen Gefängnis-Aufenthalt später tritt die heute 44-Jährige in Köln am Tanzbrunnen auf.
Es wird – nach einer Stunde Verzögerung wegen Unwetters – ein interessanter Abend, dem am Ende der Saft abgedreht wird. Interessant aber meist nicht im guten Sinne. Unsere Kritik.
Köln – Erst hatte sie kein Glück – und dann kam auch noch Pech dazu. Was eine sehr freundliche Umschreibung ist für das, was sich am Dienstagabend im Tanzbrunnen ereignet hat.
Beginnen wir von vorn. Die Laune ist prächtig, als sich die Gäste im gut gefüllten Areal ab 20.30 Uhr zu fragen beginnen, ob die engagiert Beats und Laune verbreitende DJane die Bühne nicht langsam räumen will, um dem Star noch genug Zeit einzuräumen. Muss doch wegen Lautstärke am Tanzbrunnen um 22 Uhr Schluss sein. Es tritt zunächst aber spontan eine andere Mega-Diva grollend auf den Plan: Ein Unwetter mit nahen Blitzen entlädt sich über dem Platz. Die kollektive Flucht unter die Pilze hilft bei dem waagerecht strömenden Regen nur teilweise.
Der Veranstalter verschiebt den Konzertbeginn und empfiehlt den Gästen, vorübergehend in den Tanzbrunnen-Saal zu wechseln. Viele Hill-Fans verharren nach Unmut-Pfiffen allerdings unter den Dächern. Fast eine Stunde lang ist Warten unterm schwarzen Himmel angesagt. Dann lässt der Regen nach, wippt die DJane wieder hinterm Pult – und kündigt um 21.30 Uhr die „Königin“ an.
Lauryn Hill, 1975 in New Yersey geboren, betritt die Bühne mit kurzen Haaren hinter einer Sonnenbrille, obenrum eine Art schwarzes Lederdirndl, unten ein bauschiger Tüllrock. „Ich fühle mich wie eine unartige Schullehrerin“, kommentiert sie ihr Outfit mit dunklem Lachen. Spannung: Wird Hill jetzt also nur eine halbe Stunde lang singen? Wo doch die Laufzeit ihres legendären Solo-Albums „The Miseducation of Lauryn Hill“ allein mehr als 68 Minuten beträgt? Ein neues Album präsentiert Hill nicht auf ihrer Tour. Sie will ihr einziges, am Sonntag vor genau 21 Jahren auf die Welt gekommenes Solo-Album feiern. Damit räumte die als Mitglied der Fugees bekannt gewordene Soulsängerin 1999 als erste Frau fünf Grammy Awards auf einmal ab, vermengte Soul, Reggae und Hip Hop fulminant mit ihrer dunklen Stimme, zum Niederknien schön, die Liebe feiernd, Missstände anprangernd.
Drogen und Depressionen
Auf Jahre des Weltruhms folgten Jahre der Versenkung, man las von Drogen, Depressionen und Sektenglauben. Erst ab 2012 trat die Soulsängerin wieder öffentlich auf, man las von abgebrochenen Konzerten und solchen, die mit erheblicher Verspätung stattfand mit teils bizarren Begründungen wie der, dass der Lack auf ihren Fingernägeln noch nicht trocken gewesen sei. Wegen Steuerhinterziehung saß sie 2013 drei Monate im Gefängnis. Sie klagte, die Musikindustrie habe sie finanziell ausgepresst, in guter amerikanischer Tradition versklavt. Noch Anfang August in Glasgow ließ sie ihre Fans als Headlinerin des Playground Festivals mehr als eine Stunde lang warten und durfte anschließend zum Unmut aller nur noch sechs Songs spielen. Und in Köln? Tja.
Beginnen wir mit dem, was gnadenlos gut ist: die fünfköpfige Band inklusive Bläser. Schon beim ersten Lied „Lost ones“ machen die Musiker Druck ohne Ende, jeder Beat ein Peitschenhieb. Die weltberühmte Stimme dazu aber säuft in diesem Gewitter zunächst gnadenlos ab. Die Soundprobleme ziehen sich wie wutroter Faden durch das Konzert. Kein einziges Lied vergeht, ohne dass sich Hill an ihren Steckern im Ohr fummelt und wütende Armbewegungen zum Tonmann auf der Bühne macht. Lauter, lauter. Oder: mehr Hall? Irgendwann ist aber nicht mehr klar, ob sie einfach nur noch den Tonmann beschimpft, wie man es auch von früheren Konzerten gelesen hat. Der immer wieder zaghaft aufkeimenden Atmosphäre sind diese Ablenkungen jedenfalls deutlich abträglich.
Einige Lieder interpretiert Hill radikal neu, was manchmal interessant ist („Superstar”), aber nicht immer gelingt, Songs wie „Final Hour“ oder „Ex-Factor“ zerfasern, ufern aus. Nicht nur mit dem Tonmann, auch mit der Band ist die Diva zwischenzeitlich wenig geduldig, gibt ihr mit rudernden Armen zu verstehen, schneller zu spielen, langsamer zu spielen, aufzuhören. Puh!
Die höheren souligen Melodien überlässt Hill, deren Stimme deutlich dumpfer, weniger nuanciert, weniger mühelos geworden ist, ihren drei fulminanten Background-Sängerinnen. Sie verlegt sich vor allem in der ersten Konzerthälfte auf grimmige Rap-Salven. Die allerdings sitzen perfekt. Wie es überhaupt immer wieder auch Minuten gibt, in denen eine vielleicht nicht ganz große, aber doch große Lauryn Hill durchscheint und vom Publikum zu recht bejubelt wird. In „Forgive Them Father“, ihrer vehement vorgetragenen Soul-Anklage, die Leinwand zeigt dazu Gewaltszenen gegen Schwarze in Amerika, zum Teil authentische Polizeivideos. Auch das fröhlich-leichte Cover „Can‘t take my eyes of you“ macht Laune, „To Zion“ ist auch mit etwas weniger Stimmgewalt als früher zeitlos bewegend.
Zwischendurch: eine Schlägerei im Publikum. Auch das noch. Gegen 22.30 Uhr hält Hill dann eine zunächst eine flammende Rede über die Schlechtigkeit der Welt und die Notwendigkeit zu lieben, driftet aber zunehmend ab ins Wirre, schimpft über die Presse, die sie konsequent missverstanden habe und Menschen, die ihr Übles wollten. Folgen kann irgendwann keiner mehr.
Um 22.40 Uhr dann, Hill ist ausnahmsweise noch einmal kurz sehr bei sich selbst in ihrem größten Solo-Hit „Doo Wop (That Thing)“, wird die Musik abrupt deutlich leiser. Die Musiker stoppen irritiert, bringen das Lied dann irgendwie zu Ende. Sehr offenkundig wird der Sängerin gerade der Saft abgedreht, um die Lärmschutzbestimmungen der Stadt einzuhalten. Hastige Verabschiedung, keine Zugaben, logisch. Ob Hill die nötige Softness für „Killing me softly“ stimmlich aufgebracht hätte, ist ohnehin fraglich. Ein stimmiger Schluss für einen merkwürdigen, interessanten, in jeder Hinsicht grollenden Abend.
Das Statement von Bernhard Conin, dem Geschäftsführer von Köln-Kongress, folgt am nächsten Morgen: „Wir haben im Sinne der Konzertbesucher entschieden, dass die Künstlerin wegen der Verzögerung wegen des Wetters bis 22.30 Uhr spielen darf. Sonst wären die Besucher auf die Barrikaden gegangen. Das war das erste Mal bei uns im Tanzbrunnen, dass die Marke von 22 Uhr überschritten wurde. Die Künstlerin hat aber die Zeit überschritten. Management und Veranstalter haben die Künstlerin mehrfach darauf hingewiesen und am Ende entschieden, das Konzert zu beenden.“