Berlin – 15 Sekunden, das ist nicht viel, das versendet sich. 15 Sekunden, das ist eine Bagatelle. Das glaubt zumindest der deutsche Gesetzgeber, der eben diesen Zeitraum als „Bagatellgrenze“ festgelegt hat.
Die soll künftig für Inhalte gelten, die auf digitalen Plattformen hochgeladen werden. Nichtkommerzielle Nutzer, so die Regel, dürfen bis zu 15 Sekunden an Musik verwenden, ohne dass sie diese lizenzieren müssen. Sie müssen den betreffenden Urheber weder um Erlaubnis fragen, noch ihn direkt entlohnen.
Für einen Clip auf dem Videoportal TikTok reichen 15 Sekunden völlig aus. Und gerade im Streaming-Zeitalter genügen 15 Sekunden Musik auch, einen Song zu identifizieren. Ist es also wirklich nur eine Bagatelle, wenn ein Nutzer Musik verwendet, die er weder komponiert noch eingespielt hat?
Mehr als 1000 deutsche Musiker und Musikerinnen – von Helene Fischer bis Die Höchste Eisenbahn, von Die Ärzte bis Zoe Wees – haben einen offenen Brief unterschrieben, der auf diese Frage mit einem klaren „Nein“ antwortet.
Deutscher Sonderweg
Sie erkennen in dem Gesetzentwurf „die Absicht, individuelle urheberrechtliche Ansprüche sowie echte Lizenzverträge auf Augenhöhe zu vereiteln“. Aus ihrer Sicht bedeutet die deutsche Interpretation der Urheberrechtsreform der EU, dass „Geschäftsmodelle globaler Uploadplattformen zum Zweck maximaler Verfügbarkeit unserer Werke geschützt werden, während unsere Vertriebswege mit Achselzucken torpediert werden.“
Der Tonfall ist dramatisch, denn die Zeit drängt: Bis Juni muss Deutschland die EU-Richtlinie zur Urheberrechtsreform in nationales Recht umgesetzt haben. Noch steht die Abstimmung über den Entwurf im Bundestag aus. Die EU-Reform soll die Urheberrechte in den Mitgliedsstaaten harmonisieren und sicherstellen, dass das Urheberrecht „auch in diesem neuen digitalen Umfeld“ seinen Zweck erfüllt.
Was vor allem bedeutet, dass Plattformen wie Youtube oder TikTok, deren Geschäftsmodell darauf basiert, dass Nutzer Bilder, Texte oder Videos hochladen, die eventuell geschützt sind, stärker in die Haftung genommen werden.
Das hat bereits vor zwei Jahren eine Protestwelle ausgelöst, allerdings von anderer Seite: So versammelten sich etwa im Februar 2019 rund 1500 Netzaffine in Köln zu einem Demonstrationszug vom Neumarkt zum Roncalliplatz, nachdem sie ein Twitch-Streamer über Twitter dazu aufgefordert hatte. Sie protestierten gegen die Verpflichtung der Plattformen zur Vorabkontrolle hochgeladener Inhalte, die der Artikel 13 des reformierten Urheberrechts vorsieht. Die laufe auf die Einrichtung von Uploadfilter hinaus.
Solche automatischen Filter zensierten Inhalte, so die Demonstranten, nach übertrieben strengen Maßgaben, blockierten auch erlaubte Verwendungen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet sei in Gefahr. Die Politik hörte auf diese kritischen Stimmen, etwa in Person der ehemaligen EU-Abgeordneten Julia Reda.
Ein Kniefall
Die deutsche 15-Sekunden-Regel ist eine indirekte Folge davon. Einen Kniefall vor den Netzaktivisten, nennt das der Hamburger Musiker und Autor Rocko Schamoni, der jetzt gemeinsam mit Peter Maffay, und den Sängerinnen Balbina und Sarah Lesch der „SZ“ ein Interview zum Thema gab. Das SPD-geführte Justizministerium unterminiere mit solchen Zugeständnissen den europäischen Kompromiss.
Die Befürchtungen der Aktivisten nennt der offene Brief „realitätsferne Zensurszenarien“. Uploadfilter seien längst Realität. Gerade als Künstler kenne man Probleme von Over- und Underblocking – zu strenge oder zu lasche Filterung von Inhalten – aus erster Hand. Von Kunstfreiheit müsse man ihnen als oft unmittelbar von Zensur Betroffenen nichts erzählen.
Dahinter steht nicht zuletzt die unausgesprochene Empörung, dass diejenigen, die von Zensur sprechen, die Lobbyarbeit milliardenschwerer Techkonzerne übernehmen, während Kreative eindeutig zu den finanziellen Verlierern der digitalen Transformation gehören.