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Kölner PremiereKlimawandel, Hunger, Flut – „Früchte des Zorns“ ist so aktuell wie nie

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Kristin Steffen in „Früchte des Zorns“ 

Köln – Die Joads müssen weg. Oklahoma ist eine Staubschüssel. Nichts wächst mehr in dieser Dürre. Die Pachtbauern können ihre Schulden nicht mehr bezahlen. Die Hoffnung passt auf einen Handzettel. Der verspricht paradiesische Zustände in Kalifornien. Obstpflücken unter milder Sonne, ein kleines weißes Haus für jede Familie.

Also werden die letzten Besitztümer zusammengerafft, wird der alte Lastwagen angeworfen, und schon sind sie unterwegs in Richtung Westen. Wie Hunderttausend andere verzweifelte Farmer, wie hunderttausende andere Klimaflüchtlinge, die niemand will, die einfach viel zu viele arme Schlucker für den amerikanischen Traum sind.

Rafael Sanchez‘ Inszenierung von John Steinbecks „Früchte des Zorns“ feierte bereits 2020 Premiere, kurz vor Weihnachten. Aber das war die mühevolle Zeit des zweiten Lockdowns und so konnte man die Odyssee der armen Bauernfamilie Joad nur via Live-Stream miterleben. Auch auf dem Bildschirm funktionierte der Abend. Wie schon vor ein paar Jahren mit seiner Dramatisierung von Joseph Roths „Hiob“ setzte der Hausregisseur am Schauspiel Köln ganz auf die biblische Kraft der Geschichte, mied plumpe Aktualisierungen oder andere Spezialeffekte.

Stückbrief

Regie: Rafael Sanchez

Textfassung: petschinka

Bühne: Thomas Dreißigacker

Kostüm: Maria Roers

Musik: Pablo Giw

Mit: Seán McDonagh, Birgit Walter, Katharina Schmalenberg, Stefko Hanushevsky, Justus Maier, Kristin Steffen, Elias Reichert, Martin Reinke

Termine: 8., 9. Januar, 8., 11., 12. Februar, Depot 2, 140 Minuten, keine Pause

Dennoch konnte diese digitale Fassung nur ein Notbehelf sein. So wie die vertriebenen Pächter in ihrer Not auf Heimat, Sicherheit, Freiheit und faire Entlohnung verzichten, bis ihnen schließlich nur noch das nackte Leben bleibt, entsagten die Streamenden dem, was Theater doch eigentlich ausmacht: Der Begegnung zwischen Schauspieler und Zuschauer. Wie essentiell die ist, das ließ sich am Donnerstagabend im Depot 2 auf der Bühnenpremiere von „Früchte des Zorns“ feststellen.

Zuerst sind es vor allem die Musik und die Geräuschkulisse, die der Kölner Trompeter Pablo Giw elektrisch verstärkt mit den Ventilen seines Instruments erzeugte, die voreiligen Schüsse, die Grandma aus ihrer Flinte abgibt – Birgit Walter übernimmt die Rolle von Margot Gödrös – lassen uns wohlig zusammenzucken, das Motorenstottern nimmt uns mit auf die lange Reise, die Schauspieler wackeln im Takt auf ihren Stühlen und Grandma, deren Ruppigkeit anfangs mit viel Gelächter quittiert wurde, stirbt schon bald darauf an Erschöpfung.

Spöttischer Pragmatismus

Ende 2020, auf dem Bildschirm, wirkte der kleine Begräbniszug der Überlebenden wie eine Trauerfeier für die ersten, zumeist alten Opfer der Pandemie. Jetzt ist man wieder ganz bei Steinbeck, bei den Joads. Beim unbedingten Überlebenswillen von Seán McDonaghs Tom Joad, der seine unbändige Wut am Ende in politischen Aktivismus kanalisiert, bei der nicht minder großen Resilienz von seiner Mutter, die Katharina Schmalenberg mit spöttischen Pragmatismus spielt – wenn sie verzweifelt, wissen wir, dass es endgültig ernst ist.

Es ist noch dieselbe Arte-Povera-Inszenierung wie damals auf dem Schirm, die Jeans-Kostüme der Schauspieler, das vom Sperrmüll gerettete Mobiliar, die schlichte Holztribüne Thomas Dreißigackers. Aber wie anders ist es, inmitten eines, selbstredend maskenbewehrten, Publikums zu sitzen, sich gemeinsam über Justus Maiers breiten Okie-Dialekt oder Martin Reinkes bibelfestes Schlawinertum zu amüsieren. Ein wenig mit Stefko Hanushevksys gekränkter Patriarchen-Ehre zu leiden und noch sehr viel mehr mit Kristin Steffens Martyrium, deren schwangere Tochter Rose von ihrem Verlobten – Elias Reichert konterkariert den unpraktischen Schwärmer zahlreichen Kleinstrollen als Repräsentant von Gesetz und Besitz – verlassen wird, als die gemeinsamen Träume an der Wirklichkeit zerschellen.

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Es ist die letzte Szene des Abends, die auch die letzten Fragen nach der Notwendigkeit von Theater beantwortet. Die zersprengte Familie hat sich vor dem Hochwasser – die Steinbecks Aktualität schreibt sich wirklich von selbst – auf die oberste Ebene der Tribüne gerettet, Rose erleidet eine Totgeburt. Als die Joads auf einen Vater treffen, der seine Essenrationen schon seit Tagen an den Sohn abgetreten hat, entledigt sich Rose sterntalergleich ihrer letzten Gewändern und nährt mit ihrer Muttermilch den Verhungernden.

Ein Akt der Barmherzigkeit inmitten einer unbarmherzigen Welt. Auf der Bühne wirkt er fast wie ein kleines Wunder, dem man beiwohnt wie einem mittelalterlichen Passionsspiel auf dem Dorfplatz. Der Applaus ist stürmisch, so etwas lässt sich nicht durch ein paar animierte Klatschhände in der Videokonferenz ersetzen. Die Stärke einer Gesellschaft, das haben wir ja auch gerade auf der Bühne gesehen, wächst mit der Nähe.